Brandenburg
Rechte Gewalt auf dem Vormarsch
Der jetzt vorgelegte Verfassungsschutzbericht von Brandenburg sieht im Rechtsextremismus weiterhin die größte Gefahr für die Demokratie. Eine Radikalisierung der rechten Szene hat zu einem gestiegenen Gewaltpotenzial geführt. Unter den politisch motivierten Gewalttaten wurden im Berichtsjahr 2021 insgesamt 108 Fälle aufgelistet, eine Zunahme um 39 Fälle.

Auch das hohe Personenpotenzial für den Bereich Rechtsextremismus sorgt für keine Beruhigung. Das Personenspektrum ist nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften von 2.860 auf nunmehr 2.830 nur unerheblich zurückgegangen. Ein Alarmzeichen auch hier: 1.245 Personen (minus 40) gelten darunter als gewaltorientiert. Generell gilt: Im Süden des Landes sind mehr Aktivitäten seitens der rechten Szene zu verzeichnen.
Ausdrücklich wird die AfD als Verdachtsfall und damit als Beobachtungsobjekt behandelt. 790 Parteigänger und damit mehr als die Hälfte der rund 1.400 AfD-Mitglieder werden zur völkisch-nationalistischen Strömung gerechnet. Auch die Junge Alternative als Jugendorganisation der AfD (60 Mitglieder) wird als Verdachtsfall behandelt. Im Berichtsjahr zeigte sich die AfD besonders aktiv bei der Mobilisierung und Organisation von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Die AfD, die ihren Sitz in Werder/Havel hat, verfügt im Potsdamer Landtag über 23 Mandate.
„Zukunft Heimat“ ein Protestmotor
Im Parteiensektor entfaltet die NPD unter der Führung von Bundesgeschäftsführer Klaus Beier kaum noch Wirkung mit ihren 210 Mitgliedern. Innerhalb eines Jahres hat man in seinen elf Kreisverbänden 40 weitere Mitglieder verloren. Die Kleinstpartei Der Dritte Weg zeigt sich mit ihren unverändert 45 Mitgliedern wesentlich umtriebiger. Mit der Wahl von Matthias Fischer aus Brandenburg zum Bundesvorsitzenden fällt Brandenburg künftig vermutlich mehr Gewicht zu.
Bei den parteiunabhängigen Strukturen sank die Zahl der Angehörigen von 410 auf 395. Während in diesem Personenkreis die Identitäre Bewegung mit 20 Anhängern nur eine marginale Rolle spielt und an Einfluss verliert, ist im zweiten Pandemie-Jahr der Verein „Zukunft Heimat“ mit 80 Kräften und dem AfD-Landtagsfraktionschef Hans-Christoph Berndt als führendes Gesicht zu einem wichtigen Aktionisten geworden. Mit guter Vernetzung, Reichweitenstärke in sozialen Kanälen und maßgeblichen Kontakten ist „Zukunft Heimat“ zu einem „Protestmotor“ geworden.
„Compact-Magazin“ Teil der Proteste
Eine ausführliche Würdigung erfährt das Magazin „Compact“, das seinen offiziellen Sitz wie die AfD in Werder hat. Ein monatliches Heft, Sonder- und Themenveröffentlichungen, ein YouTube-Kanal sowie mehrere Tausende Follower auf weiteren Social-Media-Kanälen – das macht das „Compact“-Medienprojekt mittlerweile nicht nur zu einem Sprachorgan und Berichterstatter. Immer wieder brachte sich das „Compact-Magazin“ zuletzt auch inhaltlich bei Straßenprotesten ein.
Zu den organisierten Neonazis werden diverse Bruderschaften gezählt, die sich wie Clans in Rocker-Manier mit Kutten und Patches aber nur selten in der Öffentlichkeit zeigen. Sie haben teilweise eigene Immobilien und Liegenschaften und somit Rückzugsorte, aber auch Örtlichkeiten für Feste, Konzerte und andere Veranstaltungen. Einige der Gruppierungen betätigen sich als Security-Personal bei Rechtsrockevents. Solche Anfragen werden unter anderem auch in Sachsen bedient.
Rechte Musikszene von deutschlandweiter Relevanz
Auch die international aufgestellten Hammerskins sind in Brandenburg anzutreffen. Organisierte Strukturen werden inzwischen auch im Bereich der Kampfsport-Szene angetroffen. Namentlich benannt werden die Kampfgemeinschaft Cottbus sowie die Northside-Crew mit eigenen Räumen in Lübben und Gröden. Im Juni 2021 fand ein überregional besuchtes Survival-Trainingscamp für Neonazis in Brandenburg statt.
Die unstrukturierten Personen der rechten Szene werden auf 1.600 gelistet, 15 mehr als im vorhergehenden Berichtsjahr. Sie suchen nicht selten den Weg ins rechtsextreme Musikmilieu. Corona-bedingt fanden nur wenige Liveauftritte statt, doch es wurden 16 neue Tonträger mit brandenburgischer Beteiligung veröffentlicht, drei mehr als noch 2020. Für den Verfassungsschutz stellt die rechte Musikszene mit 24 Bands und 19 Liedermachern gemessen an der Einwohnerzahl des Bundeslandes eine hervorgehobene Rolle.
„Veteranen-Pool“ auf Verfassungsschutz-Radar
Bei den Reichsbürgern und Selbstverwaltern kletterte das Potenzial von 570 auf 650 Anhänger. Rund zehn Prozent davon können dem Rechtsextremismus zugerechnet werden. Auch unter den heterogen aufgestellten Reichsideologen lässt sich eine sichtbare Zunahme in Sachen Radikalität feststellen, was unter anderem an steckbrieflich gesuchten Staatsanwälten und Vorstehern von Finanzämtern deutlich wird.
Zu der neu eingeführten Rubrik verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates hat die Verfassungsschutzbehörde die virtuell in Telegram-Gruppen im April 2021 aufgetauchten, selbst ernannten Initiativen mit dem Namen „Veteranen-Pool“ eingeordnet. Im Chat bezogen auf Kritik an Corona-Maßnahmen dort unter anderem zu lesen: „Wir ziehen nicht in den Krieg. Wir sind im Krieg“. Einer der Chat-Teilnehmer beim „Veteranen-Pool“ sei übrigens der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende Daniel Freiherr von Lützow.