Prozess gegen Identitäre in Österreich: Im Zweifel legal

In der vierten Verhandlungswoche kam es gestern im Grazer Landesgericht zum Urteil gegen 17 Mitglieder der „Identitären Bewegung Österreich“: Freispruch in den wichtigsten Punkte der Anklage für alle Beteiligten.

Freitag, 27. Juli 2018
Anna Grube
Prozess gegen Identitäre in Österreich: Im Zweifel legal
Der von vielen erwartete „Mammutprozess” entpuppte sich letztlich weder als großes „Mammut”, noch als wahrlich große Überraschung in seinen Urteilen. Die Anklage umfasste lediglich vier Aktionen zwischen April 2016 und März 2017 der seit 2012 in Österreich agierenden Identitären Bewegung (IBÖ) und war damit von Anfang an sehr eng gefasst. Zwar wurden weitere mutmaßliche Sachbeschädigungen, Störaktionen und Angriffe auf Gegendemonstrant_innen wie im Juni 2015 in Wien thematisiert, um den Vorwurf der Verhetzung und die Gewaltbereitschaft der Gruppierung zu untermauern, doch gingen diese oftmals unter. Die Beweisaufnahme war überraschenderweise recht schnell abgeschlossen, Entlastungszeug_innen, Rechtsextremismusexpert_innen und der zuvor bekannt gewordene Bundesheer-Spitzel fehlten im Verfahren. So war es wenig überraschend, dass in den zehn Verhandlungstagen wenig Neues zum Vorschein kam, selbst sich mittlerweile in Distanz zur Organisation bewegende Akteure wie Alexander Markovics belasteten niemanden, schließlich wurden alle 17 Beschuldigten vom selben Verteidiger vertreten, was für ihn keinen Interessenkonflikt darstellte.

Freibrief für Rechtsextreme?

Für die zwei schwerwiegendsten Vorwürfe, Bildung einer kriminellen Vereinigung und Verhetzung erfolgten Freisprüche. Wenn auch „im Zweifel für die Angeklagten“, so war der Richter davon überzeugt, dass das „Kerngeschäft“ der Gruppierung nicht verhetzerisch und somit strafrechtlich nicht zu verurteilen war. Zwei der Angeklagten wurden wegen Sachbeschädigung bzw. wegen Körperverletzung und Nötigung zu Geldstrafen verurteilt, die Urteile sind bisher nicht rechtskräftig. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes spricht in einer lesenswerten Stellungnahme zum Prozess, die das juristische Spannungsfeld, in dem sich der Prozess bewegte, sehr gut aufarbeitet, von einer Immunisierung der strafrechtlichen Verfolgung, die die Identitären erreicht hätten. So heißt es in dem Statement:
„Die von der IBÖ vorgenommene rhetorische Modernisierung des altrechten Projekts einer ethnischen Homogenisierung hat den Rechtsextremismus ein Stück weit gegen juristische Verfolgung immunisiert, wie das vorliegende Urteil dokumentiert."
Und dergestalt ist es letztlich die Begründung des Richters, die noch mehr als das eigentliche Geschehen des Prozesses zu denken gibt: Sie war gespeist mit einer Vielzahl von verharmlosenden Vergleichen mit dem politischem Klima in Österreich und der aktuellen FPÖ-Regierungsbeteiligung. Auffällig war bereits während des Prozesses, dass die Identitären die aktuelle Situation in Österreich zu ihrem Schutz heranzogen. Unbeachtet blieb hierbei vielfach, dass diverse Forderungen der Anklagten weit über das Regierungsprogramm der aktuellen Regierung hinausragen. So sind sich die ÖVP, FPÖ und Identitäre zwar einig in der Schließung von Grenzen, jedoch geht die von der IBÖ ausformulierte Vorstellung eines apokalyptischen Abwehrkampfes und ihres Status als „letzte Reihe” in diesem Kampf weiter und zeugt dergestalt von der militanten Grundhaltung der Gruppe selbst. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Ideologie blieb das Gericht in Graz allerdings schuldig. Bis auf einen Beamten vom Bundesamt für Verfassungsschutz waren keine Expert_innen geladen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten mit Rechtsextremismus in Österreich und den Identitären als neuere Organisation beschäftigen. Letztlich bleibt eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Tendenzen abseits vom Gerichtssaal, in dem der rassistische Grundkonsens mittlerweile ebenfalls immer wieder als scheinbar unhinterfragbare Realität herrscht, dringend nötig. Jedoch steht gerade diese Auseinandersetzung in Österreich auf mehr als wackligen Beinen. Eine breite Zivilgesellschaft sowie Projekte, die sich dezidiert mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus und für Demokratieförderung auseinandersetzen, sind in Österreich mehr als mangelhaft ausgebaut und werden wohl auch unter der Agenda der aktuellen Bundesregierung und diverser Landesregierungen unter Beteiligung von ÖVP und FPÖ nicht weiter ausgebaut.

Nichts gelernt – Plädoyer für kritische Berichterstattung

Nach dem Urteilsspruch war alles wie immer – ein Großteil der Medien umzingelte die Beschuldigten und ihren Verteidiger, um O-Töne zu erhalten, anstatt sich kritisch mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen und Betroffene und Expert_innen zum Thema zu befragen. Geprägt war die Berichterstattung ebenfalls vor allem von den unkommentierten Aussagen der Angeklagten, dies trug ein weiteres Mal zur Reproduktion ihrer Ideologie bei. Die anwesenden Sympathisant_innen wurden kaum bis gar nicht erwähnt und somit die internationale und rechtsextreme Vernetzung und Rolle der IBÖ verkannt. Auch die anwesenden kritischen Prozessbeobachter*innen wurden zwar während der Verhandlungstage von einigen Medien als gute Informationsquellen benutzt – eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Einschätzungen eben dieser blieb aber größtenteils aus. Die großen Enthüllungen und Sensationen hat der Prozess nicht hervorgebracht und es waren wohl diese, auf die viele Journalist*innen hoffnungsvoll gewartet hatten. So bleibt, dass die Identitären den Freispruch bislang lediglich auf ihren eigenen Kanälen als großen Erfolg zu vermarkten wissen. Überregionale Medien und große Fernsehanstalten reduzierten den Ausgang des Prozesses vielfach auf einige kurze Worte. Ob sich überhaupt noch für die kommenden Prozesse wegen der finanzstrafrechtlichen Anklagen ein breites mediales Interesse finden wird, bleibt im Angesicht dessen durchaus zu bezweifeln. Auf der Seite des Prozess Reports finden sich weitere Informationen. Update, Freitag, 13:40 Uhr

Die Staatsanwaltschaft hat verkündet, gegen das Urteil Berufung einzulegen – sowohl gegen die Freisprüche, als auch die Höhe der Strafen.
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