Phantom „Neue Rechte“? Wie Dieter Stein unabsichtsvoll eine Doppelmimikry salonfähig macht

Im Jahr 2005 veröffentlichte der Chefredakteur der rechtskonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) ein ganzes Buch, um sich mit der „Geschichte eines politischen Begriffs“ auseinanderzusetzen: Neue Rechte. Dies geschah nicht zufällig, lieferte sich die JF doch damals einen handfesten Rechtsstreit mit dem Verfassungsschutz von NRW.

Mittwoch, 14. Januar 2009
Mathias Brodkorb
Phantom „Neue Rechte“? Wie Dieter Stein unabsichtsvoll eine Doppelmimikry salonfähig macht
Dieser hatte die JF wiederholt unter dem Begriff „Neue Rechte“ eingeordnet und diese in toto zum „intellektuellen Rechtsextremismus“ gezählt. Die JF ging dagegen juristisch vor und siegte schließlich 2005 vor dem Bundesverfassungsgericht. Stein und seine Redakteure beließen es jedoch nicht nur bei rechtlichen Einlassungen, sondern wehrten sich gegen die Stigmatisierung als „verfassungsfeindlich“ auch publizistisch – so auch in dem Buch „Phantom ‚Neue Rechte’“ von Dieter Stein.

Das 185 Seiten umfassende Taschenbuch besteht aus drei Teilen: einem einführenden Text, der die gegenüber der JF erhobenen Vorwürfe formuliert und dabei sämtliche gängige Standardliteratur streift; einer historischen und sachlichen Analyse der jüngeren Geschichte der Deutschen Rechten, die auf profunder Eigenkenntnis basiert und einen guten Überblick über Strömungen, Personen und Publikationen der „Neuen Rechten“ gibt sowie einem Gespräch, das offenbar der Autor selbst mit dem wohl wichtigsten Publizisten der französischen Rechten, Alain de Benoist, zum Begriff „Neue Rechte“ führte.

Steins Botschaften, die er auf vielen Seiten und mit viel Akribie entwickelt, sind dabei:

1. Lediglich für eine kurze Zeit hat sich in den letzten Jahrzehnten überhaupt ein Teil von Deutschlands „Rechten“ um Henning Eichberg und das Theoriemagazin „Junges Forum“ als „Neue Rechte“ bezeichnet – und zwar bevor dieser Begriff in Frankreich auftaucht (119). Die deutsche Rechte sei viel zu vielgestaltig, als dass sie sinnvoll unter einem einzigen Begriff zusammengefasst werden könnte.
2. Auch die französische „Neue Rechte“ habe die Bezeichnung „Nouvelle Droite“ nicht selbst ersonnen, sondern sie schließlich als Fremdbezeichnung Schritt für Schritt übernommen (159ff).
3. Seit den 1980er Jahren ist der Begriff „Neue Rechte“ jedoch zunehmend zu einem politischen Kampfbegriff des Gegners geworden, um den „Extremismus-Begriff tief in die bürgerliche Mitte auszuweiten“ (154).
4. Der Begriff „Neue Rechte“ sei folglich als Selbstbezeichnung einer klar definierten Gruppe von (demokratischen) Rechten ungeeignet.

Stein formulierte damit schon 2005, was er auch heute in Entgegensetzung zu Kubitschek vorbringt. Indes erweisen sich diese Ausführungen durchaus als widersprüchlich: Stein lässt so z.B. keinen Zweifel daran, dass die Definitionsmacht in Deutschland aus seiner Sicht „links“ (47) liegt. Gleichzeitig betonen er und die Autoren der JF jedoch immer wieder, dass in einer demokratischen Gesellschaft das Existenzrecht einer demokratischen Rechten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei – nicht ohne gleichzeitig mit Alain de Benoist darauf hinzuweisen, dass die Begriffe links und rechts seit der Wende „weitgehend sinnlos geworden“ (12) seien. Was also, so mag man fragen, soll am Ende die eigene Position sein, sofern sie als direkte Entgegensetzung zum linken Milieu erfolgt? Etwa nicht „rechts“? Dass Stein am Begriff der „Neuen Rechten“ keinesfalls das Wörtchen „neu“ stört, konnte man jüngst wieder lesen. Das Gegenteil von „konservativ“ ist allerdings nicht „links“, sondern „liberal“. Hält Stein an seiner Kritik der angeblichen Übermacht der politischen Linken fest und verortet sich zugleich weiterhin auf der gegnerischen Seite, kauft er sich das Attribut „rechts“ ganz automatisch ein. Es dennoch vermeiden zu wollen und absichtsvoll auf den Begriff „konservativ“ auszuweichen, kommt dann in der Tat einer ungewollten Mimikry gleich, die - siehe Schnellroda - nicht einmal im eigenen Lager aufgeht. „Konservativ“ und „rechts“ sind eben nicht identisch, so wie der politische Konservatismus auch nicht notwendig eine Ehe mit dem Nationalismus eingehen muss.

In diese „Mimikry“-Falle, also die Unterstellung, die Vertreter der „Neuen Rechten“ würden nicht sagen, was sie in Wahrheit denken und sich vielmehr aus taktischen Gründen verstellen, gegen die Stein sich explizit wehrt (62), tappt er dennoch gleich ein zweites Mal bei dem für neu-rechte Kreise so bedeutenden Begriff der „Metapolitik“. Es war kein geringer als Alain de Benoist, der infolge der Lektüre der Schriften des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci dafür plädierte, die Rechte müsse wie die Linke vor der eigentlichen Machtübernahme die Voraussetzungen zur Ausübung der „kulturellen Hegemonie“ (Metapolitik) schaffen. Stein hingegen widerspricht ausdrücklich der These, dass die „Neue Rechte“ über eine solche Strategie verfüge: „Die traurige Wahrheit (…) ist: in ganz Deutschland gibt es auf der 'Rechten' meines Erachtens nicht einmal eine Handvoll Köpfe, die Gramsci wirklich gelesen haben.“ (143) Zur Beruhigung: Das ist auf der Linken gar nicht anders, geht jedoch etwas am Kernproblem vorbei. Zur Debatte steht ja nicht, ob die Rechte Gramsci liest, sondern ob sie auch infolge entsprechender Rezeptionsprozesse seit den 1980er Jahren stärker auf strategisch-kulturelle Aspekte zum Zwecke der gesellschaftlichen Machterringung achtet. Das und nicht Gramsci-Lesezirkel entsprechen der Umsetzung einer Strategie der Metapolitik. Am Ende sieht wohl auch Stein das so, merkt er doch an: „Ja, in Herrgotts Namen, macht das nicht jeder Intellektuelle?“ (64) Ja, natürlich. Nur dann macht es eben auch keinen Sinn mehr, die Metapolitik als Strategie auf Seiten der Rechten zu bestreiten. Alles andere nährt vielmehr den Verdacht, auch hier gehe es nur wieder um „Mimikry“, um die Verdunkelung der wahren Absichten.

Alles in allem ist Steins Buch, das derzeit für nur schlappe 5 Euro gehandelt wird, nützlich für all’ jene, die einen gut lesbaren Überblick über die deutsche Neue Rechte der letzten 40 Jahre sowie deren Niederschlag in der wissenschaftlichen Standardliteratur nachvollziehen wollen. Dass dies nicht aus wissenschaftlich-neutraler, sondern Partei nehmender Sicht von „rechts“ geschieht, ist dabei eine Selbstverständlichkeit. Nicht zuletzt dies erklärt bisweilen auftretende sachliche Inkonsistenzen, wenn der politische Mensch Stein dem nüchternen Publizisten in die richtige Spur zu helfen versucht – und dabei ab und zu ins Stolpern gerät.

stein-phantom-neuerechteDieter Stein
Phantom "Neue Rechte"-
Die Geschichte eines politischen Begriffs und sein Mißbrauch durch den Verfassungsschutz 185 Seiten, Paperback Berlin: Edition JF 2005 ISBN: 978-3929886221
5,00 EUR




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