Kampfsport-Veranstaltung
Razzia in Hachenburg: Die „Fassfabrik“ als Spinne im Netz der extremen Rechten
In der sogenannten Fassfabrik in Hachenburg fand am Samstagabend eines der größten Kampfsportevents der letzten Jahre statt. Veranstaltet wurde es vom Umfeld des Dritten Weg, insbesondere dem Stützpunkt Westerwald/Taunus. Eine Einordnung der aktuellen Ereignisse und Zusammenhänge.
Der Westerwald ist überall ein schönes Fleckchen Erde. Ein besonders anschaulicher Ort ist die Stadt Hachenburg. Selbst bezeichnet sie sich gerne als „Kulturhauptstadt“ des Westerwaldes. Obwohl sie nur rund 6.000 Einwohner:innen hat, finden das ganze Jahr über teils kostenlose Konzerte und Kulturveranstaltungen statt. Die Bewohner:innen kommen aus über 100 Nationen, es gibt einen regen Austausch und ein offenes Miteinander. Hachenburg ist im besten Sinne „bunt“.
Strategisch ist die Stadt sehr günstig im Westerwald gelegen. Größere Städte liegen in alle Richtungen etwa eine Stunde Fahrt entfernt, die Anbindung über Bundesstraßen ist hervorragend. Obwohl die Stadtgesellschaft durchaus aktiv und aufmerksam ist, sieht auch die extreme Rechte die Vorteile der Lage und die Chance, sich hier festzusetzen.
Im Volksmund: „Hassfabrik“
Am äußersten Rand der Bebauung befindet sich die ehemalige Fassfabrik. Im Zweiten Weltkrieg wurden Zwangsarbeiter:innen dort eingesetzt. Heute befinden sich dort mehrere ineinander verschachtelte Gebäude. Von der Zufahrt aus ist der Eingang nicht zu sehen, man muss um die Gebäude herum gehen und starrt dann auf einen hoch aufgeschütteten Wall. Das Ganze wirkt wie eine Festung mit seinen blauen Fensterläden und massiven Schlössern – und das mutmaßlich mit Absicht.
Im lokalen Volksmund hat sich schnell der Name „Hassfabrik“ etabliert; die Stadt Hachenburg ist alles andere als begeistert von den Entwicklungen vor Ort.
Verbindungen zur AfD
2019 schrieb Justin Cedric Salka in einer E-Mail an die AfD Westerwald, dass das damalige Parteimitglied Andreas Schäfer, Inhaber einer Kette von Geschäften für Hörgeräte, erhebliche Mittel in den Umbau der „Fassfabrik“ gesteckt habe, um dort einen „Leuchtturm des Widerstandes“ zu schaffen.
Geldgeber Andreas Schäfer besuchte mehrere Treffen des AfD-„Flügels“ am Kyffhäuser. Spätere Bilder zeigen ihn als Teilnehmer eines Sommerfests bei Götz Kubitschek in Schnellroda. Bereits eine Woche vor der offiziellen Eröffnung der „Fassfabrik“ veranstaltete die AfD Westerwald einen Grillabend. Anwesend waren unter anderem Joachim Paul, Sebastian Münzenmaier und Andreas Kalbitz.
Einschlägige Gäste
Am 9. November 2019, dem Jahrestag der Reichspogromnacht und dem Tag, an dem die Stadt Hachenburg der ermordeten Juden gedenkt, gab es in der „Fassfabrik“ ein „traditionelles Schlachtfest“, angekündigt von Salka in einer E-Mail an die Mitglieder der AfD Westerwald. Salka wird später eine Parteikarriere interruptus hinlegen, die mit einer Hausdurchsuchung und einer Verurteilung enden wird. 2021 schafft er es gar in den Verfassungsschutzbericht von Rheinland-Pfalz.
Zu den regelmäßigen Gästen der „Fassfabrik“ gehört u. a. Christian Greeb, ehemals NPD und aktiv im Umfeld der verbotenen Kameradschaft Westerwald. Die dort zu Vorträgen Geladenen decken viele Themen ab. Reinhild Boßdorf tritt als Vertreterin von „Lukreta“ auf. Geschichtsrevisionisten, selbsternannte Get-Rich Gurus und Verschwörungsideologen finden einen Schallraum. Zu den sicherlich skurrilsten Gästen gehörte Mario Buchner, der als Agitator im Kontext der Corona-Pandemie von sich reden machte und bereits früh für militanten Widerstand gegen Infektionsschutzmaßnahmen warb. Aufgrund des deutlichen Widerstands aus der Zivilgesellschaft werden die Veranstaltungen jedoch zunehmend klandestin organisiert. Nur selten sickern Informationen durch.
Der Dritte Weg in Hilchenbach
Ortswechsel. Durch den Kauf eines Hauses in der Ortsmitte des just jenseits der Grenze zu NRW gelegenen Hilchenbach schien es zunächst, als ob der Dritte Weg ausreichend „versorgt“ sei. Dort finden regelmäßig Veranstaltungen der neonazistischen Partei statt – sowohl öffentlich beworbene wie der sogenannte „Tag der Heimattreue“ als auch heimlich organisierte Events wie Konzerte.
Die Zivilgesellschaft Hilchenbachs hat den Druck jedoch stetig weiter erhöht. Offensichtlich besteht seitens des Dritten Wegs Bedarf für weitere Räumlichkeiten. 2022 beobachten wachsame Spaziergänger:innen, dass vor dem Gebäude der „Fassfabrik“ zwei bemerkenswerte Fahrzeuge parken: Das von Geldgeber Andreas Schäfer und eines, das Matthias Herrmann zugerechnet wird. Herrmann spielt eine gewichtige Rolle beim Dritten Weg und gilt als rechte Hand des früheren Parteivorsitzenden Klaus Armstroff.
In der Folge tauchen immer öfter Mitglieder des Dritten Wegs in der „Fassfabrik“ auf. Eine Regelmäßigkeit lässt sich aufgrund der abgeschotteten Lage nicht bestätigen, denn Sichtungen erfolgen eher zufällig durch aufmerksame Menschen oder weil Menschen in der Umgebung bedroht werden. Kampfsporttrainings lassen sich seit 2022 beobachten. Das große Ereignis Samstag Nacht ist jedoch ein Novum.
Platzverweise für Proto und Kavalier
Am Freitagabend findet im rund 60 Kilometer entfernten Hilchenbach eine Veranstaltung mit dem Namen „Abschiebehauptmeister Party“ statt. Sie wird klandestin organisiert, sickert jedoch in öffentliche Kanäle ein. So erhält die Zivilgesellschaft in Hilchenbach die Möglichkeit, eine Gegenveranstaltung zu organisieren.
Auftreten sollten die Rapper Kai Naggert (alias Proto) und Dominik Raupbach (alias Kavalier), die beide beim Label NDS („Neuer Deutscher Standard“) veröffentlichen. Beide Männer werden jedoch vor dem Haus abgefangen und erhalten von der Polizei einen Platzverweis, der den „Gebietsleiter West“ und Besitzer des Hauses, Julian Bender, zu minutenlangen Schimpftiraden am Mikrofon veranlasst.
Naggert sieht sich selbst als eine Art „Brückenbauer“. In der Tat: „Naggert bzw. NDS sind ein Bindeglied zwischen rechtsterroristischen Netzwerken wie Blood & Honour und Hammerskins einerseits und der antisemitischen Verschwörungsrap-Szene rund um die „Rapbellions“, die sich zwar erst im Zuge der rechtsesoterischen Proteste gegen die pandemiebedingten Einschränkungen formiert haben, deren Wurzeln aber mindestens bis zu den sogenannten Friedensmahnwachen 2014 zurückreichen“, so der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs über das Netzwerk der Rapper.
Freitag Konzert, Sonnabend Kampfsport?
Die etwa 40 angereisten Besucher:innen verbringen den größten Teil des Abends mit Einkäufen im örtlichen Supermarkt. Julian Bender behauptet später in einem sehr langen Posting auf Telegram, dass „ein weiter anwesender anderer Musiker“ aufgetreten sei. Dabei könnte es sich um Andreas Sch. alias Ewige Eiche handeln.
Drei Menschen sind auf den Bildern des Abends zu sehen, die am nächsten Tag auch in der „Fassfabrik“ sein werden. Darunter ist ein auffälliger, vollständig vermummter Mann. Er wird vom Dritten Weg gegenüber Medienvertretern und der Polizei extrem abgeschirmt und in das Haus geschleust.
Verharmlosung durch AfD-Politiker
Das Kampfsport-Event am Samstag wird unter äußerster Geheimhaltung organisiert, angeblich seien persönliche Einladungen an einzelne Personen ausgesprochen wurden. Etwa 130 Personen sollen sich im Gebäude der „Fassfabrik“ aufgehalten haben, ein Boxring sei aufgebaut gewesen. Es seien Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie das Waffengesetz festgestellt worden. Unter den Kontrollierten werden die drei Personen wiedererkannt, die bereits am Abend vorher in Hilchenbach waren – darunter auch der stark vermummte Mann.
Noch in der Nacht reagieren die einschlägigen Kanäle auf die untersagte Veranstaltung – von Boris Reitschuster bis zur rechten Aktivistin Melanie Dittmer. Gerade Dittmer schäumt geradezu, behauptet, die Veranstaltung sei nur ein „Training“ gewesen und es habe keine Betäubungsmittel gegeben, sondern nur die medizinische Ausrüstung des „Ringarztes“. Im Namen der rechtsextremen Gruppen „Freundeskreis Westerwald“ und der „Rheinlandbande“ solidarisiert sie sich lautstark mit der „Fassfabrik“. Auch der AfD-Europaabgeordnete Alexander Jungbluth meldet sich zu Wort und versucht, die Geschehnisse zu bagatellisieren. „Rechte, die Kampfsport machen, beschützen Frauen und Töchter“, schreibt Jungbluth auf seinem X-Account. Das verwundert nicht, war der AfD-Politiker doch selbst Teilnehmer der ersten, noch inoffiziellen, Veranstaltung in der Fassfabrik im Jahr 2019.
Die untersagte Veranstaltung zähle laut Robert Claus, Autor und Beobachter der rechtsextremen Kampfsportszene, „zu den größten der letzten Jahre“. Üblicherweise seien entsprechende Akteure eher im „grenznahen Ausland mit internationalen Partnern“ aufgetreten oder hätten kleinere Events durchgeführt. Die mutmaßliche Beteiligung des Dritten Wegs überrasche ihn nicht, da die Partei als „Schutzschild für militante Neonazi-Gruppierungen“ fungiere und seit Jahren Kampfsporttrainings anbiete. Häufig gehe es laut Claus nur vordergründig um den Sport an sich, sondern auch um Kampffähigkeiten für politische Gewalt.
„Fassfabrik“ als Knotenpunkt in der Region
Die „Fassfabrik“ ist und bleibt ein wesentlicher Verbindungspunkt für die extreme Rechte im Westerwald und Umgebung. Hier kommen parlamentarische, finanzstarke und militante Strukturen zusammen. Gerade die strategische Lage und die starke Vernetzung der damit verbundenen Menschen und Organisationen sind äußerst beunruhigend.
Die Stadtgesellschaft hatte zuletzt im Februar bei der bislang größten Kundgebung im Ort klar gemacht, dass Hachenburg und der gesamte Westerwald den Szene-Treffpunkt nicht länger dulden wollen. Die Reaktion der Zivilgesellschaft spricht für sich: Spontan beruft der Runde Tisch Hachenburg eine Infoveranstaltung für kommenden Freitag ein, um über den weiteren Umgang mit der „Fassfabrik“ zu diskutieren.