Rechtsterrorismus
„Solche Attentate sollen dann als Botschaftstaten funktionieren“
Der Journalist Martín Steinhagen thematisierte in seinem Buch über den Mord an Walter Lübcke auch die Strategien des Rechtsterrorismus – im Interview spricht der Autor von Botschaftstaten und erläutert, warum die dahinterstehende Idee keinesfalls neu ist.

In Bezug auf rechtsterroristische Angriffe hört man oft Begriffe wie Einzeltäter oder Einzelfälle. Handelt es sich aus Ihrer Sicht um Einzelfälle?
Das Problem mit dieser Umschreibung ist, dass das eigentliche Problem, das dahintersteht, unsichtbar gemacht wird. Wenn man schnell über Einzelfälle oder Einzeltäter spricht, übersieht man, welche Strukturen hinter solchen Taten stehen auch wenn es natürlich auch Täter gibt, die alleine handeln. Zugleich geschieht das nicht im luftleeren Raum, sondern es gibt ein Umfeld und ein gesellschaftliches Klima, in dem solche Taten entstehen. Oder es gibt explizite Strukturen, die hinter solchen vermeintlichen Einzeltätern stecken. Und diese werden nicht thematisiert oder aufgehellt, wenn man so über diese Taten spricht.
Der Untertitel Ihres Buches lautet „Strategie der Gewalt“ – um welche Strategie geht es?
Im Grunde geht es um verschiedene Strategien, die sich in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Aber es gibt auch große Kontinuitäten. Hinter solchen Taten wie dem Mord an Walter Lübcke oder dem NSU steckt eine bestimmte Vorstellung von Rechtsterrorismus, die in der militanten Neonazi-Szene und dem extrem rechten Milieu seit vielen Jahren kursiert. Dort gibt es Überlegungen, inwiefern man mit solchen Taten politische Ziele erreichen kann, genannt sei hier nur die Strategie des „führerlosen Widerstands“.
Solche Attentate sollen dann als Botschaftstaten funktionieren. Der Mord an Walter Lübcke war insofern auch eine solche Botschaftstat, die nicht nur ihn konkret als Person treffen sollte, sondern auch Personen, die sich beispielsweise für die Aufnahme von Geflüchteten eingesetzt hatten.
„Wie weit muss man zurückblicken?
Ich denke, man muss sich der Tradition des Rechtsterrorismus in Deutschland noch viel stärker bewusst werden. Man kann diese Strategien zurückverfolgen bis in die Weimarer Republik und Teile der NS-Ideologie als Kontinuität sehen. In dem Buch habe ich versucht, wichtige Schlaglichter auf solche Entwicklungen seit 1945 zu werfen, um zu verdeutlichen, in welcher Tradition ein Mord wie der an Walter Lübcke steht.
Im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke wurde oft von einer Zäsur gesprochen. Ist das so und warum hat die Tat so sehr schockiert im Vergleich zu anderen Taten?
Der Begriff wurde nach der Tat häufig benutzt, um darüber zu sprechen. Aus Sicht der Betroffenen ist eine solche Tat selbstverständlich eine Zäsur, danach ist nichts mehr wie zuvor. . Zugleich habe ich den Eindruck, dass politisch bislang zu wenig passiert ist, um gesamtgesellschaftlich von einer Zäsur zu sprechen. Die Morde in Halle und Hanau geschahen danach und erst dann sprach der damalige Innenminister Horst Seehofer davon, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie sei. Es ist schon etwas in Bewegung geraten, aber ich habe nicht den Eindruck, dass es danach zu einer „Zeitenwende“ kam, um es mal mit einem derzeit sehr populären Begriff zu beschreiben.
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich auch mit den Sicherheitsbehörden. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?
Das lässt sich in der Kürze schwer beantworten. Ich habe mich unter anderem mit einem Aktenkonvolut des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz beschäftigt, das 120 Jahre geheim bleiben sollte. Darin ging es nach der Selbstenttarnung des NSU um eine Aufarbeitung der Behörde, was in den Akten stand und ob möglicherweise Sachen übersehen wurden. Mir wurde dieser Bericht zugespielt und ich konnte ihn auswerten. Darin wird deutlich, dass es sehr wohl Hinweise auf Terrorstrategien gab oder auch auf Waffen und Sprengstoff, die beim Geheimdienst ankamen. In erschreckend vielen Fällen wurde jedoch nicht gehandelt und so konnten Waffen in Händen von Neonazis bleiben. . Es fehlte offensichtlich an den analytischen Fähigkeiten oder an dem Willen einzuschreiten. Man folgte vor allem der Geheimdienstlogik, Informationen zu horten und die Quellen zu schützen.
In Ihrem Buch sprechen Sie von einer Generation Hoyerswerda oder einer Generation NSU? Was ist damit gemeint und was ist daraus geworden?
Ich denke, das spielt eine entscheidende Rolle, wenn wir auf das Thema Gewalt schauen und was aus den Personen geworden ist; Personen, die in den 90er Jahren – den sogenannten Baseballschlägerjahren – politisch sozialisiert worden sind und teilgenommen haben an der enormen Welle der Gewalt, die damals durch das Land geschwappt ist. Diese Personen haben die Lehre daraus gezogen, dass man durch Gewalt mitunter auch Zuspruch bekommen oder auch die Politik ein Stück weit vor sich hertreiben kann, wenn wir beispielsweise an den Asylkompromiss aus den 90er Jahren denken. Und diese Leute haben diese Ideologie verinnerlicht. Einige haben sich vielleicht zurückgezogen für ein paar Jahre, aber als sie gesehen haben, dass sich ab 2015 das gesellschaftliche Klima aus ihrer Wahrnehmung in ihre Richtung dreht, sind sie wieder stärker aktiv geworden und manche sind dann eben auch zur Tat geschritten.
Martín Steinhagen veröffentlichte im Rowohlt-Verlag das Buch „Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt“, in dem er den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke thematisiert sowie das gesellschaftliche Klima beleuchtet, in dem das Attentat möglich wurde.
Der Text basiert auf einem Interview des Radiosenders Lohro mit dem Autoren, das hier leicht verkürzt wiedergegeben wird.