Politische Klimawende
Der Jobbik-Vize Sneider, früher wegen Gewalttätigkeiten aufgefallen, soll stellvertretender Parlamentsvorsitzender in Budapest werden – eine Nachfolgeorganisation der 2009 verbotenen „Ungarischen Garde“ muss sich entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft indes nicht auflösen.
Über eine wichtige Personalentscheidung der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik hat es große Empörung gegeben. Für den der Partei zustehenden Posten eines stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden wurde aus den eigenen Reihen mit Tamás Sneider einer der stellvertretenden Parteivorsitzenden auserkoren. Sneider galt Anfang der 90er Jahre im nordöstlichen Eger als ein brutaler neonazistischer Schläger. Unter dem Spitznamen „Roy“ war er Chef einer Skinheadbande mit dem Titel „Vereinigung der Nationalen Jugend“. 1992 wurde er wegen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Nach eigenen Angaben will er damals „nur einem Zigeuner-Mafioso die Fresse poliert“ haben.
Der gelernte Weinbauer machte während des Golfkriegs keinen Hehl aus seiner antisemitischen und antiamerikanischen Haltung, verfasste gar ein heldenhaftes pro-irakisches Gedicht. Im Herbst 2006 gehörte er zu den Horden eines antikommunistisch nationalistisch-rechten Pöbelmobs, der in Budapest gewaltsam das Gebäude der staatlichen TV-Anstalt stürmte und für 80 Minuten den Sendebetrieb stoppte. Der 41-Jährige ist seit 2010 Parlamentsabgeordneter und bisher Vorsitzender des Ausschusses für Jugend, Soziales und Familie. Bei der konstituierenden Parlamentssitzung der 199 Abgeordneten Anfang Mai erhielt er 150 Stimmen.
Bürgerwehr sorgte in Roma-Siedlungen für Einschüchterung
Allgemeiner Unmut regt sich auch über den Personalvorschlag, dass die 27-jährige Dóra Dúró künftig den Vorsitz des Ausschusses für Bildung und Kultur übernehmen soll. Sie ist mit Elöd Novák verheiratet, der kürzlich auf die Frage, warum beide sich nicht am Holocaust-Gedenken beteiligen würden, antwortete, dass sie sich nur für Trauerarbeit aktueller Völkermorde interessieren würden. Dúró, Mutter zweier Kinder, ist gerade wieder schwanger. Angesprochen auf ihr Lebensmotto nennt sie den Leitspruch „Sei fruchtbar und mehre Dich“. Aus ihrem Munde soll der Satz stammen, dass eine patriotische ungarische Familie mindestens vier Kinder habe. Auf ihrem Laptop ist ein Foto eines Säuglings zu sehen und dazu die Bemerkung „Die Nation lebt in der Gebärmutter“.
Unterdessen hat eine Richterin in der südöstlichen Stadt Gyula entschieden, dass sich die aus Jobbik-Aktivisten bestehende paramilitärische und uniformiert agierende Bürgerwehr, die sich selbst „Magyarische Selbstverteidigung für eine schönere Zukunft“ nennt, entgegen eines Antrags der Staatsanwaltschaft nicht auflösen müsse. Die Anklagebehörde sah in der Gruppierung eine Nachfolgeorganisation der 2009 verbotenen Ungarischen Garde, die 2007 vom Jobbik-Vorsitzenden Gábor Vona gegründet wurde. Die Bürgerwehr tauchte in den vergangenen Jahren immer wieder in Roma-Siedlungen auf und sorgte dort mit martialischem Habitus für Einschüchterung. Die Urteilsbegründung gleicht dabei laut dem deutschsprachigen Nachrichtenblog „Pusztaranger“ einem rassistischen Postulat. So heißt es darin unter anderem: „Das Spazierengehen im öffentlichen Raum ist nur in außergewöhnlichen Fällen zu beschränken, und das Aufmarschieren in Zigeunersiedlungen gehört nicht dazu.“ Detailliert heißt es weiter: „Die Kategorie Zigeuner ist (…) nicht in erster Linie rassisch, sondern als Lebensform einer Gruppe anzusehen, die unabhängig von ihrer rassischen Zugehörigkeit abgesondert lebt, die traditionellen Werte der Mehrheitsgesellschaft und auch die vom (…) Gesetz geschützten Werte missachtet und einer moralischen Auffassung folgt, die für eine arbeitsscheue Haltung und Missachtung des Privateigentums und der Normen des Zusammenlebens steht.“