Bauernproteste

Rechte organisieren Bauernkundgebung in Kiel

Die Agrarlobby duldet seit Jahren rechte Drahtzieher und deren Kontakte in den eigenen Reihen – so geschehen bei Protesten in Kiel oder der Demo in Schüttsiel gegen Robert Habeck.

Samstag, 13. Januar 2024
Andrea Röpke
Auch rechte Drahtzieher mischen sich bei genauerem Hinsehen unter die derzeitigen Proteste, Foto: isso.media
Auch rechte Drahtzieher mischen sich bei genauerem Hinsehen unter die derzeitigen Proteste, Foto: isso.media

Die „Gelbwesten“ in Kiel sind eine kleine politische Gruppe. Am 8. Januar gelang ihnen der Coup: Sie richteten die zentrale Kundgebung zum Protesttag der Bauern auf dem Exerzierplatz in Kiel aus. Über 1.000 Traktoren, Zugmaschinen und Handwerksfahrzeuge waren an diesem Tag in der Stadt an der Förde unterwegs, um den Verkehr lahmzulegen und den Rücktritt der Regierung zu fordern. Im Telegram-Kanal der rechten „Gelbwesten“ wurde zum „LKW-Trecker-Auto-Korso“ mit dem Slogan „Die Ampel muss weg!!“ aufgerufen. Anführerin Birgit B. polemisierte in ihrer Begrüßungsrede. Das Thema Landwirtschaft sprach sie kaum an, sagte „Die aktuelle Politik macht unser Land kaputt, es wird uns alles genommen, was unser Land in der Vergangenheit ausgemacht hat.“

Die „Kieler Gelbwesten“ sind lokale Überreste der Pandemieleugner-Szene. Aufmerksamkeit erhielten sie, als die kleine Gruppe um Birgit B. im Februar 2023 den AfD-Bundestagsabgeordneten Gereon Bollmann zu Gast hatte.

Proteste gegen Regierung gerichtet

„Ich fahre für alle, die nicht Grün gewählt haben!“ „Ampel abschalten!“ oder „Wir fordern Neuwahlen!“, steht auf den Schildern des Protestes in Kiel. Überraschend wenig Landvolk-Logos sind zu sehen. Dafür gibt es Flyer des rechtsextremen Medienkanals „AUF 1“, die verteilt werden oder Sticker der Querdenken-Partei „Die Basis“. Guten Kontakt pflegen die „Gelbwesten“ auch zu den engagierten Landwirten Jann-Harro Petersen aus Tating und Thomas S., Bio-Milchbauer aus Plön. S. präsentiert sich bei Epoch Times, postet in reichsideologischen Kanälen wie „SH Bauern + Verbraucher vereint“. Er organisiert die Kieler Kundgebung am 8. Januar mit, trug an diesem Tag auch eine gelbe Weste, steht ganz vorne. Neben ihm: Jann-Harro Petersen. Der ist neben Birgit B. Hauptredner des Protestes.

„Moin Kiel, sach ich mal“ startet der Landwirt aus Nordfriesland sehr routiniert seine angeblich spontane Rede. Petersen fordert: „Der Staat muss sich zurückschrumpfen auf seine wesentlichen Aufgaben, der hat nicht in jedermanns Privatleben herumzupfuschen“ und erntet viel Applaus. Petersen macht Stimmung: „Man stellt die Landwirtschaft seit Jahren an den Pranger und hält uns hier irgendwelche, unlauteren Unterstellungen vor. 2130 negative Berichterstattungen in der Presse hatten wir 2022, das sind 6 am Tag, das ist Propaganda!“ Dann kündigt Petersen an, der Protest am 8. Januar sei nur der Anfang, am 19. Januar beginne die „Grüne Woche“ in Berlin, er sei gespannt, ob „sie dann wirklich beginnt?“

„Land schafft Verbindung“

Am 4. November trat Jann-Harro Petersen bei einem Querdenken-nahen Protest in Kiel auf. Als im September der Kongress „Bauern tot – Alle in Not“ mit Hans-Georg Maaßen und Markus Krall auf einem Hof in Brandenburg stattfand, sprach dort auch Bauer Petersen aus Nordfriesland. Maaßen war von 2012 bis 2018 Präsident des Bundesamt für Verfassungsschutz und verkehrt inzwischen offen im rechten Spektrum. Maaßen und Buchautor Markus Krall „nutzten die Veranstaltung, um ihre strammrechte Ideologie in traditionell konservativen Kreisen zu verstärken, die in vielen Dörfern meinungsprägend sind“, kommentierte Jost Maurin in einem Essay der taz. Applaus bekam Maaßen dort auch für den Satz: „Ich bin ein Ketzer und ich glaube nicht an den menschengemachten Klimawandel.“ „Ein ganz wichtiger Stoff für uns ist das CO2 für die Photosynthese“, sagte Jann-Harro Petersen. „Eine Selbstverständlichkeit, aber nachdem auf der Bühne knallharte Leugner des menschengemachten Klimawandels gesprochen hatten, konnte das als Plädoyer gegen Klimaschutz verstanden werden“, schreibt taz-Autor Maurin. Der Plöner Bio-Landwirt Thomas S. postete Aufnahmen dieser fünfstündigen Tagung über einschlägige Kanäle.

Der Kieler Redner Petersen gehört dem Bundesvorstand der „Freien Bauern“ an und ist wie Thomas S. im Landesvorstand der 2019 gegründeten Interessenvertretung „Land schafft Verbindung“ (LsV). Diese Organisation wurde vor allem durch die grünen Kreuze am Straßenrand in den letzten Jahren bekannt. Für LsV koordinierte S. laut Webseite am 8. Januar die Abfahrt des Protestes. Petersen kümmerte sich um die Pressestelle von „Land schafft Verbindung“ am Rathaus in Kiel. Die landwirtschaftliche Interessengemeinschaft hat seit etwa 2020 Probleme mit Rechten in den eigenen Reihen, denn zum Kassenprüfer im schleswig-holsteinischen Landesverband wurde 2021 Jann-Henning Dircks aus Norderfriedrichskoog auf der Halbinsel Eiderstedt gewählt.

Teilnahme an Protesten gegen Habeck

Dircks ist ehrenamtlicher Bürgermeister einer Gemeinde, die lange Zeit als eines von elf Steuerparadiesen galt. „Reich hinterm Deich - Wie Großkonzerne das deutsche Steuerparadies Norderfriedrichskoog entdecken“, titelte der Spiegel 2002 und wies darauf hin, dass in Norderfriedrichskoog wegen Landgewinnung aus dem Meer weder Grund- noch Gewerbesteuer erhoben wurden. Die Bauern verdienten kräftig mit, vermieteten an milliardenschwere Steuerflüchtlinge. Hunderte Firmen meldeten sich in dem winzigen Koog an. Inzwischen ist es damit vorbei.

Jann-Henning Dircks ist nicht nur Lokalpolitiker, sondern auch ein Aushängeschild des Reichsbürger-Telegramkanals „Landvolk schafft Verbindung“ mit über 5.000 Abonnenten. Er trage die Landvolk-Fahne „im Herzen“, sagte Dircks gegenüber den Husumer Nachrichten 2022. Dircks scheint auch eine Schlüsselfigur im Skandal um den gewaltsamen Protest gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu sein. Denn am 4. Januar wird bei „Landvolk schafft Verbindung“ ein Video gepostet mit dem Hinweis: „Schlüttsiel Bauer Jann-Henning Dircks über seine Demo gegen Robert Habeck auf der Fähre“. In einem Beitrag berichtet der Landwirt mit den blonden Struwelhaaren über die Aktion, die es in sich hat.

„Nehmt Vorschlaghammer mit“

Als die Nachmittags-Fähre von der Hallig Hooge am 3. Januar im Hafen von Schlüttsiel festmachen wollte, stand eine aufgebrachte Menge von Demonstranten am Anleger und erwartete den Politiker. „Habeck, komm raus“ oder „Du Arschloch!“ wurde gebrüllt, wie Videoaufnahmen zeigen. Weitere Fahrgäste berichten von ihrer Angst und Galgen-Plakaten der Störer. Per einschlägiger Telegramgruppen war zum „Bürgerdialog“ mit dem aus dem Winterurlaub heimkehrenden Wirtschaftsminister Habeck aufgerufen worden. Dircks gab sich kurz danach als involviert zu erkennen.

Es war nicht seine erste Provokation  Am 2. November 2020 hatte Dircks über den „Landvolk schafft Verbindung“-Kanal einen kurzen aber wütenden Clip veröffentlicht, in dem er zur Gewalt gegen Tierschützer*innen, die gegen den Schlachtbetrieb von Tönnies in Kellinghusen demonstrierten, aufrief. Er sagte: „Liebe Polizei, wir sind nicht eure Feinde, wir sind eure Freunde. Macht um elf Uhr Pause und wir regeln das.“ Er forderte seine Berufskollegen auf: „Nehmt Vorschlaghammer, Akkuflex und Bolzenschneider mit. Und dann stehen wir zusammen .. und dann ist endlich mal gut in dieser Gesellschaft, in dieser Bananenrepublik.“

Fahne der Landvolk-Bewegung

Am 28. August 2021 klagte er dann per Video: „All´ diese Politiker, die nur versagt haben, wollen jetzt wiedergewählt werden. Wie kann man nur so heuchlerisch sein und auf die Idee kommen, dass man weiterhin in Verantwortung kommen kann für ein Land. Das ist eine Schande.“ So welche wie Robert Habeck würden sich für Selfies vor die Kamera in Kriegsgebieten stellen und: „Für die ganze Welt haben wir Kohle übrig, nur für die eigenen Menschen, die in Bedrängnis sind, ist nichts übrig“

Am 12. Juni 2022 kommentierte Dircks Finanzhilfen für die Landwirtschaft in der Ukraine mit harmonischer Klaviermusik im Hintergrund: „Herr Özdemir, schauen Sie sich bitte mal die Belange der deutschen Landwirte an.“ Ein anderes Mal schwenkte er die Fahne der „Farmers Defence Force Nederland“, fährt dann mit der Flagge am John Deere-Traktor an seinem Gehöft vorbei. Ganz vorne an der Auffahrt ist ein Stein mit dem Landvolk-Logo zu sehen. Dircks & Co. verwenden die historisch-belastete Landvolk-Fahne als Zeichen ihrer nationalen Proteste. Sie erinnert an die Landvolk-Bewegung Ende der 1920er Jahre. Sie organisierte damals einen Steuerboykott und verübte Sprengstoffanschläge auf Landrats- und Finanzämter sowie auf Privathäuser von Regierungsbeamten. Ihr Ziel: das „jüdisch-parlamentarische System“ sollte vernichtet werden.

Rechte Inhalte verbreitet

„Landvolk schafft Verbindung“ ist ein Telegram-Sprachrohr der prorussisch-nationalistischen Reichsbürger-Gruppierung „Arminius Erben“ um Gernot von Hagen. Von Hagen stammt selbst aus der Nähe von Kiel. Sein politisches Umfeld hatte sich bereits bei den Bauernprotesten 2021 eingeklinkt. Der Telegram-Kanal von „Landvolk schafft Verbindung“ versorgte damals auch den nicht-rechten Kanal von „Land schafft Verbindung“ mit einschlägigen Nachrichten und aufgeheizter Stimmungsmache. Die reichsideologische Szene gewann an Einfluss. Anfang 2024 werden bei „Landvolk schafft Verbindung“ auch Nachrichten des extrem rechten „Compact-Magazins“ von Jürgen Elsässer verbreitet.

Dabei müssten die deutschen Landwirte finanziell eigentlich recht gut dastehen. Im Zeitraum 2022/2023 stiegen laut dem Deutschen Bauernverband die Erlöse schneller als die Kosten. Jegliche Einschränkungen von Subventionierungen sorgen jedoch sofort für massive, organisierte Unruhe. Der Bauernverband ist mächtig, die Lobby vor allem der industriellen Landwirtschaft wird durch mehrere Interessensvertretungen präsentiert. Die aktuellen Proteste rund um den 8. Januar beschäftigen sich nicht nur mit sachlichen Forderungen, sondern konzentrieren sich auf die Abwahl der Regierung und das Schüren von Unmutsstimmung. Das spielt extrem rechten Akteuren in die Hände.

Ehemalige AfD-Kandidatin involviert

In Bremen beteiligte sich der ehemalige AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Heiner Löhmann mit Trecker an den Protesten. In der Uckermarck meldete ein 39-Jährige einen Korso an, der sich politisch mit der AfD „verbunden fühlt“. Bereits Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“, die sich zur Zeit vor dem Oberlandesgericht in Koblenz verantworten müssen, hatten in einem Telefonat unter Verschwörern gefordert: „Wir wollen die Traktoren“. Es gab Kontakte zu Mitverantwortlichen der Telegramgruppe „Bauern & Verbraucher geeint“. Dieser Kanal und seine Ableger hat über 21.000 Abonnenten und mischt sich aktuell in die Proteste ein.

Bei „Bauern & Verbraucher geeint“ gab es einen Aufruf zur Aktion gegen Robert Habeck an den Fähranleger zu kommen. Recherchen der „Zeit“ zufolge war es eine ehemalige AfD-Kandidatin, Tanja B., die Informationen über Habecks Urlaub auf der Hallig Hooge weitergab. B. soll die Partnerin des Lohn- und Fuhrunternehmers Holger T. aus Nordfriesland sein. Auf den Videos von der gewaltsamen Störung in Schlüttsiel ist der Unternehmer im Gespräch mit einem Polizisten zu sehen, der am Anleger mit den aufgebrachten Demonstranten zu vermitteln versucht.

Holger T.s Name steht auch unter einem Foto einer provokanten Aktion von Dirks im Juni 2020. Damals hatten Hunderte von Traktoren aus Schleswig-Holstein auf einem Feld bei Oldenswort die Flagge der historischen Landvolk-Bewegung mit Pflugschar und Schwert nachgebildet. Weitere Fotos zeigen eine ganze Reihe von LKWs aufgereiht, allesamt mit Landvolk-Fahnen ausgestattet und auf der Einladung der Gelbwesten zum „LKW-Trecker-Auto-Korso“ am 8. Januar nach Kiel ist eine orangefarbene Zugmaschine mit seinem Firmenlogo zu sehen.

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