Rechtsextreme greifen SPD-Gruppe an
30 Sozialdemokraten aus Marburg sind am Samstag in Chemnitz von Rechtsextremen überfallen worden. Sie waren zu dem Zeitpunkt auf dem Rückweg von der „Herz statt Hetze“-Demonstration zu ihrem Bus. Die Mittelhessen berichteten von Schlägen ins Gesicht und in den Nacken. Einige standen unter Schock.
Öffentlich wurde der Vorfall, als der SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sören Bartol twitterte: „Ich bin entsetzt. Meine Gruppe aus Marburg wurde gerade auf dem Weg zum Bus von Nazis überfallen.“ Bartol selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Zug in Richtung Berlin unterwegs, nachdem er den Tag über gemeinsam mit den Marburgern und weiteren SPD-Politikern in der Chemnitzer Innenstadt in der Nähe der Johanniskirche demonstriert hatte. Auch in anderen deutschen Städten hatte es am Wochenende Kundgebungen gegeben.
Die Marburger Gruppe machte sich etwa um 20.00 Uhr auf dem Weg zu ihrem Bus. „Kurz bevor wir den Bus erreicht hätten, wurden wir von 15 bis 20 Personen mit Schlagstöcken angegriffen. Sie hatten hinter Autos gehockt und rannten auf uns zu“, berichtet der Marburger Juso Georg Simonsky, der im Wahlkreisbüro von Sören Bartol arbeitet.
Zerrissene Fahnen und Schläge ins Gesicht
Einige der Sozialdemokraten hatten SPD-Fahnen dabei, die ihnen entrissen und zerstört worden seien. „Sie nannten uns Deutschlandverräter. Einen aus der Gruppe haben sie ausgedeutet und bewusst gejagt. Er hatte Angst um sein Leben“, berichtet Simonsky weiter. Einige der Marburger kassierten Tritte und Schläge in Gesicht und Nacken. Erkannt habe der 34-Jährige keinen der Angreifer: „Ich kann keinen von ihnen beschreiben. Das ging zu schnell. Es hat mir auch keiner seinen Ausweis des nationalsozialistischen Untergrunds gezeigt.“
Der Angriff selbst dauerte weniger als zwei Minuten. Dann kam ein Streifenwagen vorbei. Die Täter flüchteten in einen angrenzenden Park. Die Polizei nahm die Aussagen der Betroffenen auf und begleitete die Marburger Sozialdemokraten zurück zu ihrem Bus. Zwischen ein und zwei Uhr nachts war die Gruppe zurück in Hessen. „Viele waren anschließend so aufgewühlt, dass sie nicht gleich hätten schlafen können. Wir saßen daher noch bis vier Uhr zusammen und haben geredet“, erzählt der Juso Simonsky.
Bartol rechtfertigt sich auf Facebook
Auch Sören Bartol schrieb in einem zweiten Tweet: „Was für ein Schock!“ Der Bundestagsabgeordnete sah sich nach seinen Äußerungen auf Twitter und Facebook mit rechten Kommentatoren konfrontiert, die seine Darstellung anzweifelten. Beispielsweise weil in seinem Tweet ursprünglich Leipzig als Ort angegeben war.
Bartol verfasste daher am Sonntagabend noch einmal einen längeren Beitrag auf Facebook, in dem er klarstellte, dass er vom Angriff auf die Gruppe telefonisch am Leipziger Hauptbahnhof erfahren habe. „Das waren so dämliche Kommentare. Einer hat geschrieben, Sören sei nachts in Marburg aus dem Bus ausgestiegen und hat als vermeintlichen Beweis ein Bild gepostet. Das wurde jedoch mittags in Chemnitz aufgenommen“, sagt Georg Simonsky im Gespräch mit dem „Vorwärts“.
Chemnitzer Polizei bestätigt Vorfall
Die Chemnitzer Polizei bestätigte den Vorfall in einer Mitteilung am Sonntagvormittag: „In allen Fällen gilt es nun, im Rahmen der Ermittlungen rasch die einzelnen Geschehnisse zu erhellen. Dies gilt auch und im Besonderen für den gemeldeten Angriff einiger Unbekannter auf die Gruppe des SPD-Bundestagsabgeordneten Sören Bartol. Der Bundestagsabgeordnete selbst befand sich jedoch nicht unter den Angegriffenen.“
Bis Montagmittag hatte sich die Polizei bei Simonsky noch nicht wieder gemeldet. Für den Marburger Sozialdemokraten steht nach dem Vorfall am Samstag eines fest: „Es kann keiner mehr sagen, dass rechte Gewalt ihn nicht betrifft. Wir alle sind davon betroffen und müssen dagegen aufstehen.“ Der Polizei bescheinigt er einen guten Job. Sie habe es geschafft, beide Gruppen auseinanderzuhalten.
Ein schockierendes Zahlenverhältnis
Traurig war aus Simonskys Sicht das Kräfteverhältnis am Wochenende in Chemnitz: Etwa 8000 Rechten und Rechtsextremen standen nach offiziellen Angaben 3000 Gegendemonstranten gegenüber. „Das Zahlenverhältnis ist schockierend. Es ist traurig, dass es in einer Großstadt wie Chemnitz mit fast 250.000 Einwohnern nicht gelungen ist, mehr Leute auf die Straße zu bringen. Wenn man dazu bedenkt, dass viele wie wir aus ganz Deutschland angereist waren, war die Mobilisierung in der Stadt selbst sehr, sehr gering.“
Simonsky findet daher, dass der Appell von Außenminister Heiko Maas für mehr zivilgesellschaftliches Engagement zur rechten Zeit komme: „Ich unterstütze Heiko Maas voll in dem, was er sagt. Es kann sich keiner mehr verstecken nach dem, was am Samstag passiert ist.“
Der Text ist auf vorwärts.de erschienen.