Seminar in der Südheide

Reichsbürger-Netzwerke - nicht rechtsextrem?

Sie werben verstärkt in rechtsoffenen Kreisen für ein Staatssystem wie das des Deutschen Kaiserreiches und vernetzen sich unermüdlich. Unterstützung finden Reichsbürgergruppen wie der „Verband Deutscher Wahlkommissionen“ (VDWK) dabei durch erfahrene Revisionisten. Im niedersächsischen Wesseloh war einer der Köpfe der Holocaustleugner-Szene dabei. 

Mittwoch, 08. Januar 2025
Andrea Röpke / Olaf Meyer
Der Tagungsort für das mehrstündige Seminar in der Südheide (c) isso.media
Der Tagungsort für das mehrstündige Seminar in der Südheide (c) isso.media

Vernetzungsbemühungen kennzeichnen die reichsideologische Szene. Allein dem Telegramkanal des „Verband Deutscher Wahlkommissionen“ (VDWK) gehören fast 2.000 Mitglieder an. Diese Dachorganisation führt sogenannte Flaggenläufe wie in Gera mit etwa 1.000 Teilnehmenden durch, ihr Ziel ist die Organisation deutschlandweiter „Gemeindewahlen“ sowie die Reaktivierung des Deutsche Kaiserreichs. Das nächste große Treffen soll am 15. März in Schwerin stattfinden. Es heißt: „Das Deutsche Reich 1871 – 1918 ist die Heimath aller Deutschen.“ 

Dieser „Ewige Bund“ von 26 Völkern sei zur Weltmacht aufgestiegen, sehr zum Ärger englischer Aristokraten, die wollten das nicht zulassen und „zwangen“ Deutschland 1914 zum Krieg, schreibt Frank Meier bei VDWK. Er schwadroniert in der Telegram-Gruppe weiter, 1918 sei es zum „Putsch durch die feigen Sozis“ gekommen und so habe alles „seinen geplanten Lauf genommen“. „Indoktrination, Erschaffung eines Schuldkomplexes seit über 100 Jahren“. Meier: „Das einzige weltweite souveräne Völkerrechtssubjekt DR wurde in den Dreck getreten und mit ihm wir Deutsche“. Es habe dann Pläne gegeben, Deutschland abzuschaffen, doch die Deutschen seien „immer gute Menschen, immer friedlich“ gewesen. Rechtsextremes Vokabular, welches auf offene Ohren stößt. 

Veranstaltungen im Verborgenen

Eine im Kanal des „Verband Deutscher Wahlkommissionen“ beworbene mehrstündige Vortragsveranstaltung mit Referent „Niklas“ im „Landgasthaus Wesseloh“ in der Südheide organisierte eine ortsansässige Heilpraktikerin. Sie nennt sich auf Telegram Fliegenpilzsammlerin und ist im örtlichen Sportverein aktiv. Es wurde um eine „freiwillige Schenkung von 30 Euro“ für den Referenten und die Übernahme seines Essens vom Buffet gebeten. Der Referent betreibt den Telegramkanal „Klas Heimatliebe“ mit über 1.400 Mitgliedern.
 

Referent "Niklas" auf dem Weg zum Seminar. (c) isso.media
Referent "Niklas" auf dem Weg zum Seminar. (c) isso.media

Diverse größere reichs- und verschwörungsideologische Veranstaltungen fanden in den letzten drei Jahren in der Region statt: Eggestorf und Bendingbostel (Arminius Erben), Walsrode (Druschba und Königreich Deutschland), Bad Bevensen (Indigenes Volk Germanitien). Die Teilnehmenden am letzten Sonntag in Wesseloh kamen aus dem Heidekreis, Hannover, Winsen/Luhe, Braunschweig, Gifhorn, Brake und Rotenburg. Es war eine eher kleine Runde von etwa zwei Dutzend Leuten, die scheinbar in die rechtliche Reichsmaterie eingeführt werden sollten.

So ging es u.a. um „Grundsätzliche Informationen zur Geschichte der Staatlichkeit und die elementare Bedeutung der Bodenrechte.“ Diese Szene erkennt die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht an. In einem Vortrag des Referenten Niklas aus Hessen heißt es: „Die Deutschen regieren sich nicht selber, die BRD ist ein Treuhandsystem ohne Selbstregierung.“ Er ruft dazu auf, etwas zu unternehmen und quasi das Grundgesetz durch eine eigene Verfassung zu ersetzen. Unter den Besuchern in der Südheide waren ImpfgegnerInnen, Russlandfreunde, die Mitarbeiterin einer regionalen Solawi, aber vor allem einer der zentralen Köpfe des deutschen Geschichtsrevisionismus: Wolfram Schiedewitz aus Seevetal.

Der Einfluss der Neonazis

Schiedewitz leitet seit Jahren den antisemitischen „Verein Gedächtnisstätte e.V.“ um Holocaustleugner wie Horst Mahler oder die jüngst verstorbene Ursula Haverbeck. Er postet in Kanälen wie „Deutsches Reich“ die Programme seines Vereines im Zentrum Guthmannshausen. Weitere Geschichtsrevisionisten wie Bernhard Schaub, Wolfram Nahrath oder Nikolai Nerling paktieren längst mit der reichsideologischen Staatsverweigererszene.

„Die fremdbestimmte BRD, aus dem Hintergrund geführt vom `Tiefen Staat´ durch Figuren wie Bill Gates und George Soros, muss abgelöst werden durch das eigenständige Deutsche Reich unter Leitung seines Kaisers“, forderte im Mai 2020 der ehemalige Waldorf-Lehrer, völkische Aktivist und Antisemit Bernhard Schaub und plädierte für eine Konterrevolution und die Einsetzung von Prinz Georg Friedrich von Preußen. Nachdem bei den Massenprotesten von Querdenken 711 seit 2020 die Farben des Deutschen Reiches zu einem Aushängeschild mutierten, scheinen solche Forderungen für viele innerhalb des rechten Protestlagers nicht abwegig.
 

Geschichtsrevisionist Wolfram Schiedewitz vom Verein Gedächtnisstätte. (c) isso.media
Geschichtsrevisionist Wolfram Schiedewitz vom Verein Gedächtnisstätte. (c) isso.media

Der mehrfach verurteilte Neonazi Horst Mahler gilt als einer der Gründer der sogenannten Reichsbürger-Szene. Von ihm stammen mehrere zentrale „Argumente“ dieses heterogenen Spektrums wie die Behauptung, der SPD-Politiker Carlo Schmid, einer der Gründerväter des Grundgesetzes, habe dessen Legitimität bestritten. Mahler legte auch die These vor, die Bundesregierung betreibe im „jüdisch-amerikanischen Auftrag“ einen „Umvolkungsfeldzug gegen unser Volk“.

Mahlers Vorstellung, die Bundesrepublik sei eine GmbH, die als „Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich“ tätig ist, greift auch VDWK-Referent Niklas ähnlich in seinen Vorträgen auf. Bei einer rechten Veranstaltung in Göttingen im Mai 2024, die aufgezeichnet wurde, sagte der Mann mit dem roten Bart: „Es geht nicht um Blutvergießen, wir nehmen unsere Rechte wahr. Es geht darum, die Menschen zu erreichen. Die Deutschen haben keine Identifikation mit diesem Landstrich. Wir haben hier keine Deutschen irgendwann. Man kann doch nicht den Barbaren unser Land überlassen!“

Kaum Rechtsextreme in der Reichsbürger-Szene?

Dennoch bleiben die Verfassungsschutzbehörden in der Bundesrepublik bei ihrer gefährlichen Arbeitshypothese, dass diese politische Szene insgesamt nicht rechtsextrem sei. Antisemitismus und Revisionismus als fester Bestandteil der Ideologie reichen demnach ebenso wenig aus wie die Kooperation mit Völkischen und Geschichtsverfälschern. Im niedersächsischen Jahresbericht der Geheimdienstbehörde wird die Anzahl der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ mit 1.080 Personen angegeben. Zwar wird das Phänomen inzwischen unter Rechtsextremismus gelistet, doch tatsächlich behauptet, nur 40 Personen aus diesem Spektrum seien der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen.

Doch genau diese Gruppierungen wie der „Vaterländische Hilfsdienst“, der „Ewige Bund“ oder der „Verband Deutscher Wahlkommissionen“ feiern mutmaßliche Terroristen der „Gruppe Reuß“ als Freiheitskämpfer. So gibt es alleine einen Kanal „VDWK grüßt Prinz Heinrich XIII“. Am 12. Januar soll „zu Ehren von Max Eder und allen politischen Gefangenen – somit auch für Heinrich XIII“ eine Solidaritätsdemo vor dem Gefängnis in Frankfurt am Main stattfinden. Zum Kern der mutmaßlichen Terrorgruppe Reuß gehören neben dem ehemaligen Elitesoldaten Eder auch die Ex-Bundestagsabgeordnete der AfD, Birgit Malsack-Winkemann. Politische Radikalisierung und Vernetzung schreiten weiter voran.

 

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