„Reformpädagogik“ nach russischem Vorbild

Die sogenannte Schetinin-Pädagogik erfreut sich in der Querdenker- wie auch Anastasia-Bewegung großer Beliebtheit. Mit Unterstützung von Völkischen soll der Widerstand in das Bildungssystem getragen werden.

Montag, 11. April 2022
Andrea Röpke / Sebastian Lipp
Der Eingangsbereich des ehemaligen Schullandheims in Lüsche, Foto: isso.media
Der Eingangsbereich des ehemaligen Schullandheims in Lüsche, Foto: isso.media

Der Eintritt in die neue Welt der Schulgründung russischer Prägung kostet 1.350 Euro. Die „Internationale Schul-, Sport- und Kultur-Akademie“ (ISKA) hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein „neues Bildungssystem im deutschsprachigen Raum“ nach dem Vorbild von Michail Petrowitsch Schetinin zu etablieren. Ein ISKA-„Lernanleitersemester C2“ dauert 13 Tage. Hinzu kommen Essenskosten und Beiträge für die Teilnahme von Kindern.

Wer Mitglied der seit 2018 in Oberbayern ansässigen Einrichtung ist, bekommt Rabatt. Dabei sind die Kosten „bevorzugt in bar abzugleichen“, heißt es in der Einladung der ISKA-Akademie. Frauen werden aufgefordert, „bitte auch Röcke und Kleider“ einzupacken.

Unterstützung durch Putin

Das Programm dieses speziellen Seminars vom 13. bis zum 26. März ist angelehnt an das umstrittene russische Schetinin-„Lyzeum“ in Tekos, gelegen am Schwarzen Meer in Russland. „Die Schule und sein pädagogisches System wurden vom russischen V.V. Putin persönlich unterstützt“, heißt es in einer Werbeschrift im Internet.“ Und weiter: „Hauptziel der Schule von M.P. Schetinin ist die geistige Wiederbelebung Russlands, der Dienst am Vaterland, der Dienst am Menschen. Seine Erfahrung wird von Lehrern aus verschiedenen Ländern studiert“.

Teilnehmes des Seminars im niedersächsischen Lüsche, Foto: isso.media
^Teilnehmes des Seminars im niedersächsischen Lüsche, Foto: isso.media

2019 wurde das „Lyzeum“ geschlossen. Das Wirken des im selben Jahr verstorbenen Begründers, Musiklehrer Michail Petrowitsch Schetinin, ist eng verwoben mit der pro-russischen „Anastasia“-Landsitzbewegung. Während dort das Leben und Wirken in nationalistischen, wehrhaften Selbstversorgerdörfern propagiert wird, prägt Schetinin die Programmatik der weltweit zu gründenden, dazugehörigen Kleinstschulen. Rasend verbreitet sich in esoterischen Kanälen und Gruppen digitaler Messengerdienste der Mythos von der russischen Wunderschule, dessen Lehrprogramm den normalen Unterrichtsstoff von elf Schuljahren in nur einem Jahr vermitteln könne.

Gründung von Kleinstschulen

2019, nach dem Skandal um die Schließung der privaten „Weinbergschule“ in Österreich werden in der Bundesrepublik Begrifflichkeiten wie Schetinin, Tekos oder auch Laising weniger offen verwendet. ISKA als Synonym ist bislang wenig bekannt. Als Kooperationspartner der „ISKA-Akademie“ tritt der in Österreich ansässige Verein „Gaudium in Vita“ auf.

In der Nähe von Gifhorn in Niedersachsen, im Dorf Lüsche, wurde ein ehemaliges Schullandheim erworben. Die jetzigen Aktivitäten leiten Steffen und Nicole Wolf, sie ist auch Vorsitzende des Vereines. Die beiden dubiosen Einrichtungen scheinen vom Run auf autarke Lerngruppen und die Gründung illegaler Kleinstschulen – versteckt auf dem Land – zu profitieren.

„Freilernen“

Das Interesse aus den Reihen nationaler Selbstversorger und Querdenkender ist groß,  entsprechende Bildungsangebote für „Freilernen“ und Homeschooling in den Sozialen Medien gibt es zuhauf. „Natürlich lernen ohne Schule“ verspricht „Gaudium in Vita“ auf der Webseite und weiter: „Freilerner im Spannungsfeld von selbstbestimmter Bildung und restriktiver Gesetzeslage“.

Wolf und ihre Mitstreiter*Innen wollen eine Alternative zum staatlich kontrollierten Bildungssystem anbieten, die ideologisch der esoterisch-völkischen Widerstandsbewegung angepasst sein könnte. Eigene Schulen bieten auch Möglichkeiten, anerkannte Wissenschaft und reale Fakten bereits im Umgang mit Kindern in Frage stellen zu können.

Verbindungen zu Völkischen

„Transformationscoach Jacqueline von den Heiligen“ ist eine von denen, die „neue Lernperspektiven“ finanziell anbieten, wie es in einer Werbeschrift heißt, denn : „Das Kollektivgedächtnis und die Schwarmintelligenz ersetzen den Lehrplan.“ Beim „Herbstfest“ des extrem rechten „Familienlandsitz Goldenes Grabow“ in der Prignitz stellte Jacqueline H. ihr „Projekt freilernen“ vor. In ihrem Unterricht solle es keine „Tabus“ geben, das gelte auch für den Geschichtsunterricht. Der solle in Zukunft nicht mehr „polarisieren“. Alle Antworten seien möglich – auch zu Themen wie dem Holocaust.

Brisant in diesem Kontext ist das Zusammenwirken esoterischer „Anastasia“-Hippiekommunen mit nationalistischen „Volksgemeinschafts“- Anhänger*Innen. Seit Jahren werden auch Völkische als Referenten zu den Anastasia-Festivals eingeladen, sie unterrichten Volkstanz, Brauchtum oder altertümliches Handwerk. Auch bei den selbsternannten Lehrangeboten der ISKA-Akademie wird auf diese problematischen Kontakte zurückgegriffen.

Teilnehmer aus ganz Deutschland

Als im März das „Lernanleitersemester“ auf dem Gelände des ehemaligen Landschulheims von „Gaudium in Vita“ in Lüsche stattfindet, wundern sich die Dorfbewohner über die vielen Fahrzeuge aus dem ganzen Bundesgebiet. Rosenheim, Esslingen, Osnabrück, Heidelberg, Bad Kreuznach, Quedlinburg, Märkisch Oderland, Hamburg, Uelzen und Freistadt in Österreich sind vertreten.

Rund 30 Erwachsene und viele Kinder toben über das Gelände mit zahlreichen Gebäuden und hohen Bäumen. Mit dabei sind neben Nicole Wolf, der Betreiberin des Anwesens, auch Friederike J. und Hildrun H. J. baut in Wienrode im Ostharz den Anastasia -Familienlandsitz „Weda Elysia“ mit auf. Schon als Jugendliche wurde sie vom Vater mit zu den Treffen der rassistischen „Artgemeinschaft germanische Glaubensgemeinschaft genommen“.

„Mädchenwandervogel Solveigh“

Die Kerntruppe von Weda Elysia beteiligte sich vor wenigen Wochen am Frühjahrstreffen der rechtsextremen „Artgemeinschaft“ im „Hufhaus“ bei Ilfeld, wie Bilder belegen. Hildrun H.s Familie gehörte laut einem Bericht der „Jungen Freiheit“ 2005 zu den völkischen „Neo-Artamanen“, die Siedlungen in den mecklenburgischen Gemeinden Klaber, Koppelow und in der Nähe von Teterow wiederbeleben.

H. selbst war im bündischen „Mädchenwandervogel Solveigh“ aktiv und besuchte eine Freie Schule in Kempten. Im Ostallgäu traf sie auf Familien aus dem Umfeld rechter Bünde, deren Töchter sich ebenfalls dem „Mädchenwandervogel Solveigh“ anschlossen, darunter die Tochter des AfD-Bundestagsabgeordneten Peter Felser.

Politische Netzwerke

Recherchen des Redaktionsteams „Allgäu rechtsaußen“ weisen auf diese politischen Netzwerke zwischen Rechtsbündischen und Anastasia-Anhängerschaft hin. Zur Hochzeitsfeier der Dorfoberhäupter des „Goldenen Grabow“ in Brandenburg reisten einige der oberallgäuer „Sippenmitglieder“ an, die dem „Freibund“ angehören oder beteiligten sich am Anastasia-Festival als Referenten.

Hildrun H. verließ die deutsche Schule in Bayern und ging zur Schetinin-Schule nach Russland. Mittlerweile darf sie als Referentin von ISKA „Bildung der neuen Zeit“ u.a. beim digitalen „Kinder der Zukunft“-Kongress auftreten. Auch in Lüsche bei Gifhorn ist sie dabei. Gekleidet mit Zopffrisur und im langen Rock, dem Erscheinungsbild rechter Bünde.

Verdacht illegaler Freilerner-Schule

Der SWR berichtete in einer Sendung vom 31. März über neue Schulen der Querdenker-Szene. Diese nutzt Impf- und Maskenverweigerung, um ihre Kinder von anerkannten Schuleinrichtungen fernhalten zu können. So sollen es allein in Baden-Württemberg 30 schulähnliche Gruppen sein, die die Schulpflicht unterlaufen und auf Konfrontation aus sind. In Esslingen führt ein Querdenkender den Streit mit an und schickt laut SWR eine seiner Töchter zum „Lernseminar“ bei „Gaudium in Vita“ im niedersächsischen Lüsche.

Auch bezüglich einer Einrichtung in Essingen gehen das Schulamt Göppingen und das Regierungspräsidium dem Verdacht einer illegalen Freilerner-Schule nach. Am Gehöft des „Junge Freilandmenschen e.V.“ in Essingen prangt am Hoftor ein Schild mit dem Hinweis „Kooperationspartner - Forschungsprojekt Selbstbestimmtes Lernen - Gaudium in Vita“. Auch die von den Behörden aufgelöste illegale Schule in Rosenheim-Schechen mit rund 50 Kindern hatte SWR-Recherchen zufolge Kontakte zu „Gaudium in Vita“.

Immobilienkäufe

Einen Appell, möglichst zahlreich illegale Schulen zu gründen, startete Rowena J. aus Breitenbrunn in Bayern Ende 2021 in einer digitalen Info-Sendung mit Rolf Kron, einem Arzt und schwäbischen Querdenker, der den Nationalsozialismus relativierte und auf der Bühne einen Hitlergruß zeigte. Die selbsternannte Schulgründerin J. fordert öffentlich dazu auf, dass viel mehr Eltern ihre Kinder aus den herkömmlichen Bildungseinrichtungen nehmen sollen, „um damit dem System Stacheln ins Getriebe zu setzen“.

Sie selbst scheiterte mit der Gründung einer Schule im Untergrund. Im Oktober 2021 wies das Fachportal „Allgäu rechtsaußen“ darauf hin, dass sie zu einer Gruppe von Anastasia-Anhängern gehört, die im Allgäu mehrere Immobilien kaufen wollen, um einen Landsitz mit dem Namen „LebensOase“ zu gründen.

Reguläres Schulsystem soll umgangen werden

Bei Infosendungen wie der von Rolf Kron am 7. Dezember vergangenen Jahres traten illegale Schulgründerinnen gemeinsam auf und fanden Unterstützung durch namhafte Corona-Leugnerinnen wie Carola Javid-Kistel. Immer wieder fällt auch der Name des Vereines „Gaudium in Vita“ und der des Ehepaars Wolf, welches im gesamten deutschsprachigen Raum im Falle derartiger Projekte ansprechbar sei.

„Gaudium in Vita“ bietet Impfgegnern und Maskenverweigerern an, deren Kinder über die Webseite zu einem „Forschungsprojekt Selbstbestimmtes Lernen“ anzumelden und offeriert die Möglichkeit, sie so legal von der Schule fernhalten zu können. Der in Österreich ansässige Verein kassiert 120 Euro im Jahr pro erstem Kind. In der Bundesrepublik steht das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates.  Auf Basis der Forschungsfreiheit soll die Schulpflicht umgangen und Freilernen möglich gemacht werden. Die Kultusministerien einer ganzen Reihe von Bundesländern lehnten Anträge des undurchsichtigen Vereines auf Anerkennung ihrer Vorhaben ab.

Kopf der ISKA-Akademie vor Ort

Sogenannte „Bildungsforschungstage im Bereich der pädagogischen Methodik nach Schetinin“ führt die ISKA-Akademie durch. Die Veranstaltungsorte werden vorher nicht öffentlich bekannt gegeben. Ein „Bildungsforschungstag“-Seminar für den 13. Februar wurde mit dem „Raum Uelzen“ beworben und fand in Masendorf statt. Die Teilnahme kostet 120 Euro pro Erwachsenem, 90 Euro für Partner. Der „Bildungsforschungstag“ fand ausgerechnet auf dem Hof einer Familie des „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ statt. Dieser Jugendbund wird als rechtsextrem in den Niedersächsischen Jahresberichten des Landesverfassungsschutz geführt. Auch hier wird die Verwobenheit zwischen völkischen Sippen und aus Russland stammender Anastasia-Bewegung sichtbar.

„Gaudium in Vita“-Vorsitzende Nicole Wolf beteiligt sich am 13-tägigen Schulgründer-Seminar im März auf ihrem Anwesen. Sie tanzte Reigentänze mit, bei denen auch der mutmaßliche Kopf der ISKA-Akademie Josef B. aus Schleswig-Holstein zu sehen war. B. besuchte mehrmals die Tekos-Schulen in Russland und steht daher in der deutschen Schetinin-Hierarchie weit oben.

Anonymous Germany

In einer vom Hacker-Kollektiv „Anonymous Germany“ zur Verfügung gestellten E-Mail schreibt „Josef“ im Namen des ISKA-Teams und wünscht schöne Feiertage. Er begrüßt, dass „Immer mehr Menschen“ sich für die Schetinin-Methodik begeistern würden. „Das, was wir gesät haben und weiter säen werden, ist wichtig für jetzt und die nahe und die weite Künftigkeit. Gemeinsam sind wir stark.“. Der aus Kasachstan stammende Arzt vertritt als Verbandspräsident eine russische Kampfsportart in der Bundesrepublik und fiel in der Vergangenheit aus dem Umfeld der Reichsbürgerszene auf. Ein Video zeigt B. als Vertreter für eine „Freie Wähler Initiative Neubeginn Deutschland“.

Auch Nicole Wolf von „Gaudium in Vita“ ist nicht neu im politischen Geschäft. In der Vergangenheit gehörte sie der „Deutschen Mitte“ an. Die „Ökologische Partei Deutschlands“ soll sie laut SWR-Recherchen im Eklat verlassen haben, weil sie sich weigerte, einen Abgrenzungsbeschluss gegen die AfD und andere rechte Parteien mitzutragen.

Verein spricht von „medialen Diffamierungsvorwürfen“

Als Sängerin der „Coline Wolf Band“ trat die Frau mit dem Kurzhaarschnitt bei Anti-Corona-Protesten in Hannover auf. Ende Februar moderierte sie dann eine rechte Großdemonstration in Gifhorn mit über 2.000 Teilnehmern, die von einem „Querdenken“-Team aus Dresden unterstützt wurde. Modern gekleidet, im knallgelben Jackett, kündigt Wolf bekannte Akteure wie Bodo Schiffmann und Carola Javid-Kistel an.

Im beschaulichen Lüsche wird seit Beginn der Pandemie die Polizei immer wieder im ehemaligen Schullandheim vorstellig. Es heißt, die Tochter des Hauses gehe nicht zur Schule und habe immer wieder werde gegen Corona-Maßnahmen verstoßen. Der vermeintliche Forschungsauftrag von „Gaudium in Vita“ reichte bislang als Erklärung. Auf Anfrage des SWR reagierte die Vorsitzende des Vereines nicht.

Aber auf den Bericht wurde prompt mit einem Statement auf der Internetseite reagiert. Beklagt wird, „die Schetinin Pädagogik in den beängstigenden Mantel der Disziplin, des Gehorsams und militärischer Übungen zu hüllen, sei „ein Stilmittel, um den Leser dazu zu bewegen, einen entsprechenden Sicherheitsabstand zu halten“. Der Verein zähle sich zu den „reformpädagogischen Bewegungen“ und sehe sich nun medialen Diffamierungsvorwürfen ausgesetzt.

Kategorien
Tags