Rassistische Kundgebungstour im Schatten der Demonstration gegen das „Braune Haus“ in München - Obermenzing
Ganze fünf BIA-Aktivisten tourten am Samstag durch München und warben für die NPD-Tarnorganisation. Die Tour lief zeitlich parallel zur Demonstration gegen das zum Neonazi-Zentrum avancierte „Braune Haus“ in Obermenzing. Die Bewohner zeigten sich nicht, obwohl sie angeblich vor Ort waren.
Nach dem üblichen Schema verlief am Faschingssamstag die Kundgebungstour von fünf Anhängern der rassistischen „Bürgerinitiative Ausländerstopp München“ (BIA). Wie schon mehrfach zuvor, zog sie mit einem gemieteten Transporter zu sechs Plätzen der bayerischen Landeshauptstadt. Verkauft wurde der angebliche „Kundgebungsmarathon“ als „Wahlkampf-Endspurt“. Die Kandidatinnen und Kandidaten der demokratischen Parteien dürften in den letzten Wochen im Kommunalwahlkampf ein deutlich volleres Programm absolviert haben. Trotz der vollen Terminkalender beteiligten sich zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter, darunter der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn (SPD), an den Protesten an den einzelnen Stationen.
Hauptredner auf Seiten der BIA war - wie immer - Karl Richter, Stadtrat und weitgehend erfolgloser Vorsitzender der NPD Bayern. Inhaltlich verändert hat sich seine Rede nach unseren Beobachtungen in den letzten Monaten nicht. Präsentiert werden immer wieder die gleichen Versatzstücke. Er sucht den angeblichen Schulterschluss zu den Konservativen, gerade zu Horst Seehofer, Innenminister Joachim Herrmann und der zum Jahreswechsel losgetretenen Kampagne gegen Bulgaren und Rumänen. Mal spielt man mit rassistischen Vorurteilen über Sinti und Roma, mal versucht man jeden Protest zu delegitimieren, mal versucht Karl Richter den Leuten einzureden, das Spezifische an der NS-Machtergreifung sei das Auspfeifen politischer Gegner mittels Trillerpfeifen gewesen und versucht so, seine Gegner als die „eigentlichen Nazis / Faschisten“ zu beleidigen. Dass er rechtskräftig verurteilt wurde, weil er zur Vereidigung 2008 im Münchner Stadtrat den Hitlergruß gezeigt hatte, verschweigt er dabei.
Auch sonst versucht sich die BIA harmlos zu geben, man habe nur was gegen bestimmte „Ausländer“. Dabei stellt die NPD, deren stellvertretende Vorsitzender Karl Richter immerhin (noch) ist, zuletzt wieder deutlicher heraus, wer in ihren Augen „Deutscher“ sei und wer nie „Deutscher“ sein und werden könne. Man bedroht damit alle, die nicht in ihr rassistisches Weltbild passen, mindestens mit Vertreibung aus dem Staatsgebiet. Auch ein Veranstaltungsbericht von rechtsextremer Seite macht das deutlich.
Richter wurde bei dieser Tour unterstützt von Sigrid Schüßler, Bundesvorsitzende der NPD-Frauenorganisation „Ring Nationaler Frauen“ (RNF). Ihr blieben - nach in der extremen Rechten üblichen Themenverteilung - die Betonung der Opferrolle und das Frauen- / Geschlechterthema.
Getragen wurde die Tour an den ersten beiden Stationen, die wir dokumentiert haben, nur von insgesamt fünf Aktivisten, darunter Roland Wuttke. Von den anderen Kandidatinnen und Kandidaten der BIA-Liste, die insgesamt 27 Namen umfasst, war soweit beobachtet, nichts zu sehen, geschweige denn, dass sie ihre Inhalte und Ziele präsentieren wollten.
Kameradschaftsaktivistin Vanessa Becker, die sich auf dem zweiten Platz der Liste befindet und sonst bei den Touren Flugblätter und kurze Reden verlas, hielt sich an dem Tag von den Kundgebungen fern. Ihr Wohnort, das „Braune Haus“ im Münchner Stadtteil Obermenzing, war an dem Tag Thema einer Demonstration, die sich auch gegen den Einzug rechtsextremer Parteien in den Münchnern Stadtrat aussprach. Mit Daniel Thönnessen kandidiert ein zweiter Bewohner der „Neonazi-WG“ auf der Liste der BIA.
Kurz nach 13.00 Uhr versammelten sich zwischen 700 und 1.000 Bürgerinnen und Bürger am S-Bahnhof Pasing, um von dort gemeinsam die mehrere Kilometer lange Route direkt vor das besagte Haus zu ziehen. Trotz des laufenden Kommunalwahlkampfes fanden die OB-Kandidaten der SPD, CSU und der Grünen, Dieter Reiter, Josef Schmid und Sabine Nallinger, Zeit für die
Auftaktkundgebung. Vor Ort waren auch der Münchner SPD-Chef Uli Pfaffmann, Florian Ritter (SPD), Katharina Schulze (B90/ Die Grünen) sowie die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke (Linke).
Sie hörten sich u. a. an, welche Bedeutung das Haus samt Garten für die bayerische Neonazi-Szene gewonnen habe. Es handelt sich bei dem im Dezember 2012 bezogenen Haus eben nicht um den privaten Rückzugsraum der drei Bewohner, sondern es war vermutlich von Anfang an für politische Aktivitäten gedacht und wurde dafür auch geöffnet. Zuletzt war das Anwesen in den Schlagzeilen, weil der vorbestrafte Ex-Sänger der aufgelösten Band „Landser“, Michael Regener, dort ein Konzert gab. Bei weiteren Feiern gaben sich die führenden Aktivisten der bayerischen Neonazi-Szene die Klinke in die Hand. Auch Andre E., der sich zurzeit als mutmaßlicher Unterstützer des NSU vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten muss, soll schon mehrfach Gast im Haus gewesen sein.
Anhören mussten sich die OB-KandidatInnen auch die Klagen der Organisatoren über das Vorgehen bayerischer Behörden gegen Neonazi-Gegner. Konkret bezog man sich auf die Demo bayerischer Neonazis kurz nach der Selbstenttarnung des NSU, als die extreme Rechte mit Schlagstöcken und „getarnten Kurzfahnen“ aufmarschieren und auch das Paulchen-Panther-Lied aus dem Bekenner-Video abspielen durfte, ohne dass gegen die Demonstration eingeschritten worden sei, so ein Redner. Dagegen habe man GegendemonstrantInnen, die den Aufmarsch zu blockieren suchten, kurz vor Ablauf der Verjährung noch mit Strafbefehlen überzogen.
Die Demonstration verlief über weite Strecken störungsfrei. Am Haus angekommen, gab es eine Zwischenkundgebung, die weitere Hintergründe des Hauses und der Bewohner thematisierte. Von den drei Mietern oder ihren Sympathisanten war nichts zu sehen, auch wenn sich Becker laut dem Bericht der BIA dort aufgehalten haben soll. In dem Zugang, der mittels Videokamera gesichert ist, lag lediglich ein Schild mit der Aufschrift „Keep out“. Nur zahlreiche rechtsextreme Aufkleber, die auf dem Weg Richtung S-Bahnhof Untermenzing verklebt worden waren, zeugten an dem Tag von der Anwesenheit neonazistischer Akteure in dem Stadtteil.
Die BIA will an dem Tag laut eigenen Angaben im Rahmen ihrer Tour zahlreiche Strafanzeigen gegen GegendemonstrantInnen gestellt haben. Auf einem bei Facebook eingestellten Video sieht man dagegen, wie Roland Wuttke gegen einzelne Fotografen vorgeht.
In Bayern wird am 16. März gewählt. Karl Richter, dessen Ambitionen auf einen Platz im Europaparlament schon in der eigenen Partei abgewürgt wurden, muss dabei um seinen verbliebenen Fleischtopf „Stadtratssitz“ bangen. Konkurrenz machen ihm mit der Kleinstpartei „Die Freiheit“ und „Alternative für Deutschland“ zwei rechtspopulistische Gruppierungen. Diese dürften ihre WählerInnen in einem ähnlichen Milieu finden, das antieuropäischen und rassistischen Ressentiments anhängt.
Und gegen den dritten Stützpfeiler der rechtsextremen Wahlhoffnungen, eine niedrigere Wahlbeteiligung als bei Landtags- und Bundestagswahlen, macht das überparteiliche Bündnis „Keine Stimme für Hass und Rassismus! Ich wähle demokratisch“ mobil. Das Bündnis wird von zahlreichen Münchner Prominenten wie Senta Berger, Rufus Beck oder dem Spieler des FC Bayern, Jérôme Boateng, unterstützt.
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