Rechte Mehrheit in künftiger AfD-Fraktion
Am Freitag haben die Landeswahlausschüsse entschieden, welche Parteien zur Bundestagswahl antreten können. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass in der AfD-Bundestagsfraktion dann die nationalpopulistische Riege rund um Alexander Gauland den Ton angeben wird. Zur Anhängerschaft von Parteisprecherin Frauke Petry dürfte nur etwa ein Fünftel der Neu-Abgeordneten zählen. Und: Auch im Bundestag wird AfD-Politik Männersache sein.
Vor allem aber wird nach Lage der Dinge die AfD-Fraktion kleiner ausfallen, als dies ihre Spitzenfunktionäre noch vor einigen Monaten erwarteten. Mit 70 bis 100 Mandaten rechnete die Partei Ende Dezember in einem internen Strategiepapier, das dann doch seinen Weg in die Öffentlichkeit fand. Damals wurde die AfD in den Umfragen noch bei 10,5 bis 15,5 Prozent gehandelt. Doch seither ging es stetig bergab. Im Augenblick sehen die Demoskopen die Partei bei sieben bis neun Prozent. Legt man diese Zahlen zugrunde, würden rund 50 Rechtspopulisten im September in den Bundestag einziehen.
Mit solchen Größenordnungen rechnet man mittlerweile auch in der Partei selbst. Der „Spiegel“ berichtete am Wochenende über „Gauland-Getreue“, die von einem Wahlergebnis von acht Prozent und damit etwa 48 AfD-Abgeordneten ausgehen. Unter Parteimitgliedern kursieren zudem Statistiken, nach deren aktuellster Fassung die AfD auf 52 Parlamentarier käme, die meisten aus Nordrhein-Westfalen (9), Baden-Württemberg (8) und Bayern (7).
Auch viele Mitglieder, die hofften, Jobs bei der Fraktion oder zumindest in den Abgeordnetenbüros zu ergattern, dürften leer ausgehen. Auf 100 bis 150 Mitarbeiter der Fraktion hatte die rechtspopulistische Partei zum Jahreswechsel gehofft, zudem auf 250 bis 300 persönliche Mitarbeiter der Abgeordneten. Verbessern sich die Werte der AfD nicht noch, werden aus den bis zu 450 neuen Jobs rund ums Parlament am Ende nur noch etwa halb so viele.
Optimismus in Gaulands Lager
Die vom „Spiegel“ zitierten Gauland-Anhänger schätzen, dass von den nach ihrer Einschätzung aussichtsreichen 48 mindestens 25 Personen sicher auf der Seite des 76-jährigen Spitzenkandidaten stehen. In der Tat ist nicht zu erwarten, dass künftige AfD-Abgeordnete wie der NRW-Ko-Landessprecher Martin Renner, aus Baden-Württemberg Marc Jongen, Markus Frohnmaier und Thomas Seitz, aus Bayern Petr Bystron oder Martin Sichert, aus Niedersachsen Armin-Paul Hampel, Jörn König, Thomas Ehrhorn oder Wilhelm von Gottberg im Konfliktfall Sympathien für Petry entwickeln könnten. Erst recht gilt dies für die allermeisten Kandidaten aus den Ost-Landesverbänden. Für sie dürften aus Sachsen Jens Maier und Siegbert Droese, aus Brandenburg neben Alexander Gauland noch Roman Reusch, aus Sachsen-Anhalt Martin Reichardt sowie aus Thüringen Stephan Brandner und Jürgen Pohl in den Bundestag einziehen.
Verglichen mit dem Gauland-Lager nimmt sich die Riege der Petry-Gefolgsleute recht dünn aus. Bekanntester unter ihnen ist Ex-Bundespräsidentenkandidat Albrecht Glaser. Zur Anhängerschaft der AfD-Bundessprecherin zählen aber auch Glasers hessische Landsfrau Joana Cotar und aus NRW Kay Gottschalk. Ihn hatte Petry-Ehemann Marcus Pretzell erfolglos als Spitzenkandidat im größten Bundesland installieren wollen. Gaulands Anhänger schätzen, dass Petry höchstens auf ein halbes Dutzend sichere Unterstützer in der Fraktion kommt.
„Alternative Mitte“ als Gegengewicht zu den Rechtauslegergruppen
Bei dieser Schätzung mag der Wunsch, die parteiinterne Konkurrenz möglichst klein zu rechnen, eine Rolle spielen – etwas größer als von Gaulands Anhängern dargestellt dürfte die Petry-Riege schon ausfallen. Von einer Mehrheit in der künftigen Fraktion ist sie aber sehr weit entfernt. Dass die Sympathiewerte der AfD so deutlich gesunken sind, scheint ihr Lager härter zu treffen als die Konkurrenz in der eigenen Partei. Beispiel Nordrhein-Westfalen. Noch vor Monaten konnten sich auch noch die Petry-Fans Mario Mieruch (Platz 12) und Uwe Witt (13) als künftige Abgeordnete sehen. Sogar Roland Hartwig und Berengar Elsner von Gronow auf den folgenden Plätzen konnten sich noch Hoffnungen machen.
Von Gronow und Witt führen mittlerweile Regie bei der „Alternativen Mitte“ in Nordrhein-Westfalen – einer Gruppe, die sich als Gegengewicht zu den Rechtsauslegergruppen „Der Flügel“ und „Patriotische Plattform“ versteht. „Wir hatten 2016 ein mögliches Wählerpotenzial von 28 %, im vorigen Monat lag es noch bei 14 %, tatsächlich wählen uns zur Zeit noch 7 % plus“, klagen sie. Als Ursache haben sie den Versuch von „Flügel“ und „Plattform“ ausgemacht, „die Deutungshoheit in der Partei für sich zu beanspruchen“. Von Gronow: „Sowohl bürgerliche Mitglieder als auch Wähler unserer Partei werden verschreckt, die gesunkenen Umfragewerte, die Mitgliederfluktuation und die Stimmung in weiten Teilen unserer Partei belegen das.“
Spitzenkandidat wegen Körperverletzung vor Gericht
Während das Quartett aus NRW Bundespolitik wohl weiter aus der Ferne beobachten muss, hat einer, der sicher mit einem Mandat rechnen kann, im Augenblick ganz andere Probleme. Sebastian Münzenmaier, Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz, steht derzeit vor Gericht, weil er an einem Überfall Kaiserslauterer und Stuttgarter Fußball-Hooligans auf eine Gruppe von Anhängern des FSV Mainz beteiligt gewesen sein soll. Raub, versuchter Raub, Körperverletzung und einen Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz wirft die Staatsanwaltschaft fünf Angeklagten vor, die sich vor dem Mainzer Amtsgericht verantworten müssen – Vorwürfe, die sich in der Vita des Spitzenkandidaten eines sich betont bürgerlich gebenden AfD-Landesverbands alles andere als gut ausnehmen.
Wie weit bei der AfD Schein und Sein auseinanderfallen, zeigt sich auch an anderer Stelle. An der Parteispitze stehen mit Frauke Petry und Jörg Meuthen formal gleichberechtigt eine Frau und ein Mann, und auch das Spitzenteam zur Bundestagswahl ist mit Gauland und Weidel paritätisch besetzt. Doch hinter Petry und Weidel kommt lange Zeit nichts. Wie sehr die AfD eine Männerpartei ist, wird sich in der künftigen Fraktion widerspiegeln. Weidel wird ins Parlament einziehen, von der sächsischen Landesliste Frauke Petry, aus Berlin Beatrix von Storch, aus Hessen Mariana Harder-Kühnel und Joana Cotar, aus Bayern Corinna Miazga. Nur unter für die AfD sehr optimalen Umständen würde mit Nicole Hoechst aus Rheinland-Pfalz aus dem Sextett der Frauen ein Septett. Bei rund elf Prozent wird der Frauenanteil in der Fraktion liegen.
Männerpartei AfD
Die AfD als Männerdomäne: Zehn Landesverbände kommen gleich ganz ohne Frauen auf vorderen Listenplätzen aus. Nordrhein-Westfalen ist nicht einmal völlig untypisch für die AfD: Der größte Landesverband mit seinen mehr als 4500 Mitgliedern hat es geschafft, auf seiner 24-köpfigen Kandidatenliste gerade einmal eine Frau unterzubringen – und das auf dem hoffnungslos aussichtslosen Platz 23.
So paradox es klingt: Ein Gutes haben die schwachen Umfragewerte in den Augen jener, die um einen Zusammenhalt der rechtspopulistischen Partei besorgt sind. Eine Spaltung der AfD unmittelbar nach der Bundestagswahl wird unwahrscheinlicher – schon allein deswegen, weil der im internen Machtkampf unterlegene Teil der Partei mangels Masse im Bundestag keine eigene Fraktion bilden könnte, sondern ohne Scheinwerferlicht und isoliert auf den hintersten Reihen im Plenarsaal Platz nehmen müsste.
Showdown in Hannover
Damit ist der Showdown aber nur aufgeschoben. Am ersten Dezember-Wochenende soll ein Parteitag in Hannover die neue AfD-Spitze wählen. Hinter den Kulissen werden die Messer schon einmal gewetzt. „Die Alternative Mitte setzt sich energisch dafür ein, dass dieser Parteitag als Mitgliederparteitag abgehalten werden soll“, kündigte deren bayerische Filiale an und verlangte eine Mitgliederbefragung zur Forderung, nicht nur Delegierte über die AfD-Führung entscheiden zu lassen. Bei diesen Delegierten hatte sich Petry zuletzt beim Kölner Parteitag eine Abfuhr geholt.
Auch die Gegenseite munitioniert auf. Der Rechtsaußen-Flügel in NRW fordert einen Sonderparteitag auf Landesebene. Er soll möglichst noch vor der Bundestagswahl stattfinden und die von Petry-Ehemann Marcus Pretzell dominierte Landesspitze abservieren: „Der gesamte Altvorstand hat sich sowohl organisatorisch als auch hinsichtlich seiner Führungsaufgabe vollständig und auf allen Ebenen disqualifiziert.“ Für die Lust an der Selbstzerstörung gibt's auch in Wahlkampfzeiten keine Pause.