Dresden

Pegida: Letztes Aufbäumen gegen den Niedergang in der „Hauptstadt der Bewegung“

Am Sonntag begeht die rechtsextreme Pegida-Bewegung in Dresden ihren zehnten Geburtstag – gleichzeitig ist es die letzte Demonstration in dieser Form. Es werden mehrere Redner aus dem Spektrum erwartet – auf der Bühne oder mit zugeschalteten Grußworten.

Freitag, 18. Oktober 2024
Michael Klarmann
Nach zehn Jahren will Pegida die Demonstrationen einstellen - und angeblich mit neuen Formaten weitermachen.
Nach zehn Jahren will Pegida die Demonstrationen einstellen - und angeblich mit neuen Formaten weitermachen.

Bachmann hatte am vergangenen Wochenende in einem Video die letzte Pegida-Demonstration auf der Straße für den kommenden Sonntag angekündigt. Aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen müsse die Reißleine gezogen werden. Man brauche neue Ideen, neue Macher und neue Gesichter, sagte Bachmann mitunter etwas emotional. Man habe aber neue Formate entwickelt, die zeitnah an den Start gehen würden.

In den letzten Jahren war der Zuspruch immer mehr zurückgegangen, Pegida spielte keine große Rolle mehr. Die Kundgebung am Sonntag findet nun nicht nur zum zehnjährigen Jubiläum statt – es wird laut Bachmann auch die 250. Demonstration sein. Als Redner sind unter anderem die AfD-Funktionäre Oliver Kirchner und Hans-Christoph Berndt sowie Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache angekündigt.

Am Anfang war die Lüge

Streng genommen begann alles mit einer Lüge: Lutz Bachmann sah im Oktober 2014 eine Solidaritätsdemonstration für die PKK, die zeitgleich in den kurdischen und jesidischen Gebieten des Nahen Ostens gegen den sich damals aggressiv ausbreitenden Islamischen Staat (IS) kämpfte. Aus einem zunächst lockeren Austausch in einer Facebook-Gruppe entstand die Gruppe „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – Pegida. Diejenigen, die Radikalislamisten militärisch bekämpften, trugen also ungewollt dazu bei, dass sich Bachmann und seine Mitstreiter durch jene Solidaritätsdemonstration „islamisiert“ fühlten.

Seit 2016 wohnt der langjährige Kopf der Bewegung, Lutz Bachmann, auf Teneriffa und kommt nur noch für die Demonstrationen und Gerichtsprozesse nach Dresden
Seit 2016 wohnt der langjährige Kopf der Bewegung, Lutz Bachmann, auf Teneriffa und kommt nur noch für die Demonstrationen und Gerichtsprozesse nach Dresden

Am 20. Oktober 2014 fand in Dresden die erste Demonstration der neuen Gruppe statt. Anfangs noch klein und ein lokales Phänomen, generierte sie bald bundesweite Medienpräsenz mit tausenden Teilnehmern, die zunächst aus ganz Ostdeutschland, später aus ganz Deutschland anreisten. Die Proteste fanden überwiegend Montags statt und wurden als neue „Montagsdemos“ inszeniert. Das geflügelte Wort von Dresden als „Hauptstadt der Bewegung“ machte die Runde. Pegida und die zeitgleich in Westdeutschland entstandenen „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) waren Brüder im Geiste. Alle galten zunächst als „besorgte Bürger“.

Rechtsextreme Bündnispolitik

Pegida – und teilweise auch „HoGeSa“ – waren nicht nur Nährboden für Proteste in anderen Bundesländern und Großstädten, wo sich offizielle und inoffizielle Ableger von Pegida gründeten. All dies bildete indirekt auch den Nährboden für asylfeindliche Proteste allerorten, die nicht selten unter dem Label „Nein zum Heim“ liefen und von NPD und Neonazis organisiert wurden. Durch Pegida erfuhr die Hetze gegen die „Lügenpresse“ und gegen die „Volksverräter“ Reichweite. Seit 2015 organisiert auch die AfD große Demonstrationen gegen Geflüchtete und Migranten.

Bereits Anfang Januar 2015 hatte die damalige sächsische AfD-Landeschefin Frauke Petry erklärt: „Wir haben festgestellt, dass es offensichtlich inhaltliche Schnittmengen gibt.“ In der Folge kam es zeitweise zu erheblichen Zerwürfnissen, doch mit zunehmender Radikalisierung der Partei bewegten sich AfD und Pegida wieder offen aufeinander zu. Spätestens bei den fremdenfeindlichen Aufmärschen und Ausschreitungen in Chemnitz im August und September 2018 gab es kaum noch Zweifel an der Annäherung. An jenen Protesten nahm auch der spätere Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, ein ehemaliger hessischer Neonazi und später rechtsextremer AfD-Sympathisant, teil.

Pegada und Endgame

Pegida und „HoGeSa“ waren mancherorts auch die Ursuppe für „Bürgerstreifen“ und „Bürgerwehren“, in denen sich Hooligans, Rechtsextreme und „besorgte Bürger“ aka „Wutbürger“ mischten. Viele der Gruppen einte damals, dass sie sich als „Spaziergänger“ verstanden. Kurzzeitig gab es auch antiamerikanische Ableger wie die „Patriotischen Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes“ (Pegada) und die „Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung des Abendlandes“ (Endgame).

Immer wieder gab es Reibereien zwischen Pegida und der AfD - vor allem am Redepult ist die AfD jedoch seit Jahren fester Bestandteil der Proteste
Immer wieder gab es Reibereien zwischen Pegida und der AfD - vor allem am Redepult ist die AfD jedoch seit Jahren fester Bestandteil der Proteste

Nicht erst mit dem Aufkommen der Querdenken-Bewegung verkümmerte Pegida zur Dresdner Anekdote. Bachmann lebte derweil lieber in Spanien. Im Zuge der bundesweiten „Spaziergänge“ der Impfgegner, die noch in den kleinsten Gemeinden „spazierten“, griffen andere das Thema wieder auf. Zwischen „Querdenkern“, Impfgegnern und „Freien Sachsen“ setzten diese dann das Konzept von Pegida um – thematisch neu und anders aufbereitet, aber immer noch gegen die Regierung und das „Establishment“ gerichtet.

Erwiesen rechtsextrem

Erst 2021 stufte der Verfassungsschutz Pegida als extremistische Bewegung ein. Pegida-Chef Bachmann – mehrfach vorbestraft und beruflich wie privat mit teils fragwürdiger Vita – wurde von den Verfassungsschützern schon damals als Rechtsextremist eingestuft. Eine größere Rolle im bundesweiten Protestgeschehen spielte Pegida seinerzeit indes nicht mehr.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer bewertete vor einigen Tagen das angekündigte Ende der Straßenproteste als überfällige Entscheidung. „Die Anliegen, die Pegida ursprünglich thematisiert oder über die Zeit in radikalisierter Form vorgetragen hat, sind von anderen politischen Kräften wie der AfD, den rechtsextremen Freien Sachsen oder der Identitären Bewegung aufgenommen und zum Teil verstärkt worden“, betonte der Professor in einem Interview.

Radikalisierung, Enthemmung, Verrohung

Der Wissenschaftler wies zudem darauf hin, dass Pegida zur „Radikalisierung, Enthemmung und Verrohung beigetragen und letztlich auch zu einer neuen Ost-West-Konfrontation in Deutschland“ beigetragen habe. Zu Hochzeiten indes reisten bekannte Rechtsextremisten, Rechtsradikale und Islamfeinde aus dem In- und Ausland zu Pegida nach Dresden, darunter Geert Wilders aus den Niederlanden, der Thüringer AfD-Mann Björn Höcke oder der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner.

Pegida selbst war zu Beginn eine heterogene Gruppe, die vor allem in Ostdeutschland alsbald das Bild fremden- und islamfeindlicher Proteste prägte. Bereits im Januar 2015, als sich abzeichnete, dass die politische und inhaltliche Reise weg von den „besorgten Bürgern“ hin zu einer stramm rechten und fremdenfeindlichen Bewegung gehen würde, verließen Teile des Organisationsteams Pegida. Die damalige Pressesprecherin Kathrin Oertel entschuldigte sich Monate später sogar bei Muslimen – um dann später bei verschwörungsideologischen und antisemitisch codierten Protesten aus dem „Endgame“-Milieu erneut aufzufallen.

Westdeutschland müsse „aufwachen“

Wie sehr Pegida eine ostdeutsche Bewegung ist, die sich gegen den multikulturell geprägten Westen wendete, wurde bei einer Pegida-Kundgebung im Dezember 2015 in Aachen deutlich. Dazu hatten zahlreiche Ableger des Netzwerks aus Nordrhein-Westfalen und den angrenzenden Grenzregionen in Belgien und den Niederlanden mobilisiert. Das extrem rechte Stelldichein fand mit nur 130 Rechten bei sehr nasskaltem Wetter abseits der Innenstadt und ohne Publikum statt.

Während in der Anfangszeit teilweise weit über 10.000 Anhänger zu den Pegida-Demos kamen, sind es inzwischen nur noch einige Hunderte.
Während in der Anfangszeit teilweise weit über 10.000 Anhänger zu den Pegida-Demos kamen, sind es inzwischen nur noch einige Hunderte.

Bachmann war eigens dazu angereist. Doch angesichts der rund 500 Gegendemonstranten vor Ort und weiteren 2.000 Gegendemonstranten bei einer zweiten Kundgebung in der Innenstadt fand er, Aachen sei „eine ganz andere Erfahrung als Dresden“. Und fragte sich in seiner Rede: „Was ist hier passiert?“ Westdeutschland müsse nun „aufwachen“, so Bachmann. Nach rund fünf Minuten Redezeit beendete der eigens angereiste Star der Szene eher frustriert seinen Wortbeitrag.

„Absaufen! Absaufen!“ und ein „Hutbürger“

In die Schlagzeilen geriet Bachmann auch wegen seiner Strafverfahren. Erst kürzlich wurde der arbeitslose Aktivist zu einer Haftstrafe verurteilt, die allerdings aus gesundheitlichen Gründen zur Bewährung ausgesetzt wurde. Bachmanns Vergehen: Beihilfe zur Volksverhetzung. Negative Schlagzeilen machte aber auch immer wieder Pegida. Im Frühherbst 2016 verübte ein Anhänger Brand- respektive Sprengstoffanschläge auf eine Moschee und ein Kongresszentrum in Dresden – in letzterem fand kurz darauf der zentrale Festakt zum Tag der Deutschen Einheit statt.

Im August 2018 skandierten Teilnehmer in Dresden „Absaufen! Absaufen!“ gegen die Seenotretter von Mission Lifeline und gegen Flüchtlinge. Schlagzeilen machte in jenem Zeitfenster auch ein Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts (LKA), der gegen ein ZDF-Team ausfällig wurde. Wenig später verließ der als Dresdner „Hutbürger“ bekannt gewordene Mann das LKA und forderte eine Entschädigung vom ZDF, das ihn auf ausgestrahlten Bildern nicht verpixelt hatte. Sein Anwalt: der damalige sächsische AfD-Vize Maximilian Krah.

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