Demonstration

Provokation vor Holocaust-Mahnmal: Freispruch für Sven Liebich

Mit gelbem „Judenstern“ und dem Anne-Frank-Tagebuch provozierte Sven Liebich am Rande einer Demonstration in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen. Direkt vor dem Holocaust-Mahnmal.  Dafür musste sich der Neonazi heute wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten, das sprach ihn allerdings von dem Vorwurf frei – und verurteilte ihn anderer Sache zu einer Geldstrafe.

Montag, 21. November 2022
Oliver Kreuzfeld
Für Sven Liebich endet der Prozess am Amtsgericht Tiergarten mit einem Teilfreispruch.
Für Sven Liebich endet der Prozess am Amtsgericht Tiergarten mit einem Teilfreispruch.

„Extrem geschmacklos“ nannte der Richter die inszenierte Aktion des Neonazis Sven Liebich vom 21. April 2021, die Grenze zur Volksverhetzung sei allerdings noch nicht erreicht. Somit sprach der Richter am Amtsgericht Berlin den 52-Jährigen in der Sache frei, verurteilte Liebich allerdings zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen à 15 Euro, also 1.050 Euro.

Liebich soll an jenem Tag unweit des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas versucht haben, eine Polizeikette zu durchbrechen und wurde dafür nun wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt.

Liebichs angeblicher Respekt vor der Polizei

Dem war eine Erörterung vorausgegangen, wie sich die Szene zugetragen haben soll. Der umtriebige Neonazi gab zu Protokoll, er würde sich mit seinen 60 Kilogramm „gar nicht trauen“, die Kette der Polizei zu durchbrechen. „Dafür respektiere ich die Polizei viel zu sehr“, schiebt Liebich nach, der derzeit Angestellter sei und von rund 440 Euro netto mietfrei bei seinem Bruder wohnen würde.

Zwei Polizeibeamte waren zudem als Zeugen geladen – darunter der Chef der Staatsschutzabteilung  der Polizei Halle, seit der Trennung von seiner Freundin würde Liebich laut Eigenaussage allerdings nicht mehr in der sachsen-anhaltischen Stadt wohnen.

Staatsschutzbeamter als Zeuge

Der Polizist war an jenem Tag auch in Berlin im Einsatz und kennt Liebich von etlichen Aktionen in der Vergangenheit bestens. „Unglaublich grenzwertig“, nannte der Mann die Provokation vor dem Holocaust-Mahnmal, um auf Nachfrage des Richters nachzuschieben: „Alles, was Herr Liebich macht, ist in meinen Augen grenzwertig.“

Der Staatsanwalt sah in der Szene, die seinerzeit Liebichs Freundin aufgenommen hatte und die später im Telegram-Kanal des Angeklagten veröffentlicht wurde, den Tatbestand der Volksverhetzung bestätigt. Die Aktion hätte sich bewusst auf die Ermordung der Juden in der NS-Zeit bezogen. Er forderte dafür eine sechsmonatige Freiheitsstrafe sowie eine Geldstrafe in Höhe von 900 Euro für den Durchbruchsversuch. Da Liebich allerdings noch nicht hafterfahren sei, könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden und sollte als Warnung verstanden werden. Der 52-Jährige kommt derzeit auf fünf Eintragungen im Bundeszentralregister, unter anderem wegen Körperverletzung, Beleidigung und Volksverhetzung.

Lücke im Strafrecht?

Liebichs Verteidigung hingegen forderte in beiden Anklagepunkten Freispruch. Er habe das Leid an den Juden nicht verharmlosen wollen, es müsste eher als ein „Wehret den Anfängen“ verstanden werden und beziehe sich lediglich auf die damalige Ausgrenzung jüdischer Menschen, vergleichbar mit dem „Kauft nicht bei Juden“-Ausruf.

Es sei zwar ein „extremes Verharmlosen“ gewesen, so der Richter in der anschließenden Urteilsbegründung. Es würden Welten zwischen den Corona-Maßnahmen und der NS-Zeit liegen. Es sei allerdings zu wenig, um Liebichs Auftritt vor dem Mahnmal als Störung des öffentlichen Friedens zu bewerten, so wie es der Volksverhetzungs-Paragraf vorsieht. Dort sehe er eine Lücke im Strafrecht und erwähnt auch, dass andere Gerichte womöglich anders geurteilt hätten.

Revision in anderem Fall

In der Tat gibt es eine unterschiedliche Rechtsprechung zu den gelben Sternen, die teils mit „ungeimpft“-Aufschrift daherkommen. Das Fachportal LTO hat hierzu einen Hintergrund-Artikel veröffentlicht und verweist auf einen Strafrechtsprofessor, der hier eine Gesetzesänderung vorschlägt.

Das Urteil gegen Liebich ist noch nicht rechtskräftig. Auch eine zehnmonatige Bewährungsstrafe vor dem Landgericht Halle, wo sich der Aktivist erst Ende Oktober verantworten musste, ist noch nicht abgeschlossen, der Neonazi legte Revision ein.

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