Hans-Georg Maaßen

Scheindebatte: Einen Rassismus gegen Weiße gibt es nicht

Vor einigen Tagen warf der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, eine Relativierung des Holocaust vor. Maaßen hatte in einem Tweet behauptet, es gebe einen „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“. Eigentlich ein destruktiver Debattenkiller.

Dienstag, 24. Januar 2023
Michael Klarmann
Der Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen von einem „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“ und erntete dafür deutliche Kritik, Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt
Der Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen von einem „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“ und erntete dafür deutliche Kritik, Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Rassisten selbst verbreiten schon länger, dass Schwarze – etwa aus dem türkischen und arabischen Raum – oder Aktivisten der Black-Lives-Matter-Bewegung einen „Rassismus gegen Weiße“ propagierten. Rechte bis rechtsextreme Kreise nutzten sogar während und nach der Räumung Lützeraths das geschichtsschiefe Bild. Hintergrund waren Migranten und Menschen mit dunkler Hautfarbe unter den Besetzern sowie Aktivisten, die in ihren Reden und Stellungnahmen auch die Folgen des Klimawandels für ärmere Regionen und das Erbe des Kolonialismus ansprachen.

In der aktuellen Ausgabe widmet sich der „Überblick“, die Zeitschrift des „Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein Westfalen“ (IDA-NRW), dem Thema „Rassismus gegen Weiße? – Historische Dimensionen und Perspektiven für die rassismuskritische Praxis“. Die Fachzeitschrift erscheint regelmäßig zu einem Schwerpunkt und ist durch einen eher intellektuellen Duktus der Fachautoren geprägt. Die Fachbeiträge von IDA-NRW-Mitarbeiterin Meltem Büyükmavi und Autor Mark Terkessidis sind jedoch in weiten Teilen leicht verständlich verfasst.

Einen Rassismus gegen Weiße gibt es so nicht

Um es vorweg zu nehmen: Zum einen gibt es den Rassismus gegen Weiße so nicht, wie es Rassisten uns Glauben machen wollen – zum anderen ist das Thema dennoch komplexer als zunächst gedacht. Denn die Rassismus-Definition heute ist oft geprägt von dem Rassismus in den USA und jenem aus der Kolonialgeschichte. Demgemäß stellt Büyükmavi denn auch fest: „Die aus dem Kolonialismus resultierenden globalen Machtverhältnisse in Bereichen wie Politik, Ökonomie und Kultur wirken auch in der Gegenwart weiter. Es ist keine vergleichbare systematisierte Ideologie entwickelt worden, die eine Minderwertigkeit einer angeblich vorhandenen weißen Rasse belegen und damit verbunden ihre Abwertung, Ungleichbehandlung und Ausbeutung legitimieren sollte.“

Weiße Menschen seien „die Norm und überall repräsentiert.“ Natürlich könnten weiße Menschen Diskriminierung erfahren, etwa weil sie homosexuell, arm, behindert oder alt seien. „Aber es existiert keine historisch verwurzelte Ideologie, die weißen Menschen Minderwertigkeit attestiert, allein weil sie weiß sind.“ Kompliziert sei die Frage, ob weiße Menschen aus Osteuropa oder Juden mit weißer Hautfarbe Rassismus erleben könnten. „Menschen aus Osteuropa erlebten Rassismus, nicht weil sie weiß sind, sondern trotzdem. Jüdische Kontingentflüchtlinge aus Russland erfuhren in der deutschen Gesellschaft zudem Antisemitismus“, so Büyükmavi.

Weißsein schützt nicht vor rassistischer Gewalt

Terkessidis erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Nationalsozialisten Menschen in Osteuropa und die Juden rassistisch-ideologisch abwerteten und aus der quasi weißen ‚Herrenrasse‘ ausschlossen. Eine solche Ideologie führte zum Massenmord. So stellt Terkessidis fest: „Die Übertragung US-amerikanischer Modelle erscheint attraktiv für die Kritik einer rassistischen Gesellschaft, aber es ist notwendig, alle Erfahrungen von historischem Unrecht und aktuellem Rassismus in einem gemeinsamen Rahmen zu betrachten, ohne die Unterschiede zu leugnen.“ Denn: „Die jüngsten Angriffe auf Unterbringungen von Geflüchteten aus der Ukraine zeigen, dass ‚Weißsein‘ keinen Schutz gegen rassistische motivierte Gewalt darstellt. Historisch gesehen, sind in Deutschland Personen mit ‚weißer‘ Hautfarbe auf eine geradezu dramatische Weise von Rassismus betroffen gewesen – das betrifft nicht nur Juden, sondern auch Personen, die als ‚slawisch‘ betrachtet wurden oder auch Südosteuropäer:innen.“

Die Thematik und die Debatte bleibt also kompliziert. Eines wird allerdings deutlich. Gäbe es einen Rassismus gegen weiße Menschen, so ist dieser ein völlig anderer, als jener, von dem Fremdenfeinde, Rassisten oder Antisemiten fabulieren. Wenn solche Ideologen oder argumentativen Nachbrenner den politischen Kampfbegriff „Rassismus gegen Weiße“ vortragen, dann soll dies lediglich die eigene Ideologie kaschieren. Solche politischen Kampfbegriffe verfälschen dabei nicht nur historische Ereignisse oder Begebenheiten – sie sollen nicht zuletzt eine sachliche Diskussion über die Komplexität eines Problems torpedieren respektive destruktiv zerstören.

Rassisten werden den POC den Kolonialismus nie verzeihen

Maaßen raunte in seinem Tweet zudem im Stile eines Verschwörungsmystikers, dass es willige Helfer gebe bei dem „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße […] und [dem] brennende[n] Wunsch das Deutschland verrecken möge.“ Denn „die treibenden Kräfte“ seien „im politischen-medialen Raum“ zu finden. Frei nach dem israelischen Psychoanalytiker Zvi Rix erinnert das alles an etwas: So, wie die Deutschen den Juden Auschwitz und den Holocaust nie verzeihen werden, werden die Rassisten den People of Color auch den Kolonialismus nie verzeihen.

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