Rechtstrend ungebrochen
Gerade eben erst hat die AfD prächtige Wahlergebnisse eingefahren, doch ihr Vorsitzender schickt einen Brandbrief an alle Mitglieder. Es wirkt wie ein Widerspruch – ist aber keiner: Lucke hat trotz der Erfolge in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ein doppeltes Problem – mit Quertreibern und mit Rechtsauslegern, die das Bild der Partei, wie er es gern zeichnet, beschädigen.
Am Abend vor dem langen Wochenende erreichte Bernd Luckes Mail die knapp 20 000 AfD-Mitglieder. Ausführlich und deutlich wie selten zuvor geht der AfD-Chef jene „Parteifreunde“ an, die seiner Meinung nach das „rechte Maß“ verlieren. „Sie verabsolutieren ihre eigenen Anliegen und sehen in denen, die ihre Vorstellungen nicht oder nicht vollständig teilen, nicht mehr den Parteifreund, der ebenfalls das Beste für die AfD will, sondern einen Gegner, den es zu bekämpfen gilt.“ Dieser „Kampf“ beschränke sich leider oft nicht auf die inhaltliche Auseinandersetzung: „Er erstreckt sich vielmehr häufig auf alles, was dem vermeintlichen Gegner das Leben verleiden kann.“ Bewusst würden Falschinformationen verbreitet und „destruktive Gerüchte“ geschürt. Man organisiere Geheimtreffen oder geschlossene Facebook-Gruppen, „um möglichst ungestört gegen gewählte Vorstände und missliebige Mitglieder intrigieren zu können“. Es werde ein Klima des Misstrauens geschaffen, „das wie ein schleichendes Gift in die Partei sickert“.
Unzweifelhaft hat die AfD ein Problem mit „Rechthabern“ und Geschäftsordnungsfetischisten, die jeden Parteitag aus dem Ruder laufen lassen können. Wenn die Angabe der „Mitteldeutschen Zeitung“ zutrifft, sind derzeit nicht weniger als 900 Beschwerden beim Bundesschiedsgericht der AfD anhängig.
Doch offenbar bereiten dem AfD-Chef nicht nur die „Rechthaber“ Sorgen, sondern auch die, die es darauf anlegen, die Partei noch deutlicher als ohnehin schon geschehen auf rechts zu trimmen. Bernd Lucke schreibt, er sei der „festen Überzeugung, dass die AfD nicht den Schatten eines Zweifels daran lassen darf, dass politischer Extremismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und religiöse Intoleranz mit dem Gedankengut der AfD als einer demokratischen Rechtsstaatspartei unvereinbar sind“.
Vom Osten lernen heißt siegen lernen
Bemerkenswert daran ist, dass Lucke glaubt, an solche eigentlich banalen Anforderungen für demokratische Parteien im zweiten Jahr des Bestehens seiner „Alternative“ besonders erinnern zu müssen. Ohne Grund tut er das freilich nicht: Neben Wirtschaftsliberalen und Konservativen, die sich von der CDU im Stich gelassen fühlen, lockte die AfD von Beginn an auch parteipolitisch heimatlose Rechtspopulisten an, Anhänger aller möglichen Verschwörungstheorien mit antiwestlichen Affekten, Rechte, die im Stile der „Identitären Bewegung“ einem völkischen Nationalismus nicht fern stehen, oder Islamfeinde unter dem Label des „Islamkritikers“.
In Grenzen und in Maßen war der Rechtstrend nicht nur geduldet – er wurde durch die Parteispitze gar gefördert, weil er Erfolg versprach. Immerhin holte die AfD in Sachsen mit Parolen für Volksabstimmungen über Moscheebauten, Deutschquoten im Radio und Drei-Kind-Familien knapp zehn Prozent. In Brandenburg spielte man auf der Klaviatur der Ängste in Sachen Grenzkriminalität: Mehr als zwölf Prozent waren der Lohn. In Thüringen startete der Spitzenkandidat Björn Höcke Kampagnen für preußische Tugenden und die Bewahrung der deutschen „Identität“: Auch dafür gab’s mehr als zehn Prozent. Dass Höcke sich nach der Wahl mit einem doppelseitigen Interview in der extrem rechten Monatszeitschrift „Zuerst!“ präsentiert, wird schon gar nicht mehr als skandalös wahrgenommen. Der rechte Flügel der Partei frohlockt: Vom Osten lernen heißt siegen lernen.
Im Westen der Republik stellt jener Flügel zwar nicht die Mehrheit, ist aber mehr als eine Randerscheinung. In Hamburg erlebt die Schill-Partei soeben unter dem Label der AfD ihre partielle Wiederauferstehung. Als die AfD der Hansestadt am Wochenende ihre Kandidaten für die Bürgerschaftswahl am 15. Februar aufstellte, schafften mit Dirk Nockemann (3.) und Peter Lorkowski (7.) zwei Ex-„Schillianer“ den Sprung auf vordere Listenplätze. Unter optimalen Umständen hätte sogar noch Jens Eckleben, 2011 Landesvorsitzender der rechtspopulistischen Kleinpartei „Die Freiheit“, als 14. auf der Liste Chancen auf den Einzug in die Bürgerschaft.
Absehbare Konflikt ein Hessen und Bayern
Der Kritik des rechten Flügels erwehren musste sich bei einem weiteren Landesparteitag am Wochenende der baden-württembergische Landeschef Bernd Kölmel. Der Europa-Abgeordnete kam mit einem blauen Auge davon, da ihm 60 Prozent der erschienenen Mitglieder das Vertrauen aussprachen. Kölmels Plan, seine beiden wichtigsten Kontrahenten aus dem Landesvorstand befördern zu lassen, ging aber nur teilweise auf. Nur einen von beiden bestrafte der Parteitag mit Vertrauensentzug. „Befriedet“ scheint die Partei im Südwesten noch längst nicht.
Die nächsten Konflikte sind absehbar. In Hessen wird Front gemacht gegen Landessprecher Günter Nickel. Der Literaturwissenschaftler hat vor zwei Jahren für die Veröffentlichung eines umfangreichen Bandes über den DDR-Schriftsteller Peter Hacks einen Zuschuss der Rosa-Luxemburg-Stiftung erhalten. Das macht ihn rechtsaußen höchst verdächtig. In Bayern geht es gegen den Landesvorsitzenden Andre Wächter. Er hat im Münchner Stadtrat gegen das vom „Die Freiheit“-Vorsitzenden Michael Stürzenberger initiierte Bürgerbegehren „Kein europäisches Zentrum für den Islam in München“ votiert – für Islamhasser ein Sakrileg.
Mit seinem Brandbrief vom vorigen Donnerstag versucht Lucke nun, die Notbremse zu ziehen. Bisher hatte er Vorwürfe, seine Partei sei auf strammem Rechtskurs, lapidar abgetan. „Wir lassen uns nicht einordnen ins klassische Rechts-Links-Schema! Wir sind die Partei des gesunden Menschenverstands“, hatte er etwa gesagt. Oder: „Uns Rechtspopulismus vorzuwerfen, ist Quatsch.“ Jetzt sollen offenbar die ärgsten Auswüchse eingedämmt werden. Rechtspopulistische Töne wie in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen bleiben aber erlaubt.