Sachverständige im Bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss: „Bekennerschreiben sind zu unterlassen“
Am Dienstag den 27.11.2012 hatte sich der NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags externe Sachverständige geladen. Dabei präsentierten die Politikwissenschaftler Dr. Steffen Kailitz (TU Chemnitz), Hajo Funke (FU Berlin) und die als Rechtsextremismusexpertin anerkannte freie Journalistin Andrea Röpke ihre Einschätzung zur Entstehung des NSU und gaben Stellungnahmen zu den Fragen des Ausschusses ab. Bei den anwesenden Landtagsabgeordneten dürfte dabei die Frustration über die eigenen Sicherheitsbehörden erneut gestiegen sein.
Kailitz
Als erster der drei Experten referierte Steffen Kailitz. Er beschäftigte sich mit zentralen Akteuren und Organisationen in Bayern und zeichnete anhand der führenden Köpfe Matthias Fischer, Sascha Roßmüller und Norman Bordin die personellen Kontinuitäten nach. Er ging auch auf die führenden Kameradschaften der Zeit des NSU-Terrors, die Fränkische Aktionsfront und die Kameradschaft Süd ein. Er äußerte die Vermutung, dass die Morde mit den nahen Wohnungen führender Aktivisten oder Treffpunkten der Neonazi-Szene zu tun haben könnten. Dieser möglichen Theorie, dass mit den Morden und der Verunsicherung der dort lebenden MigrantInnen die Schaffung „nationalbefreiter Zonen (Konzept des NPD-Hochschulbundes) gefördert werden sollte, wird man aber widersprechen müssen. Nach Angaben von Kennern der lokalen Gegebenheiten bestand diese Nähe zum Zeitpunkt der Taten so nicht bzw. nicht mehr.
Kailitz ging auch auf den Bericht des italienischen Inlandsgeheimdienstes an den bayerischen Verfassungsschutz ein, das dem BR-Magazin „quer“ zugespielt wurde. Sollte es sich bestätigen, dass bayerische und ostdeutsche Neonazis ein den NSU-Taten ähnliches Terrorkonzept „nach Südtirol exportieren wollten“, dann muss der „NSU-Komplex“ als deutlich größer begriffen werden als es zur Zeit der Fall ist, so Kailitz. Und auch die eine mögliche NPD-Beteiligung müsse dann neu bewertet werden. Angeblich nennt der Bericht, den Kailitz nach eigenen Angaben nur aus der Berichterstattung kennt, neben Ralf Wohlleben die bayerischen Akteure Norman Bordin (Freies Netz Süd) und Uwe Meenen (Bund Frankenland, NPD Berlin) als mögliche „Exporteure“.
Er ging davon aus, dass der NSU „nicht ziellos“ nach München und Nürnberg gefahren ist und die Opfer „ad hoc ausgewählt“ hat. Er hielt eine Beteiligung lokaler Akteure für wahrscheinlich. Andrea Röpke stimmte dem in ihren Ausführungen zu, besonders weil nicht geklärt sei, wer einen Teil der Bekenner-DVDs vor Ort in die Briefkästen der Adressaten eingeworfen habe und Beate Zschäpe es wegen ihrer Fluchtroute nicht gewesen sein kann. Gegen eine Zielauswahl „ad hoc“ spricht auch, dass der Schlüsseldienst von Theodoros Boulgarides, dem 7. Opfer, nach außen hin nicht als Geschäft „eines Migranten“ erkennbar gewesen sei, so ein Journalist am Rande der Anhörung. Der Schlüsselnotdienst lief bekanntlich unter dem Namen „Schlüsselwerk“.
Funke
Prof. Hajo Funke ging es in seinem Gutachten eher um die ideologischen Leitlinien. Er führte diese zurück bis zur „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GdnF) um Michael Kühnen. Akteure seien noch heute aktiv, beispielsweise der umtriebige Christian Worch (Die Rechte) oder der Österreicher Gottfried Küssel, der über gute Kontakte zum bayerischen Kameradschaftsnetzwerk Freies Netz Süd verfügt. Die GdnF sah sich in einer „Kampfzeit“ und in dieser gehöre „Gewalt zum Programm“. Funke sah vor allem die Veranstaltungen der Holocaust-Leugner und Revisionisten Anfang der 1990er Jahre als zentrale Vernetzungstreffen an und die Gedenkveranstaltungen rund um Rudolf Heß.
Er erinnerte an die zentrale Bedeutung von Kai Dalek für die Neonazi-Szene. Dieser hatte mit dem „Thule-Netz“ eine neue Vernetzungsmöglichkeit für die Neonazi-Szene geschaffen. Zudem gilt er als einer der Schlüsselfiguren im Ausspähen der politischen Gegner, der sogenannten „Anti-Antifa“- Arbeit. Auch Andrea Röpke bestätigte, dass sie
Dalek immer als zentrale Figur der bayerischen Szene wahrgenommen habe.
Dalek stand aber zeitweise „im Staatsdienst“. Er beschaffte dem Bayerischen Verfassungsschutz Informationen und wurde dafür bezahlt. Das wurde bestätigt. Seine Beweggründe müssen dagegen noch geklärt werden. Er könnte sowohl ideologischer Überzeugungstäter gewesen sein, laut Süddeutscher Zeitung steht aber auch eine Rolle als „ideologisch neutraler“ verdeckter Ermittler im Raum. In diesem Fall hätte der bayerische Staat über einen „Mittelsmann“ die Neonazi-Szene in den 1990er Jahren aktiv mit aufgebaut. Da wäre Dalek als reiner V-Mann noch der kleinere Skandal.
Funke kritisierte zudem die Zuarbeit des Bayerischen Verfassungsschutzes für die Polizeibehörden. Bekanntlich hatte der Verfassungsschutz erst neun Monate nach der Anfrage der „BAO Bosporus“ eine unzureichende Namensdatei mit Neonazis geliefert. Angeblich, so Funke, fürchtete man beim weitergehenden Informationsaustausch um die Existenzberechtigung des Dienstes. Er bestärkte die Landtagsabgeordneten ihn ihrem Aufklärungsinteresse. Dies sei deutlich mehr im Sinne des Staatswohles als die Geheimhaltungsversuche der Geheimdienste.
Röpke
Andrea Röpke erinnerte zu Beginn ihrer Ausführungen an die Kontinuität rechtsextremen Terrors in der Bundesrepublik. Gruppen habe es seit 1945 gegeben. Auch diese hätten sich schon durch Banküberfälle finanziert wie später der NSU. Wenn diese Taten von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden oder mussten, wie beispielsweise das Oktoberfest-Attentat, wurden die Taten Einzeltätern zugeschrieben und konsequent die Vernetzung und die Konzepte dahinter ignoriert.
Sie erinnerte dabei vor allem an die Bedeutung der „Gefangenenbetreuung“ für die rechte Szene. Auch Mundlos und Zschäpe hatten sich laut Röpke vor ihrem Untertauchen dort engagiert und rechtsextremen Straftätern geschrieben oder sie sogar besucht. Sie verbanden damit wohl die Hoffnung, bei eigenen Haftstrafen ebenso Zuspruch zu erfahren. Zschäpe „betreute“ so einen in Amberg einsitzenden Straftäter.
Und die Fluchtstrukturen der Szene hätten nicht nur im NSU-Fall funktioniert. Sie benannte hier als Beispiele die Flucht Gerhard Ittners, der nach jahrelanger Flucht in Portugal gefasst wurde und die des Mörders Hendrik Möbus, dem die Flucht in die USA gelang. Nach dem Verbot der „Hilfsgemeinschaftschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG) wurde relativ schnell mit dem „Freundeskreis Gefangenenhilfe“ eine neue Struktur etabliert. Dort fordert man auch schon unverhohlen „Freiheit für Wolle“, dem Szenenamen des mutmaßlich engsten Helfers des NSU, Ralf Wohllebens.
Beleuchtet werden muss für Röpke auch das Blood and Honour – Netzwerk. Dieses sei jahrelang nicht mal in den Verfassungsschutzberichten der Länder erwähnt worden und nach dem Verbot dann auch schnell bei vielen Sicherheitsbehörden wieder in Vergessenheit geraten. Dabei fand das untergetauchte Trio zuerst über Blood and Honour –Bekanntschaften Unterschlupf. Und diese standen auch wie weitere Helfer auf der in der Garage gefundene Telefonlisten. Das „who is who“ der wichtigsten Helfer war bekannt. Hier waren sich alle drei Experten auch einig. Hätten die Sicherheitsbehörden genau hingeschaut, hätte die beste Chance bestanden, das Trio vor den Morden zu schnappen.
„Blood and Honour“ dürfe auch nicht weiter als reines Musiknetzwerk für Rechtsrock verharmlost werden. Zwar finanziere sich das Netzwerk so, verstünde sich auch als Netzwerk zum „Rassenkrieg“. Der angeschlossene Terrororganisation „Combat 18“ propagiere ein Konzept der Kleinstgruppen und des „führerlosen“ Widerstandes. Die Strategiekonzepte forderten zudem: „Bekennerschreiben sind zu unterlassen“. Mit dem Hinweis auf die bestehenden Konzepte setzte Röpke den wohl deutlichsten Kontrapunkt zu den bisherigen Ausführungen bayersicher Sicherheitsbehörden vor dem Ausschuss. Diese beriefen sich ja immer wieder darauf, ein rechtsextremer Hintergrund wäre wegen fehlender Bekennerschreiben
unwahrscheinlich gewesen.
Und auch einen weiteren Kontrapunkt konnten die Experten gegenüber den Sicherheitsbehörden setzen. Beim NSU handelte es sich keinesfalls um eine hermetisch nach außen schweigende Gruppe, an „die mit nachrichtendienstlichen Mitteln nicht heranzukommen war.“ Bekanntlich meldeten einzelne V-Leute weiter, dass die drei Untergetauchten keine Spenden mehr benötigten und sich Waffen besorgen wollten. Der NSU verschickte ein etwa vierzig Zeilen langes „Anschreiben“. Dieser „NSU-Brief“ war zwar kein Bekennerschreiben, aber doch ein deutlicher Hinweis an Kameraden, dass es eine Gruppe gibt, die illegale Aktionen durchführt, im Untergrund agiert und über Geld verfügt. Dem Brief sollen jeweils auch Geldspenden beigefügt gewesen sein. Er ging wohl an zehn Organisationen, darunter zwei von Jürgen Rieger. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ ging auch ein Schreiben an das von Matthias Fischer (Fürth) verantwortete Fanzine „Der Landser“. Der Brief war bezeichnenderweise nicht in den Unterlagen des Untersuchungsausschusses enthalten. Noch nicht geklärt sei für Röpke zudem, ob in dem „Döner-Killer“ Song nicht doch Täterwissen verarbeitet wurde. Sie verwies hier auf die zahlreichen Querverbindungen von Helfern und Bekannten des NSU zum Label PC-Records, in dem der Song veröffentlich wurde.
Auf Nachfragen von Abgeordneten gab sich Röpke selbstkritisch. Sie wusste von dem Untertauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Sie führte Zschäpe auch im Buch über rechtsextreme Frauen auf. Verfolgt habe sie die Mordserie wegen eines anderen Recherche-Schwerpunkts zur damaligen Zeit nicht. Aber spätestens nach dem Nagelbomben-Anschlag in Köln 2004 hätte man hellhörig werden müssen im journalistischen Bereich. Dieser Anschlag sei den Konzepten und Vorbildtaten von „Combat 18“ in Großbritannien gefolgt. Hier hätte man sich nicht auf die Festlegungen der Sicherheitsbehörden verlassen dürfen. Hier kritisierte auch Funke die Sicherheitsbehörden in NRW scharf. Die Verneinung eines terroristischen Hintergrunds sei nur wenige Stunden nach dem Anschlag erfolgt und ohne größere Ermittlungen. Auch ein genaueres Hinsehen und Aufdecken der Netzwerkstrukturen hätte nach Einschätzung der Experten schneller auf die Spuren des NSU führen können.
Die Abgeordneten zeigten sich beeindruckt von den Ausführungen der Sachverständigen, die noch zahlreiche weitere Erkenntnisse und Verbindungen zu Tage förderten. Florian Ritter (SPD) wollte scherzhaft wissen, auf Basis wie vieler V-Leute sie denn zu ihren Erkenntnissen gekommen wären? Michael Piazolo (Freie Wähler) äußerte die Mutmaßung, dass Verfassungsschützer, die sich den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigen, mehr wissen müssten. Man habe aber, so Piazolo nüchtern, das pure Gegenteil erlebt.