Organisierte Kriminalität

Prozessbeginn gegen mafiöse Neonazi-Strukturen

In Erfurt beginnt am Mittwoch der Prozess gegen neun Personen aus dem Neonazi-Netzwerk „Bruderschaft Thüringen“, die sich unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Drogenhandels und Geldwäsche verantworten müssen.

Montag, 27. Juni 2022
Kai Budler
Anhänger der "Bruderschaft Thüringen" auf einer Demonstration in Thüringen, ab Mittwoch dann vor Gericht. (Symbolfoto)
Anhänger der "Bruderschaft Thüringen" auf einer Demonstration in Thüringen, ab Mittwoch dann vor Gericht. (Symbolfoto)

Wenn in einer Halle der Messe in Erfurt der Prozess gegen sechs Männer und drei Frauen beginnt, saßen einige davon bereits im vergangenen Jahr auf der Anklagebank des Landgerichts Erfurt. Ging es bei der Neuauflage des „Ballstädt Prozesses“ um den brutalen Überfall auf eine Kirmes-Gesellschaft, müssen sich die neun Beschuldigten aus Thüringen, Hessen und Nordrhein-Westfalen jetzt unter anderem wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verantworten.

Einzelne Beschuldigte sind wegen schwerer Zwangsprostitution, Geldwäsche und Verstößen gegen das Waffengesetz angeklagt. Sieben Beschuldigte müssen sich vor Gericht wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten.

Alte Bekannte

Schon ein Blick auf einige Beschuldigte zeigt die enge Verzahnung zwischen Neonazi-Strukturen, Rotlicht, Waffen und Drogenhandel. Thomas W. und Rocco B. mussten sich bereits im Ballstädt-Prozess vor Gericht verantworten, auch W.s Cousine Nicole G. ist seit mehr als zehn Jahren in der extrem rechten Szene aktiv, ihre Handynummer diente in der Vergangenheit immer wieder als Kontaktnummer für konspirative Rechtsrock-Konzerte.

Matthias M. war der Anmelder des konspirativ organisierten Konzerts im Schweizer Städtchen Unterwasser 2016 mit rund 5.000 Besuchern. Bei einer Durchsuchung in seiner Wohnung stießen die Ermittler 2019 auf scharfe Waffen und rund 2000 Schuss Munition. Peter M. trat als Rapper bei dem Konzert in der Schweiz auf, war führendes Mitglied der im August 2012 verbotenen Kameradschaft Aachener Land (KAL) und wurde wegen Handels mit Drogen im März 2019 zu einer Haftstrafe verurteilt. Die ehemalige Prostituierte Sina T. war für die Führung eines neuen Bordells in Gotha vorgesehen. Auch Dirk W. wird auf der Anklagebank Platz nehmen müssen, während er noch im Ballstädt-Prozess zu den Anwälten der angeklagten Neonazis gehörte.

„Bruderschaft Thüringen"

Sie alle gehören zum neonazistischen Netzwerk „Bruderschaft Thüringen" oder ihrem direkten Umfeld. Noch während des „Ballstädt-Prozesses“ hatten Ermittler in einer groß angelegten Aktion 27 Immobilien durchsucht, Schwerpunkt war der Landkreis Gotha. Die Aktion ging auf Drängen der Staatsanwaltschaft in Gera zurück, die in Thüringen für Organisierte Kriminalität zuständig ist.

Das Gebäude im thüringischen Gotha, das beide Male von den Hausdurchsuchungen betroffen war, Foto: Kai Budler
Das Gebäude im thüringischen Gotha, das beide Male von den Hausdurchsuchungen betroffen war, Foto: Kai Budler

Dabei ging es um Waffengeschäfte, Drogenhandel, Aktivitäten im Rotlichtmilieu und Geldwäsche. Sicher gestellt wurden mehrere Schusswaffen, ein Kilo Drogen, 120.000 Euro Bargeld und eine Limousine. Die Strafverfolgungsbehörde geht davon aus, dass die mutmaßlichen Täter und Täterinnen die neonazistischen Strukturen der „Bruderschaft“ und ihrer Bestandteile „Turonen“ und „Garde 20“ genutzt haben, um dort im Bereich der organisierten Kriminalität aktiv zu werden.

Kontakte ins Ausland

Eine zweite Durchsuchungswelle folgte Mitte Juni dieses Jahres. Dabei durchsuchten mehr als 500 Beamte 26 Wohn- und Geschäftsräume in Thüringen, Schleswig-Holstein und Berlin. Sieben Personen wurden festgenommen, eine davon in Griechenland im Urlaub. Die Ermittler stellten Betäubungsmittel, drei scharfe Handfeuerwaffen und mehrere Deko- oder Schreckschusswaffen sowie Vermögenswerte in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro sicher.

Seit 2015 treibt die neonazistische „Bruderschaft“ ihr braunes Unwesen, laut Innenminister Georg Maier eine „sehr radikale und gewalttätige Ausprägung des Rechtsextremismus“. Allein zwischen 2019 und 2020 gab es laut Innenministerium in 32 Fällen Ermittlungsverfahren gegen Personen, die der „Bruderschaft“ beziehungsweise den „Turonen" oder der „Garde 20" zugerechnet werden. Das Netzwerk ist eng mit der Rechtsrock-Szene verwoben und spielt in der Organisation von Konzerten eine große Rolle. Es unterhält bundesweit Kontakte in die Neonazi-Szene und pflegt enge Verbindungen nach Österreich und in die Schweiz sowie zu den Netzwerken „Blood & Honour" und „Combat 18".

Für den Prozess sind bislang Verhandlungstage bis in den Dezember hinein anberaumt.

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