Thüringen

Rechte Gewalt als Massenphänomen

Kurz nachdem das Thüringer Innenministerium seine Zahlen zur „Politisch motivierten Kriminalität“ 2024 vorgelegt hat, verzeichnet die Opferberatungsstelle ezra in ihrer Jahresstatistik einen neuen Höchststand rechter Angriffe. Sie befürchtet ähnliche Tendenzen wie in den 1990er Jahren.

Donnerstag, 03. April 2025
Kai Budler
Offen getragenes Bekenntnis zur Gewalt gegen politische Gegner bei einer Neonazi-Demonstration
Offen getragenes Bekenntnis zurGewalt gegen politische Gegner bei einer Neonazi-Demonstration

Die Zahl rechter Angriffe in Thüringen ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen und hat einen neuen Höchststand erreicht. In ihrer Jahresstatistik für 2024 registriert die Thüringer Opferberatungsstelle ezra insgesamt 206 Fälle mit mindestens 315 Menschen, die direkt betroffen oder mit-angegriffen waren. Das entspricht vier rechten Gewalttaten pro Woche im Freistaat. Bei etwa 60% der Angriffe handelte es sich um einfache, gefährliche und schwere Körperverletzungen. Die Behörden kommen in der „Politisch motivierten Kriminalität“ (PMK) rechts auf lediglich 133 Taten Gewalttaten.

Hohe Dunkelziffer im ländlichen Raum vermutet

Franz Zobel, der Projektleiter von ezra, befürchtet, dass sich die seit Jahren kontinuierlich zunehmende rechte Gewalt „zu einem Massenphänomen“ entwickelt. Er sieht eine wachsende Enthemmung und „ähnliche Tendenzen wie in den 1990er Jahren" mit einer rechten Hegemonie und steigenden Angsträumen. Mehr als die Hälfte der Angriffe war rassistisch motiviert, knapp ein Viertel richtete sich gegen vermeintlich politische Gegner*innen. Dies gehe einher mit einer zunehmenden extrem rechten Raumnahme.

Mit 16 queerfeindlichen Angriffen hat sich diese Zahl im Vorjahresvergleich fast verdreifacht. Mit Gewalt gegen queere und linke Menschen fielen besonders neonazistische Jugendgruppen auf, die in der letzten Zeit wieder erstarkt seien, erklärt die ezra-Beraterin Theresa Lauß. Regional betrachtet ereigneten sich die meisten Angriffe wie im Vorjahr in Erfurt, gefolgt von Jena und Gera. In der Otto-Dix-Stadt im Osten Thüringens hat sich die Zahl rechter Angriffe im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Lauß spricht von einer hohen Dunkelziffer besonders in den ländlichen Räumen. 

Jahresstatistik der Opferberatung ezra für Thüringen 2024 - Grafik: ezra
Jahresstatistik der Opferberatung ezra für Thüringen 2024 - Grafik: ezra

Als Konsequenz des erneuten Anstiegs der Zahlen im Freistaat fordert Zobel eine langfristige Absicherung von Fachberatungsstellen, die Schaffung einer Schwerpunkstaatsanwaltschaft und die Berufung eines Landesopferschutzbeauftragten mit entsprechenden Ressourcen. Auf Landes- und Bundesebene brauche es in den aktuellen Koalitionsverhandlungen als auch in den kommenden Haushaltsverhandlungen ein klares Bekenntnis zum Opferschutz.

Neuer Höchststand rechter Gewalttaten in der Polizeistatistik

Kurz vor der Veröffentlichung der jüngsten Jahresstatistik von ezra hatte bereits das Thüringer Innenministerium mit den Zahlen der PMK für 2024 für Aufsehen gesorgt. Demnach wurden im vergangenen Jahr rund 2.800 Fälle der PMK rechts verzeichnet, das sind knapp 55 rechte Straftaten pro Woche. Im Vergleich zum Vorjahr steig die Zahl der erfassten Fälle um mehr als 50% an.

Bei rechten Gewalttaten verzeichnet auch das Ministerium einen neuen Höchststand, hinzu kommen in der PMK rechts zwei Terrorismusdelikte. Deutlich angestiegen sind in Thüringen auch die Zahlen der „PMK sonstige Zuordnung“. In diesem Bereich werden erfahrungsgemäß oft Straftaten von Reichsbürger*innen, Corona-Leugner*innen oder antisemitischen Verschwörungsideologen erfasst. Hier stieg 2024 die Zahl der erfassten Fälle im Vorjahresvergleich um knapp 88% auf 1.317 Fälle an, das sind im Durchschnitt mehr als drei Straftaten täglich. Davon waren 44 Fälle Gewalttaten. Die Dunkelziffer dürfte in beiden Bereichen deutlich höher liegen. 

Kategorien
Tags
Schlagwörter