Prozess-Odyssee beendet
Das Oberste Landesgericht in Bayern bestätigt die Verurteilung des Allgäuer Plattenproduzenten Benjamin Einsiedler alias Oldschool Records – und kassiert damit letztinstanzlich eine Art Freibrief, mit dem sich Neonazis bislang vor Verfolgung sicher wähnten.
Für den Vertrieb von neonazistischem Propagandamaterial muss der Neonazi Benjamin Einsiedler 4.000 Euro Geldstrafe bezahlen und zusätzlich rund 1.000 Euro von seinem Gewinn abziehen. Dieses Urteil bestätigte das Bayerische Oberste Landesgericht im Dezember letztinstanzlich. Wie jüngst bekannt wurde, ist das Urteil wegen eines Falls der Volksverhetzung sowie je zwei Fällen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und der Verbreitung jugendgefährdender Schriften somit rechtskräftig.
Damit ist nicht mehr viel übrig von den über 900 Straftaten, die die Polizei bei einer Razzia gegen Oldschool Records 2014 ermittelte. Die Aktion bildete den Auftakt zu der beinahe siebenjährigen Prozess-Odyssee, während der Rechtsrock-Anwalt des Neonazi-Unternehmers die Anklagepunkte regelrecht dahinschmelzen ließ.
2015 Anklage erhoben
Wegen des Vertriebs hunderter Neonazi-Platten aus dem Sortiment von Oldschool Records erhob die Staatsanwaltschaft nach monatelangen aufwendigen Ermittlungen der Polizei im Dezember 2015 Anklage. Die rund 900 Einzeltaten fasste die Behörde zu 88 Anklagekomplexen wegen Propagandadelikten sowie des vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe zusammen. Neben Volksverhetzung musste sich der Rechtsrock-Unternehmer damit etwa wegen des Verbreitens von Propagandamitteln der Nationalsozialisten, Gewaltdarstellung, Belohnung und Billigung von Straftaten vor dem Amtsgericht Memmingen verantworten.
Doch mit 69 der angeklagten Taten hatte sich das Amtsgericht nicht im Detail beschäftigt und das Verfahren diesbezüglich schon in der ersten Prozessphase auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt. In einigen Fällen sei schon die Polizei daran gescheitert, die Hassgesänge akustisch verstehen zu können, hieß es vor dem Amtsgericht. In vielen Fällen hatte aber die Anklagebehörde der fundierten Vorbereitung des Szene-Verteidigers Alexander Heinig wenig entgegen zu setzen.
Staatsanwaltschaft zieht Berufung zurück
Als ehemaliger Rechtsrocker, dessen Platten bis heute von seinem Mandanten vertrieben werden, ist Anwalt Heinig in seinem Element. Er legte günstige Urteile aus Verfahren gegen andere Neonazis vor und präsentierte Dokumente, die er als Rechtsgutachten bezeichnete. Diese sollen erklären, weshalb die seinem Mandanten vorgeworfenen Taten nicht strafbar seien. Zu den eingestellten Taten erfolgte keine Bewertung einer möglichen Strafbarkeit durch das Gericht. In zwölf Fällen erfolgte ein Freispruch, eine Verurteilung in nur sieben Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von rund 5.000 Euro.
Gegen dieses Urteil legte sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Die Staatsanwaltschaft ging zum Nachteil des Angeklagten in Berufung, weil die Freisprüche nicht der Rechtslage entsprächen und die Strafhöhe nicht nach ihrer Vorstellung war. Doch noch am ersten Hauptverhandlungstag vor dem Landgericht Memmingen zog die Behörde ihr Rechtsmittel einfach zurück, als das Gericht bat, dessen Begründung vorzutragen.
Gutachten von Szene-Anwältin eingehend prüfen
Damit wurden zu den Einstellungen auch die zwölf Freisprüche unanfechtbar rechtskräftig. Im weiteren Verlauf folgte der Richter der Argumentation von Rechtsrock-Anwalt Heinig, nach der die Handlungen seines Mandanten auf Grund von Rechtsgutachten der Hamburger Szene-Anwältin Gisa Pahl entweder gar nicht strafbar seien, oder den Angeklagten keine Schuld träfe, da er auf diese Gutachten habe vertrauen dürfen – und sprach Benjamin Einsiedler im Mai 2018 vollumfänglich frei.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin hob das Oberlandesgericht München den Freispruch rund ein Jahr später wieder auf. Die Münchner Richter ordneten an, dass ein anderer Richter am Landgericht Memmingen erneut verhandeln müsse – und diesmal die Gutachten der Hamburger Rechtsanwältin Pahl eingehend zu prüfen habe. Schließlich handele es sich bei ihr um die Initiatorin des sogenannten „Deutschen Rechtsbüros“ (DRB), das laut Verfassungsschutz enge Verbindungen zur NPD unterhalte und im Sinne der Neonaziszene agitiere.
Mehrdeutige Formulierungen
So setzte sich das Landgericht Memmingen bis Anfang 2020 erstmals ausführlich mit den Rechtsgutachten auseinander. Darin beschäftigt sich Anwältin Pahl etwa mit dem Lied „Geschwür am After“ der Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“. Demnach werde in dem Stück zwar von Lügen bei der Geschichtsschreibung, Schienen und Eingangstoren gesprochen. „Es bleibt aber offen, welche Lügen, Schienen und Tore. Mangels irgendwelcher Hinweise ergibt sich nicht, dass mit diesen Äußerungen die KZs gemeint sein müssen.“ Daher seien die Äußerungen mehrdeutig und eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung liege nicht vor.
Auch in den Zeilen „Ich war immer schon ein Fan von seinen Thesen (…) Wir bleiben Joseph Goebbels treu“ eines anderen Liedes wollte Pahl keine nationalsozialistische Propaganda erkennen können. Die CD enthält zudem das berühmt-berüchtigte Lied „Döner-Killer“ – ein Bezug auf die Morde der Terrorgruppe NSU. „Denn neun sind nicht genug“, heißt es am Ende des Stücks, das vor der Selbstenttarnung des NSU veröffentlicht wurde. Das von Gisa Pahl als Koordinierungsstelle für neonazistischen Rechtsbeistand geschaffene Deutsche Rechtsbüro soll einen Spendenbrief vom NSU erhalten haben.
Obergericht spricht Szeneanwältin juristische Kompetenz ab
Das Landgericht verwarf schließlich die Argumentation der szeneweit bekannten Anwältin als „nicht nachvollziehbar“ und ihre „sogenannten Rechtsgutachten“ als „auf den ersten Blick mehr als mangelhaft“. Aus dem Freispruch machte die Strafkammer nunmehr eine Geldstrafe von rund 4.000 Euro und urteilte, dass Einsiedler zudem rund 1.000 Euro seines Gewinns abgeben müsse. Ein Zehntel der Strafe betrachte man aber durch die lange Verfahrensdauer als bereits abgegolten. Das dürfte Einsiedler angesichts eines Umsatzes von mehreren Hunderttausend Euro, die der Neonaziunternehmer und Kameradschaftsführer in der Zeit des Verfahrens nach eigenen Angaben mit dem weiteren Vertrieb von Neonazipropaganda machte, wenig beeindrucken.
Dennoch ging Rechtsanwalt Heinig für ihn erneut in Revision. Ein riskanter Zug, der sich nun als strategischer Fehler für die gesamte Szene erweist: Das Oberste Bayerische Landesgericht bestätigt nicht nur letztgültig die Bestrafung seines Mandanten, sondern entzieht der Szene höchstinstanzlich die Wirksamkeit der sogenannten Rechtsgutachten von Gisa Pahl.
In der Vergangenheit konnten diese teils erfolgreich als Freibrief für Neonaziproganda eingesetzt werden. Mit deren Hilfe sollte auch etwa eine bekannte Holocaustleugnerin straffrei ausgehen. Doch das dürfte mit dem Beschluss des Obergerichtes nun Geschichte sein, denn die Richter sprachen der Szeneanwältin gleich gänzlich die juristische Kompetenz ab.