Schmeißt Buschkowsky aus der SPD!

Nahezu einmütig hat die SPD-Spitze vor einigen Wochen den Parteiausschluss von Thilo Sarrazin beantragt. Einen solchen Mann könne die älteste deutsche Partei nämlich nicht „in ihren Reihen“ dulden, so SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel in der „Zeit“. Wäre Gabriel konsequent, müsste er allerdings noch ganz anderen SPD-Mitgliedern den Stuhl vor die Tür stellen.

Mittwoch, 27. Oktober 2010
Mathias Brodkorb
Schmeißt Buschkowsky aus der SPD!
Da wäre zum Beispiel Heinz Buschkowsky (SPD). Er ist seines Zeichens Bezirksbürgermeister in Berlin-Neukölln und dürfte sich mindestens zu 80 Prozent mit Thilo Sarrazin inhaltlich ganz fabelhaft verstehen. Beweise gefällig? Als die Hornissen-Koalition auf Bundesebene auf die Idee kam, ein so genanntes „Betreuungsgeld“ an jene Familien auszureichen, die Krippe und Kita nicht in Anspruch nehmen, schlug Buschkowsky in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ Alarm: „In der deutschen Unterschicht wird es versoffen und in der migrantischen Unterschicht kommt die Oma aus der Heimat zum Erziehen, wenn überhaupt." Ein weiteres Beispiel gefällig? In einem Interview mit dem „Kölner Stadtanzeiger“ widersprach er bereits im Juli 2010 der jüngst geäußerten These des Bundespräsidenten Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehöre: „Der Islam ist in seiner orthodoxen und traditionell ursprünglichen Form mit einer modernen Verfassung nicht in Einklang zu bringen, weil er die Trennung von Staat und Religion nicht akzeptiert. Die alevitische Lesart und Lebensweise des Islam setzt da schon andere Maßstäbe.“ Und schon im Jahre 2004 hatte Buschkowsky darüber hinaus im „Tagesspiegel“ „Multikulti“ für „gescheitert“ erklärt. Kein Wunder also, dass Buschkowsky in der SPD alles andere als beliebt ist – auch deshalb, weil er im Jahr 2005 den Unberührbaren von der rechtskonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) ein Interview gegeben hatte, was nach jüngerer SPD-Beschlusslage streng verboten ist. Das hinderte die gute alte Tante SPD allerdings nicht daran, ausgerechnet ihn in diesem Jahr mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis auszuzeichnen. Sigmar Gabriel, der die Laudatio hielt, nannte Buschkowsky einen „sozialdemokratischen Schatz“, weiß das SPD-Blatt „Vorwärts“ zu berichten. Gabriel lobte am Geehrten, dass dieser dort arbeite, „wo es nicht nur gelegentlich Probleme gibt“. Es fällt daher schwer, die von Gunnar Schupelius am 8. April 2010 in der „Berliner Zeitung“ geäußerte Kritik für völlig substanzlos zu erklären: „Im Juli 2008 sorgten SPD-Politiker dafür, dass Buschkowsky nicht im Berliner Abgeordnetenhaus sprechen durfte. (...) Bis heute darf Buschkowsky nicht im Parlament sprechen, innerhalb der SPD wird er massiv geschnitten, wenn er die Wahrheit sagt. Schon vor zwei Jahren bat er seine Partei darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass 90 Prozent der 162 schlimmsten Verbrecher in Neukölln („Intensiv-Täter“) „Migranten“ seien. (...) Man wischt Buschkowsky vom Tisch und hängt ihm gleichzeitig eine Medaille um den Hals. Wie unehrlich ist denn das!“ Nun müsste die SPD-Spitze seit Neuestem eigentlich zu ihren Gunsten ins Feld führen, dass der Unterschied zwischen Sarrazin und Buschkowsky eben der sei, dass sich Letzterer immerhin nicht als Eugeniker bezeichnen lassen müsse. Den Vorwurf der Eugenik hatte Gabriel nämlich gegenüber Sarrazin Mitte September 2010 in der „Zeit“ lanciert und auf dem folgenden SPD-Bundesparteitag zur zentralen Argumentationsstrategie der Parteispitze ausgebaut. Warum genau soll Sarrazin nun ein Eugeniker sein? Gabriel leitet diesen Vorwurf wie folgt her: „Da Bildungsanstrengungen die vorgegebene Intelligenz ganzer Bevölkerungsgruppen, Religionsgemeinschaften oder Völker für Sarrazin nur ‚akzentuieren’ können, sieht er es als staatliche Aufgabe (!!!) an, in das Geburtenverhalten schichtenspezifisch einzugreifen. Und zwar nach einer ganz einfachen Formel: Oben = gut -> mehr davon. Unten = schlecht -> weniger davon.“ „Hohe staatliche Gebärprämien“ für bestimmte Akademikerinnen auszuloben, hält Gabriel einfach nur für „absurd“ und führt weiter aus: „Und die Definition der zu fördernden Gruppe oder Schicht ist nach Sarrazins Auffassung die Aufgabe der Politik. Welch ein Wahnsinn! Spätestens jetzt ist klar: Thilo Sarrazin führt keine Integrations-, sondern eine Selektionsdebatte“ – mit eugenischem Anstrich, dem gemäß „neues Leben nur aus erwünschten Gruppen“ hervorgehen solle. Wenn Gabriel das alles ernst meinte, müsste allerdings auch der „sozialdemokratische Schatz“ ein ernsthaftes Problem haben. Denn Buschkowsky erklärte auf die Frage, ob denn nicht auch „mehr und mehr deutsche Eltern (...) mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert“ seien: „Aber in den Migrantenmilieus ist die Bildungsferne noch ausgeprägter.“ Auch Buschkowsky droht so dem Eugenik-Verdikt unterworfen zu werden, weil man ja daraus immerhin schlussfolgern könnte, dass ihm Kinder aus bildungsnahen "deutschen" Schichten lieber wären als solche aus bildungsfernen "migrantischen" Schichten. Sein einziger Rettungsanker: Zur Lösung dieses Problems, wenn es denn richtig beschrieben ist, bleiben zwei Möglichkeiten, nämlich die Beförderung von Geburten in Schichten mit höherem Bildungsabschluss sowie verstärkte Anstrengungen zur Bildungsintegration unterer Schichten – übrigens ganz unabhängig von ihrer „ethnischen“ Herkunft. Da in der Tat hinsichtlich der Wirksamkeit Letzterer unterschiedliche Auffassungen zwischen Sarrazin und Buschkowsky zu bestehen scheinen, hat der Neuköllner Bürgermeister so gesehen noch einmal Glück gehabt. Kein Glück hat in derselben Sache allerdings die gesamte SPD. Denn es war die Sozialdemokratie, die unter Führung der ehemaligen Bundesfamilienministerin Renate Schmidt im Jahre 2005 das Elterngeld „erfand“. Die Zielstellung war bereits damals eine doppelte: einerseits die weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, andererseits aber auch die deutliche Anhebung der Geburtenrate in Akademikerfamilien. Zu diesem Ziel bekannte sich Renate Schmidt noch im Jahre 2009 in einem Vortrag bei der Volkshochschule Pforzheim. Sie beschrieb den auch heute noch bestehenden Problemhorizont wie folgt: „Das Fatale (!!!, M.B.) ist, dass die Zahl der Kinder abnimmt je höher der Bildungsstand ist, und dass die Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen signifikant höher ist als bei Nichtakademikerinnen.“ Mit anderen Worten: Mit dem Elterngeld wurde von Beginn an das bevölkerungspolitische (!) Ziel verfolgt, „in das Geburtenverhalten schichtenspezifisch einzugreifen“ – also genau das zu tun, was der SPD-Vorsitzende Gabriel dem Bundesbanker Sarrazin als „Eugenik“ vorwirft. Die von Gabriel als „absurd“ und „eugenisch“ titulierte „Gebärprämie“ für Akademikerinnen ist ebenfalls genau das, was die SPD gemeinsam mit der CDU unter dem Namen „Elterngeld“ eingeführt hat. Zur Erinnerung: Eltern aus sozial schwachen Schichten können statt früher 24 Monate maximal 14 Monate lang jeweils mit 300 Euro rechnen, Eltern aus sozial besser gestellten Schichten mit bis zu 1.800 Euro monatlich. Da sozialer und Bildungshintergrund in Deutschland eng miteinander korrelieren, fällt die Kopfprämie für Kinder aus sozial besser gestellten Schichten und/oder solchen mit höherem Bildungsabschluss also um 21.000 Euro höher aus als diejenige für sozial schlechter gestellte Schichten und/oder solche mit niedrigerem Bildungsabschluss. Nach Gabriels Logik wäre allerdings auch das eugenische Bevölkerungspolitik. Mit der jüngsten Abschaffung des Elterngeldes für Hartz IV-Bezieher durch die Bundesregierung wird dieser schichtenspezifische Eingriff in das Geburtenverhalten nochmals intensiver. Renate Schmidt wurde in ihrem Vortrag noch deutlicher: „Das heißt, in so genannten bildungsnahen Gesellschaftsgruppen gibt es immer weniger Kinder, in bildungsfernen mehr. Dies hat natürlich auf den Bildungsstand der Gesamtbevölkerung, wenn wir nicht die Kinder aus bildungsfernen Schichten deutlich besser fördern, erhebliche Auswirkungen.“ Von Sarrazins These, dass Deutschland immer dümmer werde, ist das kaum noch zu unterscheiden: „Wir werden auf natürlichem Wege durchschnittlich dümmer“, denn es gebe „eine unterschiedliche Vermehrung von Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Intelligenz.“ Hieraus abgeleitet fordert Sarrazin ja auch eine massive Aufwertung von Bildung für die Kleinsten. Somit erfüllt also zumindest Ex-Bundesministerin Renate Schmidt alle wichtigen Kriterien für einen SPD-Rausschmiss à la Sarrazin. Dies gilt übrigens auch für jene Bundestagsabgeordneten, die damals dem Elterngeld zugestimmt haben. Überflüssig zu betonen, dass hierzu auch Gabriel selbst zählt. Angesichts derartiger Paradoxien kommt man ins Grübeln. Kann es wirklich sein, dass Gabriel all’ diese Widersprüche nicht mehr bemerkt? Das ist mehr als unwahrscheinlich, dafür ist er viel zu erfahren und zu klug. Wahrscheinlicher hingegen scheint, dass die äußerlich so wankelmütig und unstet wirkende Verhaltensweise Teil einer durchaus gerissenen Strategie zur Paralysierung des linken SPD-Flügels ist. Seitdem Gabriel zum Feldzug gegen Sarrazin geblasen hat, hat sich die SPD-Linke einmütig und begeistert hinter dem neuen Vorsitzenden vereint. Nur wenige Wochen nach Beginn der Sarrazin-Debatte schwenkte Gabriel jedoch um. Plötzlich sprach er von „deutscher Leitkultur“. Eine Wortwahl, die – man erinnert sich kaum daran – CDU-Politikern vor wenigen Jahren seitens der SPD noch den Rassismus-Vorwurf eingebracht hat. Zugleich forderte er, den Zuzug ausländischer Fachkräfte zu bremsen und integrationsunwillige Ausländer abzuschieben – für Sozialdemokraten ein Tabubruch. Und? Was passierte? Nichts. Die SPD-Linke schwieg. Was hätte sie auch tun sollen? Etwa Gabriel von hinten in die Beine grätschen? Der SPD-Bundesvorsitzende hat damit die SPD-Linke erfolgreich an der Nase herumgeführt und im Windschatten der Sarrazin-Debatte eine gesellschaftspolitische Rechtswende der SPD eingeleitet. Wer bist Du, SPD?
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