Rechtes Potenzial in Sachsen gewaltig gestiegen
Das Personenpotenzial im Rechtsextremismus ist laut sächsischem Verfassungsschutzbericht gewaltig angestiegen. Für das Berichtsjahr 2019 werden nun 3.400 Personen zu diesem Spektrum gezählt – 600 mehr als ein Jahr zuvor. Damit einher geht eine Steigerung in puncto Gewaltbereitschaft: Nunmehr zählen 2.000 Personen als gewaltorientiert, ein Plus von 500. Im November sich über Zahlen und Entwicklungen aus dem vergangenen Jahr zu vergegenwärtigen, ist allerdings ein grundsätzliches Manko.
Bis auf im Vogtlandkreis, wo die rechte Szene unverändert groß ist, hat es binnen eines Jahres in allen anderen Städten und Landkreisen einen Anstieg gegeben. Auch ein Blick auf die Kriminalstatistik bleibt besorgniserregend: Politisch motivierte Straftaten aus dem rechten Lager wurden 2.198 registriert nach 2.199 im Jahr zuvor, darunter 66 Gewalttaten (-72). Von den Gewaltdelikten waren 58 einfache oder gefährliche Körperverletzungen. In drei Vierteln der Fälle waren Menschen mit Migrationshintergrund die Opfer. Die Zahl der Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund ist insgesamt aber rückläufig, dafür ist der vermeintlich politische Gegner bei einem Anstieg um 80 Prozent der Delikte zu einem vorrangigen Ziel geworden.
Leichter Zuwachs beim Dritten Weg
Rechtsextreme Kräfte mit Parteibuch sind auf dem absteigenden Ast, selbst die parteilosen, aber strukturierten Angehörigen haben minimal eingebüßt – von 1040 auf 1030. Das Minus hat auch mit dem Rückgang neonazistisch ausgerichteter Kräfte zu tun. Die unstrukturierte rechte Szene mit teils subkulturellen Zügen hat unterdessen von 1.300 auf 2.000 Anhänger zugelegt. Verlierer ist die neun Kreisverbände umfassende NPD (von 300 auf 250) inklusive Schwund beim Jugendverband Junge Nationalisten, dazu Die Rechte (von 15 auf 5). Der Dritte Weg mit seinen vier Stützpunkten und Schwerpunktaktivitäten im Raum Plauen um Tony Gentsch hat hingegen leichten Zuwachs erfahren (von 125 auf 130).
Bei anlassbezogenen Ereignissen und Veranstaltungen mischen sich die Personenkreise zunehmend. Mit Sorge sieht der Verfassungsschutz, dass es der rechten Szene gelingt, immer öfter in die Mitte der Gesellschaft einzusickern. Zu Personen, die genau mit diesem Kalkül vorgehen, gehört der namentlich aufgeführte NPD-Funktionär Stefan Hartung aus dem Erzgebirge.
Zugang zu 23 Immobilien
Insgesamt werden der rechten Szene 23 Immobilien zugerechnet, auf die sie jederzeit eigenen Zugriff für Veranstaltungen und Schulungen haben, allein vier davon in Chemnitz. Nur dadurch werden erlebnisorientierte Szene-Angebote überhaupt erst möglich – vom Kampfsportmeeting, diversen Konzert-Events, sogenannten Zeitzeugenvorträgen bis hin zu parteiinternen Zusammenkünften.
Ausführlicher als bei anderen Landesverfassungsschutzbehörden ist in Sachsen ein Blick auf das Musikmilieu geworfen worden. Im Berichtsjahr gab es 24 wahrgenommene Rechtsrockkonzerte, 22 Liedermacher-Events und 27 Veranstaltungen mit musikalischer Begleitung. Erkennbarer Trend dabei: Die Auftritte sind in der Regel kleiner, finden allerdings häufiger statt. Neben dem ehemaligen Gasthaus in Torgau (Ortsteil Staupitz/Landkreis Nordsachsen) hat sich in der sächsischen Schweiz in Bad Gottleuba-Berggießhübel (OT Langenhennersdorf) eine weitere Location für derartige Liveauftritte herauskristallisiert. Insgesamt werden 24 aktive Liedermacher und Bands im Freistaat gelistet, alle mit genauerer Vita und meist sogar mit Textbeispielen aufgeführt. Am längsten aktiv sind demnach „Selbststeller“ (Raum Riesa/Landkreis Meißen) und „Sachsonia“ (Raum Dresden) seit 1999. Als jüngster Aktivist taucht ein rechter Barde mit dem Künstlernamen „Sonderkommando Elbe“ seit 2019 auf, der im Umfeld der im Erscheinungsbild rockerähnlich aufgestellten „Brigade 8“ aus Mücka (Landkreis Görlitz) zu verorten ist. Letztere pflegten Kontakte mit der Gruppierung Combat 18, die Anfang des Jahres verboten wurde.
PC Records mit überregionaler Bedeutung
Umfänglicher als andernorts wird auch der Vertriebs- und Versandhandel, der in der Regel unmittelbar mit dem Musikmilieu zusammenhängt, unter die Lupe genommen. Von zehn aktiven Adressen ist an erster Stelle PC Records von Steve Geburtig aus Chemnitz zu nennen. Jährlich werden geschätzt mehrere hunderttausend Euro Umsatz gemacht. Die Bedeutung ist nationaler wie internationaler Natur. Ein Viertel aller bisher produzierten Tonträger ist bereits von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt worden. Auch bei Front-Records aus Lossatal (Landkreis Leipzig) ist ein Viertel der unter dem Label herausgegebenen Tonträger indiziert worden. Ebenfalls aus Lossatal kommt die Marke Frontmusik.
In Sachen Identitäre Bewegung (IB) um Alexander Kleine mit unverändert 40 Aktivisten ist zu erfahren, dass in Dresden das Haus einer nicht extremistischen Burschenschaft die Anlaufstelle darstellt, wo es schon eine „Neuer Deutscher Standard“-Party gegeben hat. Immer wieder Auftritte von IB-Vertretern auf der Pegida-Bühne lassen einmal mehr die Frage nach der Bewertung der Pegida-Verantwortlichen aufkommen, die der Verfassungsschutz aber beharrlich nicht bereit ist, sich zu stellen.
Razzien bei Bundesstaat Sachsen
Die Betrachtung der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter zeigt einen Rückgang von 1.400 auf 1.000 Personen. Davon wird sieben Prozent eine Zugehörigkeit zum Rechtsextremismus attestiert. Eine Gruppierung mit Zulauf stellte dabei der seit 2016 aktive Bundesstaat Sachsen mit Sitz in Dresden dar. 70 Angehörige haben sich dort zusammen gefunden. Innerhalb des Personenkreises hat es Hausdurchsuchungen im Zuge von Ermittlungen wegen illegaler Führerschein- und Kennzeichenausgabe gegeben. Eine weitere Kleinstgruppe nennt sich Freie Wählervereinigung einiges Deutschland.