Sekte frisst Dorf
Im brandenburgischen Grabow befindet sich einer der ältesten Stammsitze der „Anastasia-Bewegung“ in Deutschland. Dem Projekt „Goldenes Grabow“ werden wohl auch staatliche Finanzspritzen gewährt.
Barfuß, mit langen Haaren und in zünftiger Trachtenkleidung spazierten sie durch ihr Dorf. Markus K. führte die Gruppe an, zeigte ihnen auf diversen Grundstücken so genannte Familienlandsitze und Probelandsitze. Die Grabower in ihren Vorgärten, auf den Traktoren oder auf dem Weg zum Friedhof im Wald kennen den Mann, er stammt aus dem Ort. An die bunt-exotisch oder auch altmodisch anmutenden Sympathisanten, die manchmal aus ganz Deutschland anreisen, haben sie sich längst gewöhnt. Während vor allem junge Leute aus der Ostprignitz abwandern, zieht es diese in den brandenburgischen Landstrich. Einige wohnen bereits in Grabow, haben ihre Häuser bunt bemalt, wie das neben dem Schloss an der Durchfahrtstraße. Die dort leben seien bei der Bundeswehr und dennoch Fans von „Anastasia“.
Mehrere Häuser mit zahlreichen Familien
Die aus Russland stammende „Anastasia-Bewegung“ und deren „Familienlandsitze“ sind nach den Büchern des russischen Unternehmers Wladimir Megre ausgerichtet. Ableger bilden sich zur Zeit in fast allen Bundesländern. Grabow ist einer der ältesten Stammsitze in der Bundesrepublik. Die Jünger der fiktiven Prinzessin der Taiga, Anastasia, schirmen ihre Selbstversorgerhöfe ab und suchen dennoch den Kontakt zu den Einheimischen. Doch nur wenige scheinen so etabliert wie das „Goldene Grabow“. Bereits 2014 führten Iris und Markus K. die Dorfgemeinschaft beim Ernteumzug an. Ein Video bei YouTube zeigt sie an der Spitze der kleinen Festprozession, trommelnd, während die anderen Grabower mit Vereinsuniformen und geschmückten Rasenmähertreckern folgen. Kurzzeitig übte der Ingenieur mit den langen Haaren sogar das Amt des Ortsvorstehers aus. Inzwischen gehöre ihm immer mehr Grund, darunter auch Pachtland in der Gemeinde, wie Anwohner/innen berichten. Einige schlossen sich der Gruppe bereits aktiv an.
Auf dem weitläufigen Anwesen der K.s, entlang der Jäglitz gelegen, befindet sich der Stammsitz. Inzwischen gehören auch mindestens drei weitere Häuser mit zahlreichen Familien in der Straße Zur Schäferei dazu. Dort soll auch die Schule der Gruppe entstehen, auf der Homepage beworben als „Godenschule“. Und weiter abgelegen, hinter dem Friedhof in Richtung Rosenwinkel sind auf einem ausgedehnten Areal zahlreiche Holzhütten, Bauwagen, Tiny Houses und ein großes Rundzelt zu sehen. Erdaushebungen und flache Eingangsbauten lassen darauf schließen, dass es auch Erdbunker geben könnte.
Sommerlager des „Sturmvogel-Deutscher Jugendbund“ auf dem Gelände
Der „blick nach rechts“ hatte bereits 2015 und die Polit-Sendung „Kontraste“ vier Jahre später auf den rechten politischen Hintergrund von „Goldenes Grabow“ hingewiesen. Denn vor fünf Jahren fand ein großes Sommerlager des völkisch-nationalen „Sturmvogel-Deutscher Jugendbund“ auf dem Gelände statt. Kinder und Jugendliche, zumeist aus völkisch-nationalistischen „Sippen“, standen in Uniformen stramm, übten Frühsport aus oder wurden zum „Arbeitseinsatz“ gerufen. Der Holocaust-Leugner Bernhard Schaub hatte seine Tochter dort ebenso abgegeben, wie der langjährige Rechtsextremist Frank Klawitter seine Söhne. Einige der jungen Leute waren in der Folgezeit bei Aktionen und Demonstrationen der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ dabei. Dort scheint der gut geschulte Nachwuchs mit gefestigten Weltbild gern gesehen.
Die Grabower „Anastasia“-Fans hatten ihren Grund und Boden einem umstrittenen Jugendbund zur Verfügung gestellt, der sich 1987 angeführt von Edda Schmidt und Rudi Wittig von der paramilitärischen „Wiking-Jugend „abgespalten hatte. Schmidt ist bis heute eine der aktivsten Frauen der NPD, Wittig nahm vor Jahren an einer Veranstaltung der „Identitären“ in Mecklenburg-Vorpommern teil. Kinder werden dort auf „Führerschaft“ und Deutschtum eingeschworen, nach außen aber tritt er als „Freundeskreis“, Hobbyverein oder vermeintlich harmlose Wandervogel-Gruppe auf. Seit 2019 warnt der niedersächsische Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht vor völkischen Familiennetzwerken und der Organisation. Dort heißt es: „Ihre völkischen und rassistischen Positionen aber gehören zu den grundlegenden Elementen rechtsextremistischer Ideologie“.
„Ludendorffer“ bei „Anastasia-Festival“
Bereits seit 2008 beteiligte sich eine Gruppe dieser „Siedler“ aus der Lüneburger Heide an den Neonazi-Aufmärschen in Dresden, 2010 mit dabei war auch Markus K. Fotos zeigen ihn im Gespräch mit Götz Kubitschek. 2019 veröffentlichte das TV-Magazin „Kontraste“ ein Video namens „Erwachende Prignitz“ des Ehepaars K., in dem wenige Jahre zuvor zur Gründung einer „Dorfwehr“ gegen Geflüchtete aufgerufen worden war. Die rechte Gesinnung sei schon früh im Dorf aufgefallen, heißt es. K. besuchte 2007 ein Treffen des antisemitischen „Bundes für Gotterkenntnis – Ludendorff“ in Dorfmark. Zehn Jahre später traten dann „Ludendorffer“ bei seinem „Anastasia-Festival“ auf, darunter die Tochter einer langjährigen Vorsitzenden der „Ludendorff“-Gemeinschaft, die beim rechtsextremen Anti-Asyl-Bündnis „Hohenlohe wacht auf“ als Rednerin auftrat oder der umstrittene Öko-Landwirt aus Mecklenburg.
Während des „Herbstfestes“ von „Goldenes Grabow“ vom 18. bis zum 20. September dieses Jahres stand der Bus von Mitgliedern der rassistischen „Artgemeinschaft“ aus der Region Güstrow auf einem der Grundstücke. Fragen aber zum eigenen politischen Hintergrund möchte das Paar aus Grabow beim „Herbstfest“ nicht beantworten.
„Freilerner“ gegen staatliche Lernpläne und den „Schulgebäudeanwesenheitszwang“
„Fest verwurzelt in der Erde…“ sangen sie gemeinsam an der „Perle“, dem Treffpunkt an der Schäferei in Grabow. Einwohner/innen aus dem Dorf und Kinder kamen mit dem Rad, um gemeinsam mit den „Esos“ zu feiern, die meist kein Fleisch essen, aber zum Teil einen Jagdschein besitzen. Bereits am Morgen hatte es einen „Morgenkreis“ auf den im Dorf verteilten „Probelandsitzen“ gegeben. Abends standen „Tanz zum Erntedank“, Gesang und Feuer auf dem Programm. Angereist waren Interessierte aus Thüringen, Sachsen, Hamburg, Hessen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. Mit dabei auch „Felix der Glückliche“, ein in den Kreisen bekannter Referent sowie Anhängerinnen von „Weda Elysia“, einem rechten Siedlungsprojekt im Ostharz.
Nach eigenen Angaben plant das „Dorferneuerungsprojekt nach den Erkenntnissen der Wedrussin“ Anastasia eine eigene Schule auf dem Gelände. Zu diesem Zweck fand am Mittag eine Fragerunde zum Thema „Freilernen“ statt. „Wir machen hier Pionierarbeit“, erzählt die Referentin, die eigentlich wie alle anderen mit der Presse nur über „Liebe“ und „Frieden“ sprechen möchte. Fragen nach den militärisch-geprägten „Schtetinin“-Schulen der russischen „Anastasia-Bewegung“ bleiben unbeantwortet. Das Gelände wurde vorsorglich mit Planen verhüllt, der Einblick zum Herbstfest soll verwehrt werden. Dann kommt es doch zum Gespräch, es geht um das Thema „Freilernen“. Die Neusiedler möchten die Corona-Pandemie nutzen und „freie Bildung“ etablieren. Sie lachen wie auf Verabredung über die Aussage, die Bundesrepublik sei doch ein freies Land. „Freilerner“ wie sie seien gegen staatliche Lehrpläne und den „Schulgebäudeanwesenheitszwang“. In ihrem Unterricht dagegen solle es keine „Tabus“ geben, das gelte auch für den Geschichtsunterricht. Niemand müsse „sich entscheiden“ man wolle keine „Schubfächer“ benutzen, offen bleiben. „Wir machen auch nicht so einen Geschichtsunterricht, solch einen nicht, der polarisiert.“
„Hier investiert Europa in ländlichen Gebieten…“
Hinter scheinbarer Versponnenheit dieser Szene verbergen sich durchaus auch wirtschaftliche Interessen. Nicht nur die „Anastasia“-Buchreihe soll sich millionenfach in ganz Europa verkaufen, sondern in der Anhängerschaft existieren eine Vielzahl von Firmenstrukturen. Dem Anastasia-Ableger „Goldenes Grabow“ werden zudem wohl staatliche Finanzspritzen gewährt. Darauf deutet eine, an einem Stallgebäude befindliche Plakette, auf der steht: „Hier investiert Europa in ländlichen Gebieten. Um- und Ausbau einer Scheune zum Lagergebäude für Maschinen, Geräte, Werkzeug und Gemüse sowie teilweisen Ausbau zum Pferdestall.“ Neben dem „Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums“ wurde das Projekt demnach kofinanziert aus Mitteln des Landes Brandenburg.