Rechts gegen Rechts: Machtkampf in der AfD

Björn Höckes „Flügel“ will Gegner aus der Parteispitze drängen. Angeblich „Gemäßigte“ halten dagegen.

Donnerstag, 11. Juli 2019
Rainer Roeser

Björn Höcke beherrscht den treuherzigen Augenaufschlag. „Ich bin kein Machtpolitiker – das wisst ihr alle“, sagt er beim „Kyffhäuser-Treffen“ seines „Flügels“ in Leinefelde. Er sei auch „kein Mann, der mit Leidenschaft Strippen zieht – das ist bekannt“. Man wartet auf das große Aber – und es kommt tatsächlich. „Aber eines kann ich euch versprechen“, ruft er seinen 850 Anhängern im Saal zu: Nach den drei Landtagswahlen im September und Oktober werde er sich „mit großer Hingabe und mit großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstandes hingeben“. Und er weiß sogar zu sagen, welches Resultat die große Hingabe zeitigen wird: „Ich kann euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird!“

Namen nennt Höcke nicht. Doch man ahnt, wem seine Kampfansage gilt. Bundessprecher Jörg Meuthen gehört dazu, der einst Höckes „Flügel“ hofierte, mittlerweile aber den Saubermann gegen das gibt, was er als rechtsextreme Ausfransungen darstellt. Weiter dürfte Parteivize Georg Pazderski auf der Anti-Liste stehen. Ihm haftet in Höckes Kreisen der Ruf an, er wolle seinen Berliner Landesverband zu einer CDU 2.0 oder einer FDP 2.0 machen, um möglichst rasch die Gefilde einer „bürgerlichen“ Koalition ansteuern zu können.

Auf der Abschussliste

Pazderskis Vize-Kollege Kay Gottschalk wäre der Dritte. Der Hamburger, der wegen eines Bundestagsmandats dem Ruf von Marcus Pretzell nach Nordrhein-Westfalen folgte, hatte 2017 mehr zufällig den Sprung in den Bundesvorstand geschafft. Zuverlässig ist er heute – zu verbaler Rauflust neigend – mit von der Partie, wenn es gegen Höcke oder seine Fans geht. Auch die beiden Frauen im AfD-Vorstand dürften es auf die Abschussliste schaffen: Fraktionschefin Alice Weidel, weil sie für so vieles steht, was Höcke-Anhänger an „etablierten“ Politikern abgrundtief verachten, und Beatrix von Storch, weil sie größtmöglichen Abstand zum „Flügel“ hält und die Nähe der „Alternativen Mitte“ sucht.

In der Öffentlichkeit sind Höcke und sein „Flügel“ in den letzten Monaten in die Defensive geraten. Vor allem die Tatsache, dass der Verfassungsschutz seine Gruppe zum „Verdachtsfall“ und die gesamte Partei zum „Prüffall“ erklärte, hat ihnen geschadet. Sogar Alexander Gauland, ansonsten verbaler Provokationen nicht abhold, empfiehlt mittlerweile die rhetorische Abrüstung. Bei Höckes „Kyffhäuser-Treffen“ mahnte er, die Partei sei nicht gegründet worden, um „einen Raum zu schaffen, in dem jeder alles sagen kann“. Man müsse sich auch mal „auf die Lippe beißen“. Der Parteivorstand in Berlin nahm einige der lautstärksten Rechtsausleger aufs Korn – wohlgemerkt aber nur solche aus der zweiten Reihe. Sich an Höcke oder an seinen Adlatus Andreas Kalbitz heranzutrauen, das empfahl sich bisher nicht.

Schutzpatron der Rechtsausleger

Und Höcke selbst? Über Monate war kaum etwas zu vernehmen vom Vormann der Parteirechtsaußen. Sogar in den Reihen des rechten Flügels wurden Zweifel an ihm laut – was angesichts der kultischen Verehrung, die er dort genießt, umso erstaunlicher ist. Die Philippika gegen den Bundesvorstand war zweierlei: ein Signal, dass er innerparteilich aus der Defensive kommen will, und der Hinweis an die eigene Anhängerschaft, dass er ihr Schutzpatron zu bleiben gedenkt.

Diese Anhängerschaft hat in sechs Jahren AfD die Erfahrung gemacht, dass jeder Schritt der Radikalisierung – am deutlichsten manifestiert durch den Abgang erst von Bernd Lucke, dann von Frauke Petry – die AfD nicht etwa ihrem Ende näher gebracht hat. Im Gegenteil: Die Radikalisierung brachte Erfolge. Und Höckes „Flügel“ ist ihr Motor. In einigen Ost-Landesverbänden wie in Thüringen oder Brandenburg hat er längst uneingeschränkt das Sagen. Doch auch in westdeutschen Landesverbänden, die einst nach den Maßstäben der Partei als „gemäßigt“ galten, hat er sich ausgebreitet. Nicht selten, weil seine Vertreter über Eigenschaften verfügen, die Höcke abzulehnen behauptet. Der ausgeprägte Willen zur Macht gehört ebenso dazu wie intrigantes Strippenziehertum. Der Machtkampf im Westen ist längst noch nicht entschieden. Bemerkenswert bleibt aber, wie sehr Ultrarechte dort ihre Position ausgebaut haben.

„Flügel“ expandiert

In Schleswig-Holstein votierten 56 Prozent der Mitglieder für eine Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein, die der Bundesvorstand wegen ihrer Werbung für die geschichtsrevisionistische „Gedächtnisstätte Guthmannshausen“ ausschließen will. (bnr.de berichtete) In Nordrhein-Westfalen verhinderten an die 40 Prozent der Parteitagsdelegierten die Abwahl der beiden „Flügel“-Vertreter Thomas Röckemann und Christian Blex von der Parteispitze. (bnr.de berichtete) In Bayern schaffte es die Höcke-Vertraute Katrin Ebner-Steiner bis an die Spitze der Landtagsfraktion.

In Niedersachsen sammelt sich der rechte Flügel hinter dem Ex-Landesvorsitzenden Armin-Paul Hampel, um der Parteichefin Dana Guth das Leben schwer zu machen. In Baden-Württemberg steht in der Landtagsfraktion ein Mehrheit von Ultrarechten einer Minderheit angeblich „Gemäßigter“ gegenüber. In der Landespartei sind die Mehrheitsverhältnisse zwar umgekehrt. Doch auch dort wurde mit dem Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel ein Ko-Sprecher gewählt, der im Zweifel weit nach rechts blinkt. (bnr.de berichtete)

„Die Leichten gegen die Bewahrer“

Spaniel steht – wie zum Beispiel auch Gottfried Curio – für einen Typus AfD-Politiker, den man sehr häufig in der Bundestagsfraktion antrifft: Jene AfD-Abgeordnete, die zwar nicht fest der Höcke-Riege zuzurechnen sind, die sich aber auf rasante Art und Weise radikalisiert haben. Bei Spaniel reichen die Parallelitäten mit Höcke bis in die Wortwahl. Während der „Flügel“-Vormann in der Vergangenheit zuweilen von den „Halben“ sprach, damit Vertreter eines moderater wirkenden Kurses meinte, denen er die „Ganzen“, also seine Anhänger, gegenüberstellte, beschreibt Spaniel die AfD-interne Frontstellung mit den Worten: „Die Leichten gegen die Bewahrer.“ Die „Leichten“ wollen demnach die AfD „irgendwie unter Vertuschung aller Unzulänglichkeiten an die Regierung führen, um möglichst rasch an Ministerposten und Privilegien zu gelangen“. Die „Bewahrer“ der Grundwerte der AfD sind hingegen Leute wie er, Spaniel. (bnr.de berichtete)

Mittlerweile spüren die Höckes, Sayn-Wittgensteins, Röckemanns und Ebner-Steiners Gegenwind. Meuthen fehlte gleich ganz beim „Kyffhäuser-Treffen“. Gauland soll seinen dortigen Auftritt davon abhängig gemacht haben, dass Sayn-Wittgenstein sich fernhielt. Dem Restvorstand Röckemanns in NRW setzte die Bundesspitze die Daumenschrauben an: Bis 6. Oktober muss ein neuer Vorstand gewählt werden. Andernfalls droht ihm die Amtsenthebung. In Bayern ist Ebner-Steiners Fraktionsvorsitz in Gefahr. Einem neuen Landesvorstand wird sie absehbar nicht mehr angehören.

Funktionäre rüffeln Höcke

Und wenn Höcke, der mit seiner Unterscheidung von „Halben“ und „Ganzen“ den Spaltkeil ansetzte wie kein anderer, sich mittlerweile als Garant für „Einigkeit und Geschlossenheit“ geriert, hält der rheinland-pfälzische Landeschef Uwe Junge ihm entgegen: „Sehr scheinheilig“ sei dies. „Es sind Deine Leute, die in anderen Landesverbänden die Zusammenarbeit unerträglich machen!“

Vorläufiger Höhepunkt des Machtkampfs in der AfD ist ein „Appell der 100 – Für eine geeinte und starke AfD“. Um die hundert Funktionäre und Abgeordnete haben unterschrieben, darunter die drei stellvertretenden Bundessprecher Pazderski, Gottschalk und Albrecht Glaser, zwei weitere Mitglieder des Bundesvorstands, die Landeschefs Junge, Guth, Bernd Gögel, Klaus Herrmann und Robert Lambrou sowie Abgeordnete aus Brüssel, Berlin und den Landtagen. Sie rüffeln Höcke, weil er mit seiner Kyffhäuser-Rede „die innerparteiliche Solidarität verletzt“ habe, den eigenen Wahlkämpfern und Mitgliedern „in den Rücken gefallen“ sei und „spaltende Kritik“ geübt habe. „Wir sagen sehr klar: die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei!“, heißt es in der Erklärung. Die „überwiegend bürgerliche Mitgliedschaft“ lehne „den exzessiv zur Schau gestellten Personenkult um Björn Höcke“ ab. Er leiste „dem um sich greifenden Verdacht Vorschub, dass es ihm in erster Linie um den 'Flügel' und nicht um die AfD geht“.

Kritik am Stil, weniger an Inhalten

Der Name Meuthen fehlt zwar unter der Erklärung – der Parteichef ließ aber durchblicken, dass er deren Kern teilt. „Der Unmut und die massive Kritik über das Auftreten und manche Äußerungen des thüringischen Landesvorsitzenden sind in der Partei sehr vernehmlich“, konstatiert Meuthen. Höcke verfüge zudem „mit seiner auch aus meiner Sicht unzutreffenden Kritik an der Arbeit des Bundesvorstandes und der Schiedsgerichte über keinerlei Mehrheiten in der Partei“.

Es ist eine Kritik am Stil des thüringischen Landesvorsitzenden, weniger an den Inhalten, für die der „Flügel“ mit seinem völkisch-autoritären Nationalismus steht. Inhaltliche Kritik zu üben, dürfte Meuthen auch deutlich schwerer fallen. Gerade erst hat er selbst mit der italienischen „Lega“ und Marine Le Pens „Rassemblement National“ eine europäische Allianz der Rechtsradikalen geschmiedet. Zu Beginn der Woche sagte Meuthen in einem Interview: „Wir sind Rechtsstaatspartei, wir sind bürgerlich-konservativ-freiheitlich.“ Auch der AfD-Vorsitzende kann treuherzig.

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