„Reichsbürger“ spielen Bürgerwehr

In Sachsen ermittelt die Soko Rechtsextremismus gegen dubiose Hilfspolizisten – Aktivitäten aus dem Reichsbürger-Spektrum haben auch andernorts die Behörden auf den Plan gerufen.

Mittwoch, 19. Dezember 2012
Horst Freires

Als vor wenigen Wochen ein Gerichtsvollzieher in der Gemeinde Bärwalde (Kreis Meißen) seine Arbeit verrichten wollte, wurde er von herbeigerufenen Männern in blauen Uniformen festgenommen, die sich als Angehörige des Deutschen Polizei-Hilfswerkes ausgaben. Gegen diese dubiosen Hilfssheriffs ermittelt jetzt die Sonderkommission (Soko) Rechtsextremismus der sächsischen Polizei.

Die in Bürgerwehr-Manier agierende Gruppe von knapp 20 Männern soll aus dem Umfeld von so genannten „Reichsbürgern“ stammen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen und für die Verbindungen in die rechte Szene kein Hindernis sind. Einige Landesverfassungsschutzbehörden haben diesen speziellen Personenkreis deshalb auch auf ihrem Radar. Zulauf finden die häufig mit wechselnden Namen operierenden  Organisationen, die ihren Anhängern eigene Phantasie-Ausweispapiere ausstellen, nicht selten bei Personen, die mit Behörden und Justiz aus unterschiedlichen Gründen im Clinch liegen oder in Verwaltungsgerichtsprozessen unterlegen sind. Ihren gesamten Zorn projizieren sie dann auf die in ihren Augen nicht vorhandene Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik Deutschland, ihre Gesetzgebung, Rechtsprechung und tätigen Organe.

In etlichen Fällen bleibt es nicht bei verschwörungstheoretischem Protest, sondern geht fließend in rechtsgerichtetes Gedankengut über. Die Ergreifung von Selbstjustiz zeigt allerdings eine neue Qualität der Arbeit dieser ansonsten häufig als Querulantentum verharmlosen Aktivitäten von Reichsbürgern. Genau solche „Einsätze“ sind auf Schulungen in den vergangenen Jahren offenbar trainiert worden. Grüne und Linke haben den aktuellen Vorfall jedenfalls im sächsischen Landtag publik gemacht. Als einer der Uniformierten wurde nach Angaben der „Leipziger Volkszeitung“ der ehemalige Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Volker Schöne, erkannt.

Kommissar des „Zentralrats Europäischer Bürger“

Auch in Schleswig-Holstein erhitzt ein Aktivist aus dem Reichsbürger-Spektrum derzeit die Gemüter. Mit einem angeblichen Hilfsprojekt für den Küstenschutz von Sylt ist der Mann aus Elmshorn, ein selbständiger Fotograf,  jetzt ins Gerede gekommen. Bernd V. lässt minderjährige Mädchen, die zum Teil erst zehn Jahre alt sind, leicht bekleidet vor seiner Kamera posieren, um damit Geld für die Nordseeinsel zusammenzutragen. Das hat V. jetzt Kritik vom Kinderschutzbund eingebracht. Das Landesamt für Küstenschutz distanziert sich ebenso von der Aktion wie die Tourismusdirektion Sylt. Die Stiftung Küstenschutz Sylt wird sogar noch deutlicher. Deren Vorsitzender Helge Jansen sagt, man habe V. schon vor Jahren abblitzen lassen, als der im Namen der Stiftung einen Erotikkalender vermarkten wollte. Viele seiner aktuellen Kritiker wissen nichts von V.s Betätigung bei den Reichsbürgern.

V. titulierte sich 2007 als Kommissar des „Zentralrats Europäischer Bürger“ (ZEB). Die Gruppierung agiert seit geraumer Zeit unter der Regie von Mustafa Selim Sürmeli von Stade aus. Sürmeli bietet im Namen des ZEB gegen Zahlung eines erklecklichen Geldbetrages eine Ausbildung zum so genannten „Kommissar für Menschenrechte“ an. Im Zusammenhang mit solch einer Schulung in Krefeld erfolgte folgender Verhaltenshinweis für die Anmeldung in der als Quartier dienenden Jugendherberge: „Vorsicht, nicht als Rechtsradikaler in Erscheinung treten oder als Nazi!“

„Menschenrechtsgottesdienst“ vor dem Reichstag

Die Masche mit der Nutzung der Jugendherberge als Unterkunft während einer Schulung war bereits im Vorjahr im schleswig-holsteinischen Neumünster praktiziert worden. Dort wurde das mehrtägige Treiben in einem angemieteten Fabrikkomplex aber von der Polizei unterbunden. Die Staatsanwaltschaft Kiel hat in diesem Fall ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Die Prüfungen der Anklagebehörde gehen dabei in mehrere Richtungen. Zum einen werde nach Auskunft der Staatsanwaltschaft wegen Betruges ermittelt, aber auch der Verdacht des Titelmissbrauchs, der Amtsanmaßung, der Nötigung und das unbefugte Nutzen von Waffen sind weitere Aspekte, mit denen sich die Kieler Behörde beschäftigt.

Auch aus dem Ort Bietigheim in Baden-Württemberg wurde solch eine Schulung bekannt. Der ZEB gibt ein Spendenkonto unter dem Namen des aus dem Örtchen Langula kommenden Klaus-Werner Hagel in Thüringen an.

Einen öffentlichen Tumult gab es am 3. Oktober 2011, als Sürmeli und andere Gefolgsleute sich vor dem Berliner Reichstag zu einem so genannten „Menschenrechtsgottesdienst“ versammelten und der Anordnung der Polizei, die nicht angemeldete Versammlung aufzulösen, nicht folgen wollten. Im Internet war das Treffen dagegen angekündigt worden. V. war nach eigenen Angaben ebenfalls vor Ort. Beschäftigt man sich mit den Reichsbürgern und ihrem Netzwerk, stößt man auch schnell auf die „Republik Freies Deutschland“. Dieser selbst ernannte Zusammenschluss propagiert beispielsweise einen Steuerboykott, hat sich aber intern zum wiederholten Mal in Form personeller Zerwürfnisse zerstritten.

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