Reges braunes Treiben im Freistaat

Das rechtsextreme Personenpotenzial in Sachsen ist angewachsen, mehr als die Hälfte davon gilt als gewaltbereit. Der Zugriff auf eigene Immobilien lässt Umfang und Intensität von Aktivitäten der rechten Szene ansteigen.

Mittwoch, 29. Mai 2019
Horst Freires

Besorgniserregend hoch ist die Zahl der landesweit stattgefundenen rassistisch oder antisemitisch motivierten Angriffe, Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen. Da wird selbst vor Kindern kein Halt gemacht. Die Zahl der dem rechten Spektrum zuzurechnenden Personen ist von 2600 auf 2800 angewachsen. Darunter befinden sich 1500 gewaltbereite Kräfte.

Flächendeckend ist der Freistaat ein Tummelplatz rechter Aktivitäten. Diese beschränken sich nicht nur auf die Großstädte, sondern sind auch in ländlichen Gegenden wie der Sächsischen Schweiz stark ausgeprägt. Eine körperliche Auseinandersetzung mit Todesfolge sorgte Ende August in Chemnitz für eine bis dahin ungeahnte Mobilisierungsgeschwindigkeit und -breite innerhalb der rechtsextremen Szene. Eine Schlüsselrolle nahm dabei auch die Wählervereinigung „Pro Chemnitz“ ein, deren Hauptakteure in den Personen Martin Kohlmann und Robert Andres namentlich herausgehoben werden. Beide werden als langjährige Rechtsextremisten tituliert, tauchten in der Vergangenheit allerdings nicht in Verfassungsschutzberichten auf. „Pro Chemnitz“ werden 15 Anhänger zugeordnet.

Selbst ernannte Fußstreifen der NPD

Ein Phänomen, das auch mit „Pro Chemnitz“ in Verbindung gebracht werden kann, ist das Bemühen, Einfluss auf unzufriedene Bevölkerungsteile zu erlangen, die ursprünglich überhaupt nicht dem Extremismus zugeordnet werden können. Entsprechende Einsickerungsbeispiele gehen auch vom Verein „Freigeist e.V.“ aus Schwarzenberg/Erzgebirge aus. Umtriebiger Strippenzieher ist hier Stefan Hartung, der ein NPD-Parteibuch besitzt.

Die NPD hat weiter Mitglieder verloren und sich von elf auf neun Kreisverbände verkleinert. Im Berichtsjahr ist ihre Stärke von 400 auf 300 Personen zurückgegangen. Auch die Jungen Nationalisten haben von 50 Mitgliedern zehn eingebüßt. Maßgebliche Funktionäre in ihren Reihen sind Jens Baur, Peter Schreiber, Jürgen Gansel, Maik Müller, Christian Häger und Paul Rzehaczek. Kontinuierliche Aufmerksamkeit bekamen die Nationaldemokraten mit ihrer Bürgerwehr-Kampagne „Schutzzonen“, auch wenn viele selbst ernannte Fußstreifen meist nur einmal abends für kurze Zeit, in der eine eigene Videoaufnahme gemacht wurde, die Öffentlichkeit in einem Ort oder einer Stadt suchten –Hauptsache, Aktivität und Präsenz wird suggeriert.

„III. Weg“ hat Schlagkraft erhöht

Zugelegt hat hingegen die Kleinstpartei „Der III. Weg, die von 90 auf 125 Mitglieder angewachsen ist – Tendenz steigend. Demonstrationen, „Kümmerer“-Aktionen, Flyer-Verteilungen, Schulungen und Zeitzeugenvorträge – die Neonazi-Partei hat ihre Schlagkraft deutlich erhöht. Man stellte dabei die Konkurrenz von „Die Rechte“ deutlich in den Schatten, die es landesweit nur noch auf 15 Mitglieder bringt. Für die NPD (zum Beispiel „Haus Montag“ in Pirna oder Deutsche Stimme-Verlag in Riesa) sowie „Der III. Weg“ (Plauen) gilt ebenso wie für parteiungebundene Gruppierungen: Sobald eigene Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, nehmen Grad und Anzahl von Veranstaltungen zu, ob es nun Sport- oder Konzertangebote sind. Manchmal genügt aber auch eine regelmäßige Zugangsmöglichkeit für ein bestimmtes Gelände wie etwa in Grimma bei einem Steinbruch.

Die „Identitäre Bewegung“ (IB) stagniert im Freistaat bei 40 Mitgliedern. Als Großevent angekündigt wurde im August ein „Europa Nostra“-Treffen in Dresden, zu dem auch Teilnehmer aus Österreich anreisten. Die Polizei zählte am Ende 350 Besucher. Die IB versucht mittlerweile, nicht nur im studentischen Umfeld Fuß zu fassen, die neurechten Aktivisten buhlen inzwischen auch schon um die Gunst von Schülern, wie ein Beispiel aus Leipzig zeigt. Eine sächsische Regionalgruppe unterteilt sich noch einmal in sechs Ortsgruppen, wobei einige öffentlich nicht wahrgenommen werden. Namentlich nennt der Verfassungsschutz als zwei führende IB-Aktivisten Alexander Kleine und Martin Bader.

Bedeutsamer Kristallisationspunkt ist das Thema Musik. Damit gehen Vertriebs-, Versand- und Labelgeschäfte einher. Größter Anbieter ist dabei PC Records von Steve Geburtig aus Chemnitz. Mit Enrico Böhms „Lokis Truhe“ aus Leipzig taucht in diesem Bereich seit Ende 2017 ein neuer Name auf. In Sachsen wurden zuletzt 27 aktive Bands beziehungsweise Musikprojekte und drei Liedermacher gezählt. Am längsten dabei sind „Sachsonia“ (Dresden) und „Selbststeller“ (Riesa), jüngst gelistet wurde „Thoytonia“ (Hoyerswerda).  2018 zählten die Behörden 25 braune Konzerte und 23 Liederabende. Zahlenmäßig die meisten Besucher erzielten dabei die beiden als politische Versammlungen angemeldeten „Schild- und Schwert“-Festivals des NPD-Bundesvizes Thorsten Heise in Ostritz (Landkreis Görlitz). Dort fand mit 850 Szenegängern auch die bundesweit bislang am stärksten besuchte Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“ statt. 450 Besucher wurden vier Monate zuvor beim erstmalig ausgerufenen „Tiwaz“-Turnier in Grünhain-Beierfeld (Erzgebirgskreis) gezählt.

Schnittmengen zu rockerähnlichen Gruppierungen

In der regen Mischszene zwischen organisierten Neonazis und unstrukturierten Gesinnungskameraden tauchen immer wieder Anbindungen zu radikalisierten und gewaltorientierten Fußball-Fangruppen auf. Ein Beispiel dafür ist die Stadt Chemnitz. Schnittmengen existieren zu Gruppierungen, die sich einen rockerähnlichen Habitus geben. Da ist an erster Stelle „Brigade 8“ zu nennen, die auch über eine eigene Immobilie in Mücka verfügen. Andere gelistete Gruppen sind „Schlesische Jugend Niesky“ (Landkreis Görlitz), „Peckerwood Brotherhood“ (Osterzgebirge) und „Aryan Brotherhood Eastside“ (Bautzen).

Weiterhin als nichtextrem eingestuft wird die Personengruppe um „Pegida“, auch wenn sich rechtsextreme Protagonisten dort im Umfeld oder noch näher dran bewegen, beispielsweise IB-Funktionäre als Redner auftreten. Die Zahl der in der Statistik „politisch motivierte Kriminalität“ dem rechten Spektrum zugeordneten Straftaten ist von 1959 auf 2199 angestiegen. Darunter befanden sich 138 Gewalttaten, nach 95 im Berichtsjahr zuvor.

Von der „Reichsbürger“-Bewegung, der 1400 Kräfte zugeordnet werden – darunter rund 25 Prozent weiblich – zählen sieben Prozent als rechtsextrem. Vielfach sind Aktivisten allein oder in kleinen Zusammenhängen aufgetaucht. Als Gruppen wurden in Sachsen bemerkt: „Bundesstaat Sachsen“ als untergeordneter Teil eines „Deutschen Reiches“, „staatenlos.info-Comedian e.V.“ mit Ablegern im Raum Dresden, Leipzig, Chemnitz sowie die selbst ernannte Vereinigung „Einiges Deutschland“.

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