Säuseleien vor der Entscheidung
In Kürze dürfte bekannt werden, ob der Verfassungsschutz die AfD als Ganzes als Verdachtsfall betrachtet. Mit Bekenntnissen zum Grundgesetz versucht die Partei, das Unheil noch abzuwenden – zumindest aber die eigene juristische Position in den absehbaren Gerichtsprozessen zu stärken.
In der Führungsetage der AfD wächst die Unruhe. In diesen Tagen beraten Verfassungsschutz und Innenministerium, ob die gesamte Partei vom Prüf- zum Verdachtsfall aufgewertet wird. Es hätte gravierende Konsequenzen für die AfD, wenn just zu Beginn eines Jahres mit Bundestagswahl und sechs Landtagswahlen klar würde, dass der Inlandsgeheimdienst sie genauer in den Blick nimmt. Auch nach innen bliebe die Adelung als Verdachtsfall nicht ohne Wirkung. Mitglieder, die im öffentlichen Dienst arbeiten – vorneweg die, die bei Bundeswehr oder Polizei ihre Brötchen verdienen – könnten ins Grübeln geraten, ob es so ratsam ist, einen Parteiausweis der AfD zu besitzen.
Ihr Landesverband in Hessen, so berichtete dieser Tage der Hessischen Rundfunk, verlor schon im vorigen Jahr mehr als zehn Prozent seiner Mitglieder – und das ganz ohne Verfassungsschutzbeobachtung. Wenig spricht dafür, dass Hessen ein Sonderfall wäre. Aber viel spricht dafür, dass die AfD einen weiteren Aderlass erleben würde, fände sich die Partei im kommenden Verfassungsschutzbericht wieder.
Insbesondere Bundessprecher Jörg Meuthen will noch verhindern, was nach Ansicht nicht weniger Spitzenleute der AfD gar nicht mehr zu verhindern ist. Seine „Brandrede“ vom Kalkarer Parteitag war auch der Versuch, die Delegierten auf sein Konzept einzuschwören: eine AfD, die kaum minder radikal ist, aber eine, die unter dem Radar der Verfassungsschützer bleibt. So ganz ging die Rechnung damals im November nicht auf: Zwar hatte Meuthen am Ende eine Mehrheit der Delegierten auf seiner Seite, doch sein Vorsprung war äußerst knapp. Vielmehr wirkte die AfD, als würde der Riss die Partei in zwei annähernd gleich große Lager spalten.
Einigkeit simuliert
Anfang dieser Woche gelang ihr hingegen das Kunststück, einig zu erscheinen. Eine „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ verbreitete ihr Pressesprecher am späten Montagnachmittag. Alle 14 Vorstandsmitglieder haben unterschrieben, dazu der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, die Chefs von 15 der 16 Landesverbände, der Vorsitzende der Programmkommission, die Vorsitzende des Bundeskonvents und der Chef der „Jungen Alternative“. Der Namenszug von angeblich „Gemäßigten“ neben dem von „Flügelanten“: Meuthen neben Björn Höcke, Beatrix von Storch neben Stephan Brandner, Hamburgs Landessprecher Dirk Nockemann neben Sachsen-Anhalts Landesvorsitzendem Marin Reichardt: So viel lagerübergreifende Gemeinsamkeit ist selten in der Partei.
„Immer wieder wird seitens der Medien, des politischen Gegners und der von ihm instrumentalisierten Ämter für Verfassungsschutz unterstellt, die AfD vertrete einen Volksbegriff, der auf das Ethnisch-Kulturelle verengt sei und daher gegen die im Grundgesetz festgeschriebene Menschenwürdegarantie verstoße“, klagen die 34 Unterzeichner:innen. Wer nicht dem ethnisch definierten Volk angehöre, so werde suggeriert, dem wolle die AfD staatsbürgerliche Rechte oder gar elementare Menschenrechte vorenthalten oder entziehen. „Aus dieser haltlosen Verdachtskonstruktion wird die Behauptung verfassungswidriger Bestrebungen unserer Partei abgeleitet und ihr das Prädikat ,demokratisch‘ abgesprochen.“
„In Anatolien entsorgen“
Als „Rechtsstaatspartei“ bekenne sich die AfD vorbehaltlos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. „Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht“, erklärt die versammelte AfD-Spitze. Gleichwohl sei es ein völlig legitimes politisches Ziel, „das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen langfristig erhalten zu wollen“. Die AfD lade „alle Deutschen – ohne wie auch mit Migrationshintergrund – ein, mit uns gemeinsam an einem friedlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen und selbstbewussten Deutschland zu bauen“.
Alle Deutschen – ohne wie auch mit Migrationshintergrund – sind eingeladen? Aydan Özoğuz, ehemalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, wird sich anders erinnern. Über sie sagte der heutige Ehrenvorsitzende Alexander Gauland im Sommer 2017 bei einem Wahlkampfauftritt im thüringischen Leinefelde-Worbis: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ Was fiel Meuthen damals dazu ein? Er sagte: „Allerdings, lieber Alexander Gauland, habe ich so meine Zweifel, ob man den Anatolen die Gesellschaft dieser Dame zumuten kann.“ Und weiter: „Überhaupt, Ihre Bescheidenheit, nur diese eine Person entsorgen zu wollen, erscheint mir hier ausnahmsweise unangebracht.“
Völkisches gehört zur AfD-DNA
Der ethnisch-kulturelle Hintergrund spielt keine Rolle für die AfD? Für Björn Höcke zum Beispiel sehr wohl: „Die Weißen und die Schwarzen setzten sich vor ihrer Amerikanisierung aus mehreren hochdifferenzierten Völkern mit eigenen Identitäten zusammen. Jetzt sind sie in einer Masse aufgegangen. Diesen Abstieg sollten wir Europäer vermeiden und die Völker bewahren.“ Auch wie lange eine Einbürgerung oder die der Vorfahren zurückliegt ist für die AfD unwichtig?
Benjamin Nolte, Ex-Vorstandsmitglied in Bayern, sieht das anders: „Deutschland muss das Land der Deutschen bleiben, das Land derjenigen, die hier seit Generationen leben, arbeiten, Steuern zahlen, die dieses Land aufgebaut haben und es erhalten wollen, die es lieben und wertschätzen, die unsere Kultur leben und unsere Sprache sprechen, die hier ihre Kinder aufwachsen sehen wollen, die unsere Freiheit schätzen und verteidigen wollen, die gerne Deutsche sind und Deutsche bleiben wollen.“ Derweil verlangte Beatrix von Storch die Rückkehr zum Abstammungsprinzip: „Hören wir auf, unsere Staatsbürgerschaft zu verschenken an zu viele, die etwas ganz anderes wollen, als wir.“ Das Völkische, das Rassistische – es gehört zur DNA der Partei.
Die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ ist bereits der zweite Versuch der AfD, ihre Treue zur Verfassung schriftlich zu beteuern. Den ersten hatte sie Ende November, am Vorabend des Parteitags in Kalkar, gestartet. Allerdings war der Vorstoß kaum beachtet worden, weil Meuthens Rede und das ihr folgende Scherbengericht medial alles überlagerte. Einstimmig, so berichtete die Partei seinerzeit stolz, habe ihr Bundesvorstand einen „Grundsatzbeschluss“ zum Thema „AfD und freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gefasst.
Bekenntnis zum Grundgesetz
In dem Beschluss heißt es, die AfD bejahe die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und trete „aktiv für die Wahrung der Demokratie, des Rechtsstaats und für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde ein“. Wenn ein Mitglied sich gegen diese freiheitlich-demokratische Grundordnung richte, sei das „ein sehr schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze der Partei“.
Kritik wurde parteiintern an einem Passus geübt, in dem es um Äußerungen geht, die man in der AfD für verfassungskonform hält, die aber von Sicherheitsbehörden als gegen freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet gewertet werden. In dem erkennbar von einem Juristen formulierten „Grundsatzbeschluss“ beteuert die Partei, sie werde bei Rechtsstreitigkeiten mit Verfassungsschutzbehörden „nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten das Ergebnis der letztinstanzlichen Entscheidung, gegebenenfalls der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, akzeptieren“.
Selbstverständlichkeiten betont
Und weiter, mit dem wohl längsten Satz des Beschlusses: „Falls sich herausstellen sollte, dass bestimmte Äußerungen, die nach Auffassung der AfD verfassungskonform sind, nach der letztinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und gegebenenfalls nach Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht vom Verfassungsschutz zutreffend als Anhaltspunkte für gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen gewertet worden sind, wird die AfD solche Äußerungen künftig unterlassen und mit den Mitteln des Parteiordnungsrechts dies auch gegenüber ihren Mitgliedern durchsetzen.“
Manchen, die den Radau lieben, geht das zu weit – heißt es nach ihrem Verständnis doch, dass sich die Partei Richter:innen in Karlsruhe unterwirft, die der verlängerte Arm der Politiker:innen in Berlin sind. Aber aus anderen Gründen drängen sich tatsächlich Fragen zu dem Beschluss auf. Zum Beispiel die: Wie muss es um eine Partei bestellt sein, die sich gezwungen sieht, Selbstverständlichkeiten extra zu betonen – zum Beispiel die Selbstverständlichkeit, dass man letztinstanzliche Gerichtsurteile akzeptiert.