"Manifest" und Demoaufruf
Querfront-Träume: Das „Manifest“ von Wagenknecht und Schwarzer
Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer beflügeln mit ihrem „Manifest für Frieden“ jene Rechtsaußen-Fraktion, die seit langem von einer Querfront träumt. Es bleibt abzuwarten, wie sie am Ende mit der Zustimmung aus bestimmten Kreisen umgehen werden.

Tino Chrupalla teilte am Freitag via Twitter mit, was ihm als Bundesvorsitzender der AfD und deren Fraktionschef im Bundestag wichtig war. „Ich habe diese Petition für den Frieden unterzeichnet. Im Einsatz für den Frieden sollten Parteigrenzen keine Barrieren sein“, teilte Chrupalla mit und rief seine Follower dazu auf, es ihm gleich zu tun. Verlinkt war das „Manifest für Frieden“, das zu diesem Zeitpunkt viral ging und bundesweit seitdem die Debatten prägt. Als Autorinnen treten die umstrittene Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht sowie die Frauenrechtlerin und Journalistin Alice Schwarzer auf.
Beide riefen ebenso in einem Video zu einer Friedenskundgebung am 25. Februar am Brandenburger Tor in Berlin auf. Diese soll also einen Tag nach dem Jahrestag des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine stattfinden. Ihr Manifest wurde von 69 Erstunterzeichnern unterstützt. Zu ihnen gehören die Theologin Margot Käßmann, der Sänger Reinhard Mey, der Satiriker Martin Sonneborn und der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen.
Wagenknecht und Weidel als „Dreamteam“
In der Liste der Erstunterzeichner finden sich auch umstrittene Aktivisten wie Rainer Braun (Internationales Friedensbüro), Jürgen Todenhöfer (Team Todenhöfer – Die Gerechtigkeitspartei) und die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Das Duo Wagenknecht und Schwarzer wird flankiert von dem Brigadegeneral a.D. Erich Vad. Er war einst oberster militärischer Berater im Kanzleramt unter Angela Merkel und machte vor rund 20 Jahren Schlagzeilen, weil ein Artikel über Carl Schmitt, „dem Kronjuristen der Nationalsozialisten“ (taz), in Götz Kubitscheks „Sezession“ erschien. Vad war seinerzeit auch Referent für die neurechte Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“.
Wagenknecht ist schon länger eine von zwei Säulenheiligen, die in rechten bis rechtsextremen Kreisen für das Amt der Bundeskanzlerin genannt wird. Zweite im Bunde des „Dreamteams“ und, wie es zuweilen ironisch heißt, „Doppel-Wumms“ für Deutschland in solchen Kreisen ist AfD-Parteichefin Alice Weidel. Wagenknecht und ihren Getreuen in der Linken, die man „Wagenknechte“ nennt, wird demgegenüber nachgesagt, Pläne für die Gründung einer eigenen Partei zu hegen. Wagenknechts Konterfei („Die beste Kanzlerin“) war in diesem Zusammenhang kürzlich auf dem Cover des rechtsextremen Magazins „Compact“ zu sehen.
Wo „Mutter und Tochter“ kämpfen
Im Heft 12/2022 befand Chefredakteur Jürgen Elsässer zudem, die Linken-Politikerin könne „zusammen mit der AfD“ eine „Querfront-Mehrheit“ erreichen. „Unter AfD-Anhängern, die ansonsten den Kommunismus hassen wie die Sünde, ist sie so beliebt wie die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla.“ In „Compact – der Tag“ am 10. Febuar zeigte sich die Nachrichtensprecherin Stephanie Eckhardt erfreut über die „beiden Kämpferinnen“, die nun wie „Mutter und Tochter“ agierten. Die „Ikonen“ würden hunderttausende oder Millionen auf die Straße bringen. Elsässer ergänzte, er sei froh, dass beide Frauen nun „richtig reinhauen“, auch wenn er kein Freund von Schwarzer sei, die viel „feministischen Unsinn“ gesagt habe.
Das „Manifest für Frieden“ und Hinweise dazu, den Aufruf zu unterstützen respektive diesen zu unterzeichnen, kursieren seit Freitag vielfältig in der Szene der „Querdenker“, Verschwörungsgläubigen und in Teilen des damit verwobenen rechtsoffenen bis rechtsextremen Spektrums. Insbesondere diejenigen, die auf Fundamentalopposition setzen und mit den einstigen Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und gegen das Impfen nicht mehr punkten, inszenieren sich nun als neue „Friedensbewegung“. Selbst die AfD hat eine Kampagne gestartet, wonach sie die einzig wahre „Friedenspartei“ in Deutschland sei.
Die neuen „Friedensmahnwachen“
Tatsächlich wollen die AfD und eine Vielzahl an sektiererischen und verschwörungsgläubigen Gruppen über das Thema Frieden neue Mitstreiter generieren. Diese Strategie ist nicht neu, denn sie knüpft an die (rechts-)esoterischen „Friedensmahnwachen“ 2014 an, ein Querfront-Projekt das seinerzeit in den „Friedenswinter“ mündete. Letztlich will das Spektrum also weiter Front gegen die Regierenden und gegen die „Eliten“ machen. Diffamierte man diese zuvor als „Corona-Diktatur“, „Impf-Faschisten“ oder „Coronazis“, setzt man sie nun erneut mit Nazis und Kriegsverbrechern gleich: Wieder würden deutsche Kampfpanzer gen Osten rollen.
All das ist ein rhetorischer Kniff und Geschichtsrevisionismus, denn die, die das verbreiten, demonstrierten in den letzten Jahren nicht selten mit AfD-Leuten und Rechtsextremen zusammen – oder sind selbst Parteimitglieder und Rechtsextremisten. Elsässer träumt seinen Traum von der Querfront munter weiter und nutzt Wagenknecht als Galionsfigur für seine Umsturzpläne. Der frühere Führungsfunktionär der fremdenfeindlichen Partei „Pro NRW“, Markus Beisicht aus Leverkusen, twitterte, auch er habe das „Manifest“ unterschrieben. Beisicht schimpft auf „das korrupte ukrainische Regime“. Der frühere AfD-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, der Ökonom und Fondsmanager Max Otte, verkündete eben via Twitter, er habe das „Manifest“ unterschrieben.
Das Schweigen der Männer
Neonazis und Rechtsextremisten rezipieren das „Manifest“ noch verhalten oder gar nicht. Zwar kursieren Hinweise und Links auch in diesen Kreisen, doch überwiegend schweigen Kader und Parteien wie „Die Rechte“, NPD, „Der Dritte Weg“ oder die „Freien Sachsen“ sich zu dem Projekt noch aus. Auch wenn in solchen Kreisen in der Vergangenheit frühere Statements von Wagenknecht wohlwollend zur Kenntnis genommen wurden, scheint deren Kooperation mit Schwarzer zunächst nicht als anschlussfähig bewertet zu werden.
Auf den Punkt bringt dieses Dilemma wohl am ehesten noch der Thüringer AfD-Chef und Rechtsextreme Björn Höcke. Er hat via Twitter darauf hingewiesen, dass in dem „Manifest“ auch zu lesen sei: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“ Höcke wittert hier eine „Politphrasologie“. Er schließt mit: „Hic Rhodus, hic salta!“ (Zeig hier, beweise, was du kannst.) Der neurechte Publizist Benedikt Kaiser attestierte via Twitter, die Initiative von Wagenknecht und Schwarzer sei eine „klassische Vorfeld-Aktion, die auf der parteipolitischen Ebene nur der AfD nutzen“ werde.
Großdemonstration in Berlin
Spannend dürfte sein, wer am 25. Februar in Berlin vorstellig wird. Die rechtsextreme „Freie Jugend“, die zuweilen ähnliche Querfront-Ambitionen hegt wie Elsässer, teilte auf ihrem Telegram-Kanal schon mit: „Auf nach Berlin!“ Gegenüber dem „Spiegel“ hat Wagenknecht aber betont, man wolle keine Unterstützung durch Chrupalla und die AfD. Veranstalter von Versammlungen können üblicherweise Teilnehmer von ihren Demonstrationen ausschließen, sollten diese stören, für Unfrieden sorgen oder auch politische widerstrebende Inhalte verbreiten und vertreten. Um derlei durchsetzen zu können, benötigt man allerdings wohl einen robust auftretenden Ordnerdienst sowie die Unterstützung der Polizei.