Am Landgericht Dresden wurde heute das Urteil im Prozess um die gelöschte Facebook-Seite der NPD Sachsen verkündet: Die Neonazi-Partei gewann den Rechtsstreit mit dem Medienunternehmen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, dürfte aber bereits ein doppeltes Signal senden: Der Social-Media-Konzern wird angreifbarer für klagefreudige Nutzer und vor allem Rechtsextreme dürften die großzügige Auslegung der Meinungsfreiheit im Netz freuen.
Freitag,
11. Januar 2019
Redaktion
Triumphierend grinsen die NPD-Funktionäre Jens Baur und Peter Schreiber in die Pressekamera kurz vor der Urteilsverkündung im Landgericht Dresden. Nicht zu Unrecht, denn Facebook unterlag der rechtsextremen Partei heute in erster Instanz vor dem Landgericht Dresden. Die NPD verklagte das irische Tochterunternehmen des US-Medienkonzerns im November, nachdem die Facebook-Seite des sächsischen Partei-Verbandes zuvor von der Social-Media-Plattform gelöscht wurde. Als Grund gab man damals Hasspostings an. Das Unternehmen muss die Sperrung nun vorerst rückgängig machen.
„Krimigrant“ und „Asylschwindler“ seien unproblematisch
Per einstweiliger Verfügung forderte das Gericht Facebook nicht nur zur Wiederherstellung der NPD-Seite auf, sondern untersagte dem Social-Media-Dienst auch die meisten zuvor gelöschten Posts in Zukunft erneut zu entfernen. Im Klartext: Beiträge, in denen Flüchtlinge als „Asylschwindler“ und „Islamisten“ bezeichnet oder transsexuelle Bundeswehrangehörige als Schande „deutschen Soldatentums“ und Grund zum „Erbrechen“ verunglimpft werden, seien demnach vom Grundgesetz gedeckte Meinungsäußerungen. Der bei Rechtsextremen beliebte Kampfbegriff „Krimigrant“ sei zwar „eine Wortneuschöpfung deren geistige Höhe man unterschiedlich bewerten kann, aber keine Hassrede“, so der Vorsitzende Richter.
Lediglich Werbepostings für die Rechtsrock-Band „Die Lunikoff Verschwörung“ und ein Aufruf an Syrer und Iraker Deutschland zu verlassen, seien laut den Richtern problematisch, reichten jedoch nicht aus, um eine komplette Löschung zu rechtfertigen. Immerhin gelten Grundrechte wie die Meinungsfreiheit auch im privaten Raum des sozialen Netzwerks – und das vor allem für politische Parteien.
Intransparenz und Unverhältnismäßigkeit
Zudem hielt sich Facebook nach Ansicht des Gerichts nicht an seine eigenen Gemeinschaftsregeln: Die AGBs des sozialen Netzwerks sehen bei Regelverstößen nämlich nicht sofort einen kompletten Ausschluss von der Plattform vor. Auch einzelne Post können gelöscht, oder Nutzer temporär gesperrt werden. Dass das Profil der NPD nach wenigen gelöschten Beiträgen direkt entfernt wurde, sei ein unverhältnismäßiger Schritt gewesen. Facebook habe direkt „zum schärfsten Schwert gegriffen“, so Thomas Ziegler, Pressesprecher des Landgericht Dresden.
In der Tat erscheinen die Regeln, nach denen auf Facebook über Löschungen entschieden wird, bestenfalls als intransparent. Gruppierungen wie die NPD-Jugendorganisation JN etwa zählen die Moderatoren des sozialen Netzwerks als „Hassorganisationen“. Gelöscht werden diese Seiten, so die Richter, aber nicht - obwohl sie in unorganisierter Form Hass schüren würden. Tatsächlich wurde die Seite des JN-Bundesverbandes in der Vergangenheit mehrfach gesperrt, auch zum Zeitpunkt des Verfassens war sie auf der Plattform nicht zu erreichen.
Facebook - (k)ein Online-Hinterzimmer?
Das Urteil verdeutlicht: In Zeiten von Online-Wahlkampf und Social-Bots ist Facebook kein isolierter Privatraum mehr, es ist ein Teil der Öffentlichkeit. „Insbesondere für nicht-etablierte Akteure, die sonst über wenig Medienaufmerksamkeit verfügen“ werden soziale Medien immer wichtiger, sagt Dr. Christian Nuernbergk, Medienwissenschaftler an der Uni Trier. Für viele Nutzer sei Facebook mittlerweile wie ein „Zugang zum Netz selbst“. Das soziale Netzwerk sei aber nicht die einzige Plattform dieser Art, „auch im Internet gibt es Alternativen“. Nuernbergk betont zudem, dass soziale Plattformen, anders als der Staat, nicht unmittelbar dazu verpflichtet seien, die Meinungsfreiheit zu gewährleisten. Schließlich können private Betreiber eigene Regeln aufstellen, denen Nutzer durch ihre Registrierung zustimmen.
Der Fall am Landgericht Dresden ist allerdings nicht der erste Prozess, in dem Nutzer gegen Eingriffe durch Facebook vorgehen. Erst kürzlich klagte eine linke Aktivistin erfolgreich gegen eine Sperre auf der Plattform. Unter Juristen scheint also allmählich ein Sinneswandel einzusetzen.
Für Rechtsextreme und Rechtspopulisten dürfte die Entscheidung derweil ein positives Signal sein: Trotz des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, gegen das Rechte Sturm liefen und Staatszensur prophezeiten, lassen sich rassistische und anderweitig diffamierende Kommentare im Netz durchaus als legitime Meinungsäußerungen verteidigen - zur Not auch per Anwalt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ob die Facebook Ireland limited in Berufung gehen wird bleibt offen, die Vertreter des Medienkonzerns erschienen nicht zur Urteilsverkündung.
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