Rechtsextreme Drohschreiben: Haft für André M.
Das Berliner Landgericht sieht in André M. eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und verurteilte den 32-Jährigen zu einer Haftstrafe von vier Jahren samt Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Die Strafkammer sah in M. die Person, die mit Drohschreiben in 26 Fällen schwere Straftaten ankündigte und sich in neun Fällen einer versuchten Nötigung schuldig gemacht hat.
Die 10. Große Strafkammer, die damit der Strafzumessung der Staatsanwaltschaft folgte, attestierte dem Serientäter zugleich eine nur verminderte Schuldfähigkeit. Medikamentenmissbrauch, Drogenprobleme – all die Facetten der psychologischen Persönlichkeitsstörung von M. kamen mehrfach im Prozess zur Sprache.
Gruß mit „Nationalsozialistische Offensive“
Die Anklageschrift warf M., wohnhaft in Halstenbek (Kreis Pinneberg), vor, zwischen Dezember 2018 und April 2019 insgesamt 107 Drohschreiben verfasst und verschickt zu haben, darunter allein 87 Bombendrohungen gegen Gerichte, Behörden, Polizeidienststellen, Bahnhöfe, Einkaufszentren, Hotels, Presseorgane, eine Schule und andere öffentliche Einrichtungen. Als Absender der Drohmails und -Faxe grüßte dabei in den meisten Fällen eine „Nationalsozialistische Offensive“. Unter anderem wurde mit dem Verschicken von Briefbomben und dem Gift Rizin sowie öffentlichen Hinrichtungen gedroht.
Persönliche Drohungen an Prominente wie Helene Fischer und die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) deuteten zudem darauf, dass bei M. tiefgründiger Incel-Hass anzutreffen ist. Im Verlauf des Prozesses kamen in diesem Zusammenhang stehende Misogynie-Hinweise zur Sprache. Die deutlich vorherrschenden Gewaltphantasien paarte M. mit nationalsozialistischer Ideologie und rechtsextremem Gedankengut.
Faible für rechtsradikale Gedanken
Der Schleswig-Holsteiner, der vor seiner Inhaftierung Anfang April 2019 bei seiner Mutter lebte, bewegte sich meist als Einzelgänger. Er kommunizierte intensiv im Darknet. Sein Zimmer war dekoriert mit etlichen NS-Devotionalien. Dazu gesellten sich reihenweise Bücher rund um den Zweiten Weltkrieg und Fachliteratur zu Waffen. Ermittler fanden bei ihm Anleitungen zum Bombenbau. Mit einem Bekannten hatte er vor Jahren bereits einmal einen Zigarettenautomat per Sprengstoffeigengemisch in die Luft gejagt.
M.s Faible für rechtsradikale Denkmuster zeigten sich über viele Jahre. Selbst Verurteilungen und psychiatrischen Behandlungen ließen ihn nicht davon Abstand nehmen. Bereits frühere Drohschreiben, die M. zuzurechnen sind, waren beispielsweise mit „Felix Steiner“ unterzeichnet, dem Namen eines hochrangigen SS-Offiziers. Rechtsrock spielte auch bei M. eine Rolle, zeigte er sich doch im Internet vermummt in einem Pullover der Band „Weisse Wölfe“ aus dem Sauerland. Zu der Combo gehörte früher auch einmal Marko Gottschalk, bekannt als Kopf der Dortmunder Band „Oidoxie“.
Strafverfolger prüfen neue Spur
Im Zuge der sich im Zeitraum 2018/19 angehäuften Fülle an Drohschreiben stellten sich Ermittler die Frage, ob M. tatsächlich alleine gehandelt, oder ob es möglicherweise Mittäter bzw. Mitwisser gegeben hat. Der Angeklagte schwieg dazu vor Gericht. Einige ähnlich aufgesetzte Schreiben trugen die Absender „Wehrmacht“ oder „Staatsstreichorchester“. Mit Hilfe der forensischen Linguistik hat es diesbezüglich bisher noch keine neuen Erkenntnisse gegeben.
Dennoch hat sich offenbar eine neue Spur aufgetan, wie zuletzt die TV-Redaktion „Kontraste“ recherchierte. Demnach könnte der 33-jährige Emil A. für weitere Drohschreiben mit dem Absender „Staatsstreichorchester“ verantwortlich gewesen sein. Er wurde im Juni von der Berliner Polizei festgenommen, weil er unter Verdacht steht, im April eine Erpressungsmail an den britischen Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) verschickt zu haben. Britische IT-Fahnder hatten den Mann daraufhin ausfindig gemacht, der offenbar ebenfalls Beziehungen in die rechte Szene aufweist, denn in der verwendeten Mailadresse tauchte der Begriff der rechtsterroristischen Kampfgemeinschaft „Combat 18“, dem bewaffneten Arm von „Blood & Honour“, auf.
Vergleichbare Tatmuster betreffen Erpressungsmails aus dem Monat April an Gesundheitsminister Jens Spahn und an die Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft – beide unterschrieben mit „Staatsstreichorchester“. Die Strafverfolger prüfen nun etwaige Zusammenhänge und einen eventuellen früheren Kontakt zwischen Emil A. und André M. Mit dem Prozessbeginn gegen den Halstenbeker ging im April beim Landgericht Berlin eine Drohmail ein, mit der „Die Musiker des Staatsstreichorchesters“ M.s Freispruch forderten. Das Urteil gegen M. ist noch nicht rechtskräftig.