Rechtsextremismus in Russland – Was tun?
Bereits 2004 leiteten die Rechtsorgane gegen die Xenophoben verschiedener Couleur 60 Strafverfahren ein, über zehn Schläger gerieten hinter Gitter. In einer neu angelegten Datenbank der Miliz wurden 457 Anführer und Aktivisten der jugendlichen Gruppen von Skinheads aufgenommen, die seitdem unter akuter Beobachtung stehen. Das Presseministerium schloss zwölf verfassungswidrige Zeitungen, von denen die meisten allerdings unter anderen Namen sofort wieder an die Oberfläche auftauchten.2)
Im Jahre 2009 verringerte sich laut eines Untersuchungsberichts des von westlichen Stiftungen und inzwischen auch vom Kreml finanzierten Analysezentrums „Sova“ das Quantum der fremdenfeindlich motivierten Morde: Während die Behörden 2008 noch 110 Tötungsdelikte vermerkten, minimierte sich die Opferzahl der von ultranationalistischen Tätern ermordeten Menschen 2009 auf 70. Bei den Leidtragenden rechtsextremer Gewalt in Russland handelt es sich in der Regel um Menschen mit nicht-slawischem Äußeren, hauptsächlich Gastarbeiter aus ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und Zentralasien, aber auch Studenten und Geschäftsleute aus China, Indien, Vietnam sowie den afrikanischen Staaten.3)
Der löbliche Rückgang rechtsextremer Anschläge hänge laut Koževnikova damit zusammen, dass die Staatsanwaltschaft in Moskau, dem Ballungszentrum radikaler Kräfte in Russland, mehrere große Skinhead-Gruppen vor Gericht brachte.4) Beispielsweise sprach das Moskauer Stadtgericht Mitte Dezember 2009 das Urteil gegen die Vereinigung um den neunzehnjährigen Ikonenmaler Artur Ryno und den Sportstudenten Pavel Ska?evskij „Soldaten Russlands“, deren Mitglieder – Jugendliche im Alter von 15 bis 22 Jahren – die Staatsanwaltschaft wegen 20 Morden sowie 12 Mordüberfällen anklagte. Über einen geraumen Zeitraum zogen die „Soldaten“ nachts durch die hauptstädtischen Hochhausviertel, wo sie Hetzjagden auf Tadschiken, Usbeken, Armenier und Chinesen veranstalteten, wofür sie bis zu zehn Jahre Haft in Arbeitslagern erhielten.5)
Inwiefern kann die neugewonnene Sensibilität gegenüber nationalistischen Tendenzen zu einer nachhaltigen Rückbesinnung auf tolerante und weltoffene Aspekte in der politischen Tradition Russlands führen? Der Osteuropahistoriker Andreas Umland stuft die „organisierten Neonazis“ als eine politisch relativ ungefährliche „Provokation einer Subkultur“ ein, die den aus dem Dritten Reich importierten militärischen Faschismus mit russischen und orthodoxen Symbolen anreichert.6) Trotz solcher ermutigenden Einschätzungen bleibt die Gesamtentwicklung des russischen Nationalismus äußerst ambivalent, eruiert der Analyst des Meinungsumfrageninstituts Levada-Zentrum Lev Gudkov:
Angesichts einer weit verbreiteten Xenophobie und eines Rassismus erscheint als Paradox das Phänomen völliger Unwirksamkeit radikaler Bewegungen und Parteien mit extremistischer, nazistischer und national-populistischer Ausrichtung. Die Parteien und politischen Organisationen, die ihre Anerkennung nur aufgrund antijüdischer, rassistischer oder antiwestlicher Ideen und Parolen erstrebten, haben eine nach der anderen die Wahlen verloren und verschwanden von der wirklichen politischen Szene.7)
Während manifester Antisemitismus sowie brutaler Rassismus nunmehr massive Ablehnung und demonstrative Desavouierung erfahren, florieren die xenophoben Denkmuster auch weiterhin im kollektiven Bewusstsein der russländischen Bevölkerung. Die Idee „Russland für Russen“ begrüßten im Dezember 2009 etwa 54 Prozent der Bürger, wenngleich der Großteil ihre Umsetzung in einem „vernünftigen Maß“ wünschte. Zu den Befragten, die solche Angaben machten, gehören vor allem Männer, 24- bis 40-Jährige, Arbeitslose, Arbeiter mit einem geringen Verdienst, mittlerer Schulbildung und Einwohner Moskaus. Die Gegenaussage, bei der Losung handele es sich um einen „echten Faschismus“, tätigten rund 32 Prozent – Frauen, Wissenschaftler, Beamte, Topverdiener, 40 bis 55 Jahre alte, gut ausgebildete, in Provinzstädten lebende Menschen.8)
43 Prozent der Russländer räumten ein, dass in der Russländischen Föderation das Problem der ethnischen Diskriminierung existiert, wohingegen im Jahr 2007 lediglich 30 Prozent diese Ansicht vertraten. Es dominiert die Meinung, dass dieses in erster Linie die Russen betrifft, wobei andere Nationalitäten sich „beleidigend gegenüber den Russen verhalten“ (50 Prozent), „keinen Respekt vor den Russen haben“ (47 Prozent) und „keine Dankbarkeit empfinden, dass sie auf dem russischen Boden leben dürfen“ (44 Prozent). Die Studien stellen jedoch auch fest, dass parallel zum Anwachsen rassistischer Ressentiments sich auch ein entgegengesetzter Trend herauskristallisiert: Die Annahme, dass für die Schwierigkeiten Russlands die Schuld bei den „Nicht-Russen“ liegt, sank von 40 Prozent im Jahr 2004 auf 30 Prozent 2009.9)
Im Mai 2010 konfrontierte das soziologische Forschungsinstitut VCIOM die Russländer mit Fragen bezüglich ihrer Sympathien und Abneigungen gegenüber anderen Nationalitäten, die Begründung der jeweiligen Entscheidung ermittelnd. Auf dem ersten Blick schien das Ergebnis zunächst keinen Anlass für ernsthafte Sorgen zu geben: 56 Prozent der Befragten beteuerten, sie empfänden keinerlei Aversionen gegenüber Menschen anderer ethnischer Herkunft, indes erklärten nur acht Prozent sich mit der unumschränkten Gleichheit aller Völker einverstanden. Die Spitzenpostion auf der „nationalen Beliebtheitsskala“ errangen Russen (36 Prozent), mit einem deutlichen Abstand gefolgt von ihren „slawischen Brüdern“ Weißrussen (10 Prozent) und Ukrainern (9 Prozent). Negative Assoziationen erwecken bei 29 Prozent der Interviewten, die keinen Unterschied zwischen Einheimischen und Eingereisten machten, die Kaukasier – Aserbaidschaner, Georgier, Armenier, Dagestaner, Inguscheten, Tschetschenen. Jeder zweite, Antipathien bekundende Respondent konnte keine konkrete Begründung für seine ausländerfeindliche Haltung liefern. Die Restlichen erwähnten die Gefahr terroristischer Anschläge (13 Prozent), den Integrationsunwillen der Migranten (11 Prozent) sowie die Abscheu fremdländischer Verhaltensmanieren, ihres Aussehens und Kleidungsstils.10)
Das Echo heimatlicher Massenmedien auf die teilweise recht diffizilen Ergebnisse der VCIOM-Analyse fiel zuversichtlich aus: Die zweitgrößte Tageszeitung des Landes „Moskovskij komsomolec“ sprach von einer positiven Entwicklungsdynamik zwischenethnischer Beziehungen in der Russländischen Föderation, da eine sichtbare Verbesserung der Situation im Vergleich zu den Befunden einer analogen Untersuchung aus dem Jahr 2005 eintrat.11) Das regierungsnahe Blatt „Rossijskaja Gazeta“ reflektierte:
All das zeugt davon, dass obwohl die radikalen rechtsextremistischen Gewalttäter bei den meisten Russländern auf Ablehnung stoßen, die Staatsoberhäupter auf jeder Feierlichkeit anlässlich des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg von der kollektiven Leistung der sowjetischen und nun der russländischen Völkergemeinschaft sprechen, sich der Großteil nach einer homogenen „russischen Nation“ sehnt. Nicht wenige distanzieren sich zwar von politisch motivierten Überfällen und Morden, meiden jedoch engere Kontakte zu jüdischen und aus den ehemaligen UdSSR-Republiken stammenden Mitbürgern. Nicht selten erklingen in breiten Kreisen der Gesellschaft eindeutige Bekenntnisse zum von Adolf Hitler konzipierten nationalsozialistischen Gedankengut, was die russländischen Politiker und Wissenschaftler, wohl eher aus Ratlosigkeit heraus, meist abstreiten, verharmlosen oder als einen weiteren Beweis für die Widersprüchlichkeit der „russischen Seele“ deklarieren.
Fußnoten:
1) Federal'nyj zakon ot 25 ijulja 2002 g. N 114-F3 „O protivodejstvii ekstrimistskoj dejatel'nosti. [Föderales Gesetz vom 25. Juli 2002 N 114-F „Über die Bekämpfung extremistischer Aktivitäten“], in: Rossijskaja gazeta 30.07.2002.
2) Semen ?arnyj: Sachverständiger des Moskauer Büro für Menschenrechte. Interview am 3.06.2008 in Moskau.
3) Koževnikova, Galina: Pod znakom politi?eskogo terrora. Radikal'nyj nacionalizm v Rossii i protivodejstvije emu v 2009 godu. [Im Zeichen des politischen Terrors. Radikaler Nationalismus in Russland und seine Bekämpfung im Jahr 2009], URL: http://xeno.sova-center.ru/29481C8/E4FA706#_ftnref7 [13.03.2010].
4) Ebd.
5) Vgl. hierzu Petrov, Kilill; Achmedžanova, Elena; Varaksina, Ol'ga: Bandy „botanikov“ ochotjatsja za „nerusskimi“. [„Botaniker-Banden“ jagen „Nichtrussen“], in: Izvestija 9.07.2008; Trofonov, Vladislav: Prigovor s prodolženiem. [Verurteilung mit Fortführung], in: Kommersant 16.12.2008.
6) Vgl. hierzu Umland, Andreas: Postsovetskij pravoekstremistskije kontrelity i ich vlijanije v sovremennoj Rossii. [Postsowjetische rechtsextremistische Gegeneliten und ihr Einfluss auf das gegenwärtige Russland], in: Neprikosnovennyj zapas 1 / 2008.
7) Gudkov, L.: Ksenofobija kak problema: v?era i segodnja. [Xenophobie als Problem: gestern und heute], in: Nezavisimaja gazeta 26.12.2005.
8) Savel'ev, Oleg: Rossija dlja russkich ili dlja vsech rossijan? Opros Levada-Centr 20.11.2009 – 23.11.2009. [Russland für Russen oder für alle Russländer? Umfrage des Levada-Zentrums vom 20.11.2009 bis zum 23.11.2009], URL: http://www.levada.ru/press/2009120702.html [1.04.2010].
9) Zorkaja, N. / Hrsg.: Obš?estvennoe mnenije – 2009. Ježegodnik. Levada-Centr. [Öffentliche Meinung – 2009. Jahrbuch. Levada-Zentrum]. Moskva 2009, S. 142 ff.
10) Etni?eskije simpatii i antipatii rossijan. Opros VCIOM Maj 2010. [Ethnische Sympathien und Antipathien der Russländer. VCIOM-Umfrage im Ami 2010], URL: http://wciom.ru/arkhiv/tematicheskii-arkhiv/item/single/13515.html [30.05.2010].
11) Fedorov, Valerij: Osobennosti nacional'noj ksenofobii. [Besonderheiten der nationalen Xenophobie], in: Moskovskij komsomolec 27.05.2010.
12) Dobrynina, Ekaterina: „Nedolubov'“. [„Nicht ausreichende Liebe“], in: Rossijskaja gazeta 24.05.2010.
13) Valerij Tiškov: Direktor des Moskauer Instituts für Ethnologie und Anthropologie und Vorsitzender der Kommission für Toleranz und Gewissensfreiheit der Russländischen Gesellschaftskammer. Interview am 29.05.2010 in Moskau.
Im Jahre 2009 verringerte sich laut eines Untersuchungsberichts des von westlichen Stiftungen und inzwischen auch vom Kreml finanzierten Analysezentrums „Sova“ das Quantum der fremdenfeindlich motivierten Morde: Während die Behörden 2008 noch 110 Tötungsdelikte vermerkten, minimierte sich die Opferzahl der von ultranationalistischen Tätern ermordeten Menschen 2009 auf 70. Bei den Leidtragenden rechtsextremer Gewalt in Russland handelt es sich in der Regel um Menschen mit nicht-slawischem Äußeren, hauptsächlich Gastarbeiter aus ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und Zentralasien, aber auch Studenten und Geschäftsleute aus China, Indien, Vietnam sowie den afrikanischen Staaten.3)
Der löbliche Rückgang rechtsextremer Anschläge hänge laut Koževnikova damit zusammen, dass die Staatsanwaltschaft in Moskau, dem Ballungszentrum radikaler Kräfte in Russland, mehrere große Skinhead-Gruppen vor Gericht brachte.4) Beispielsweise sprach das Moskauer Stadtgericht Mitte Dezember 2009 das Urteil gegen die Vereinigung um den neunzehnjährigen Ikonenmaler Artur Ryno und den Sportstudenten Pavel Ska?evskij „Soldaten Russlands“, deren Mitglieder – Jugendliche im Alter von 15 bis 22 Jahren – die Staatsanwaltschaft wegen 20 Morden sowie 12 Mordüberfällen anklagte. Über einen geraumen Zeitraum zogen die „Soldaten“ nachts durch die hauptstädtischen Hochhausviertel, wo sie Hetzjagden auf Tadschiken, Usbeken, Armenier und Chinesen veranstalteten, wofür sie bis zu zehn Jahre Haft in Arbeitslagern erhielten.5)
Inwiefern kann die neugewonnene Sensibilität gegenüber nationalistischen Tendenzen zu einer nachhaltigen Rückbesinnung auf tolerante und weltoffene Aspekte in der politischen Tradition Russlands führen? Der Osteuropahistoriker Andreas Umland stuft die „organisierten Neonazis“ als eine politisch relativ ungefährliche „Provokation einer Subkultur“ ein, die den aus dem Dritten Reich importierten militärischen Faschismus mit russischen und orthodoxen Symbolen anreichert.6) Trotz solcher ermutigenden Einschätzungen bleibt die Gesamtentwicklung des russischen Nationalismus äußerst ambivalent, eruiert der Analyst des Meinungsumfrageninstituts Levada-Zentrum Lev Gudkov:
Angesichts einer weit verbreiteten Xenophobie und eines Rassismus erscheint als Paradox das Phänomen völliger Unwirksamkeit radikaler Bewegungen und Parteien mit extremistischer, nazistischer und national-populistischer Ausrichtung. Die Parteien und politischen Organisationen, die ihre Anerkennung nur aufgrund antijüdischer, rassistischer oder antiwestlicher Ideen und Parolen erstrebten, haben eine nach der anderen die Wahlen verloren und verschwanden von der wirklichen politischen Szene.7)
Während manifester Antisemitismus sowie brutaler Rassismus nunmehr massive Ablehnung und demonstrative Desavouierung erfahren, florieren die xenophoben Denkmuster auch weiterhin im kollektiven Bewusstsein der russländischen Bevölkerung. Die Idee „Russland für Russen“ begrüßten im Dezember 2009 etwa 54 Prozent der Bürger, wenngleich der Großteil ihre Umsetzung in einem „vernünftigen Maß“ wünschte. Zu den Befragten, die solche Angaben machten, gehören vor allem Männer, 24- bis 40-Jährige, Arbeitslose, Arbeiter mit einem geringen Verdienst, mittlerer Schulbildung und Einwohner Moskaus. Die Gegenaussage, bei der Losung handele es sich um einen „echten Faschismus“, tätigten rund 32 Prozent – Frauen, Wissenschaftler, Beamte, Topverdiener, 40 bis 55 Jahre alte, gut ausgebildete, in Provinzstädten lebende Menschen.8)
43 Prozent der Russländer räumten ein, dass in der Russländischen Föderation das Problem der ethnischen Diskriminierung existiert, wohingegen im Jahr 2007 lediglich 30 Prozent diese Ansicht vertraten. Es dominiert die Meinung, dass dieses in erster Linie die Russen betrifft, wobei andere Nationalitäten sich „beleidigend gegenüber den Russen verhalten“ (50 Prozent), „keinen Respekt vor den Russen haben“ (47 Prozent) und „keine Dankbarkeit empfinden, dass sie auf dem russischen Boden leben dürfen“ (44 Prozent). Die Studien stellen jedoch auch fest, dass parallel zum Anwachsen rassistischer Ressentiments sich auch ein entgegengesetzter Trend herauskristallisiert: Die Annahme, dass für die Schwierigkeiten Russlands die Schuld bei den „Nicht-Russen“ liegt, sank von 40 Prozent im Jahr 2004 auf 30 Prozent 2009.9)
Im Mai 2010 konfrontierte das soziologische Forschungsinstitut VCIOM die Russländer mit Fragen bezüglich ihrer Sympathien und Abneigungen gegenüber anderen Nationalitäten, die Begründung der jeweiligen Entscheidung ermittelnd. Auf dem ersten Blick schien das Ergebnis zunächst keinen Anlass für ernsthafte Sorgen zu geben: 56 Prozent der Befragten beteuerten, sie empfänden keinerlei Aversionen gegenüber Menschen anderer ethnischer Herkunft, indes erklärten nur acht Prozent sich mit der unumschränkten Gleichheit aller Völker einverstanden. Die Spitzenpostion auf der „nationalen Beliebtheitsskala“ errangen Russen (36 Prozent), mit einem deutlichen Abstand gefolgt von ihren „slawischen Brüdern“ Weißrussen (10 Prozent) und Ukrainern (9 Prozent). Negative Assoziationen erwecken bei 29 Prozent der Interviewten, die keinen Unterschied zwischen Einheimischen und Eingereisten machten, die Kaukasier – Aserbaidschaner, Georgier, Armenier, Dagestaner, Inguscheten, Tschetschenen. Jeder zweite, Antipathien bekundende Respondent konnte keine konkrete Begründung für seine ausländerfeindliche Haltung liefern. Die Restlichen erwähnten die Gefahr terroristischer Anschläge (13 Prozent), den Integrationsunwillen der Migranten (11 Prozent) sowie die Abscheu fremdländischer Verhaltensmanieren, ihres Aussehens und Kleidungsstils.10)
Das Echo heimatlicher Massenmedien auf die teilweise recht diffizilen Ergebnisse der VCIOM-Analyse fiel zuversichtlich aus: Die zweitgrößte Tageszeitung des Landes „Moskovskij komsomolec“ sprach von einer positiven Entwicklungsdynamik zwischenethnischer Beziehungen in der Russländischen Föderation, da eine sichtbare Verbesserung der Situation im Vergleich zu den Befunden einer analogen Untersuchung aus dem Jahr 2005 eintrat.11) Das regierungsnahe Blatt „Rossijskaja Gazeta“ reflektierte:
Düstere Gefühle und aktive Taten sind völlig verschiedene Dinge. Nationalistische Parolen finden praktisch keinen Zuspruch bei der russländischen Gesellschaft. Das Verhältnis zu denjenigen, die unter dem Einsatz der Gewalt die ethnischen Probleme lösen wollen, bleibt konstant negativ. Mit welchen Mitteln auch immer die Skinheads und ihnen ähnliche, sich als „Verteidiger und Befreier“ russischer Nation bezeichnende Fanatiker bleiben laut den regelmäßig ermittelten soziologischen Statistiken nach wie vor erfolglos.12)Die inländischen Experten warnten außerdem davor, die aus den Umfragen resultierenden xenophoben Tendenzen überzubewerten. Der Direktor des Moskauer Instituts für Ethnologie und Anthropologie, Valerij Tiškov, der zugleich die Position des Vorsitzenden der Kommission für Toleranz und Gewissensfreiheit der Gesellschaftskammer bekleidet, bezweifelt den Wahrheitsgehalt solcher demoskopischen Erhebungen: „Über das echte Verhalten gegenüber anderen Nationalitäten kann nur an konkreten Erscheinungen von Hass geurteilt werden. […] Der Anteil von Ehen zwischen Partnern verschiedener Nationalitäten ist in Russland einer der höchsten weltweit.“ Das Resultat beliebiger Befragungen vergegenwärtige eher eine Reaktion auf ein Fernsehprogramm vom Vortag oder auf einen Zeitungsartikel als den Ausdruck der inneren Einstellung der Befragten, und schüre somit diverse Phobien innerhalb der multinationalen Gemeinschaft Russlands.13)
All das zeugt davon, dass obwohl die radikalen rechtsextremistischen Gewalttäter bei den meisten Russländern auf Ablehnung stoßen, die Staatsoberhäupter auf jeder Feierlichkeit anlässlich des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg von der kollektiven Leistung der sowjetischen und nun der russländischen Völkergemeinschaft sprechen, sich der Großteil nach einer homogenen „russischen Nation“ sehnt. Nicht wenige distanzieren sich zwar von politisch motivierten Überfällen und Morden, meiden jedoch engere Kontakte zu jüdischen und aus den ehemaligen UdSSR-Republiken stammenden Mitbürgern. Nicht selten erklingen in breiten Kreisen der Gesellschaft eindeutige Bekenntnisse zum von Adolf Hitler konzipierten nationalsozialistischen Gedankengut, was die russländischen Politiker und Wissenschaftler, wohl eher aus Ratlosigkeit heraus, meist abstreiten, verharmlosen oder als einen weiteren Beweis für die Widersprüchlichkeit der „russischen Seele“ deklarieren.
Fußnoten:
1) Federal'nyj zakon ot 25 ijulja 2002 g. N 114-F3 „O protivodejstvii ekstrimistskoj dejatel'nosti. [Föderales Gesetz vom 25. Juli 2002 N 114-F „Über die Bekämpfung extremistischer Aktivitäten“], in: Rossijskaja gazeta 30.07.2002.
2) Semen ?arnyj: Sachverständiger des Moskauer Büro für Menschenrechte. Interview am 3.06.2008 in Moskau.
3) Koževnikova, Galina: Pod znakom politi?eskogo terrora. Radikal'nyj nacionalizm v Rossii i protivodejstvije emu v 2009 godu. [Im Zeichen des politischen Terrors. Radikaler Nationalismus in Russland und seine Bekämpfung im Jahr 2009], URL: http://xeno.sova-center.ru/29481C8/E4FA706#_ftnref7 [13.03.2010].
4) Ebd.
5) Vgl. hierzu Petrov, Kilill; Achmedžanova, Elena; Varaksina, Ol'ga: Bandy „botanikov“ ochotjatsja za „nerusskimi“. [„Botaniker-Banden“ jagen „Nichtrussen“], in: Izvestija 9.07.2008; Trofonov, Vladislav: Prigovor s prodolženiem. [Verurteilung mit Fortführung], in: Kommersant 16.12.2008.
6) Vgl. hierzu Umland, Andreas: Postsovetskij pravoekstremistskije kontrelity i ich vlijanije v sovremennoj Rossii. [Postsowjetische rechtsextremistische Gegeneliten und ihr Einfluss auf das gegenwärtige Russland], in: Neprikosnovennyj zapas 1 / 2008.
7) Gudkov, L.: Ksenofobija kak problema: v?era i segodnja. [Xenophobie als Problem: gestern und heute], in: Nezavisimaja gazeta 26.12.2005.
8) Savel'ev, Oleg: Rossija dlja russkich ili dlja vsech rossijan? Opros Levada-Centr 20.11.2009 – 23.11.2009. [Russland für Russen oder für alle Russländer? Umfrage des Levada-Zentrums vom 20.11.2009 bis zum 23.11.2009], URL: http://www.levada.ru/press/2009120702.html [1.04.2010].
9) Zorkaja, N. / Hrsg.: Obš?estvennoe mnenije – 2009. Ježegodnik. Levada-Centr. [Öffentliche Meinung – 2009. Jahrbuch. Levada-Zentrum]. Moskva 2009, S. 142 ff.
10) Etni?eskije simpatii i antipatii rossijan. Opros VCIOM Maj 2010. [Ethnische Sympathien und Antipathien der Russländer. VCIOM-Umfrage im Ami 2010], URL: http://wciom.ru/arkhiv/tematicheskii-arkhiv/item/single/13515.html [30.05.2010].
11) Fedorov, Valerij: Osobennosti nacional'noj ksenofobii. [Besonderheiten der nationalen Xenophobie], in: Moskovskij komsomolec 27.05.2010.
12) Dobrynina, Ekaterina: „Nedolubov'“. [„Nicht ausreichende Liebe“], in: Rossijskaja gazeta 24.05.2010.
13) Valerij Tiškov: Direktor des Moskauer Instituts für Ethnologie und Anthropologie und Vorsitzender der Kommission für Toleranz und Gewissensfreiheit der Russländischen Gesellschaftskammer. Interview am 29.05.2010 in Moskau.