Pastörs Mission
Die NPD um Fraktionschef Udo Pastörs absolviert einen flächendeckenden Wahlkampf. Sie gibt sich bürgernah und handzahm – doch die Tarnung gelingt nicht immer.
Der NPD-Kandidat mag Adolf Hitler. Anders lässt sich der Schriftzug des „Führers“ auf seinem braunen Shirt kaum erklären. Zwischen den beiden Seitenteilen der Arbeitsweste lugte die Unterschrift hervor, als Stephan Jandzinsky-Joecke am vergangenen Samstag das „Thinghaus“, die NPD-Bastion in Grevesmühlen, verließ, um den beiden Wahlhelfern aus Bamberg und Magdeburg zunächst beim Entladen des Wahlkampf-LKWs zu helfen. In der Szene scheint der Hitler-Schriftzug gerade besonders angesagt, ist er doch für Laien kaum zu entziffern. So trug nicht nur der verurteilte Rechtsterrorist Martin Wiese ihn beim „Frankentag“ gut sichtbar, sondern auch ein Familienvater beim NPD-Kinderfest in Ueckermünde.
Obwohl Stephan Jandzinky-Joecke in der Nähe von Teldau wohnt, tritt er bei der Landtagswahl am Sonntag als Direktkandidat für den Wahlkreis Güstrow I an. Dem geborenen Dortmunder dürfte die Brisanz vor der Landtagswahl zunächst nicht bewusst gewesen sein, denn auf die Frage, ob das die Unterschrift von Adolf Hitler auf seiner Brust sei, schüttelte er den Kopf und sagte belustigt: „Nein, von Paris Hilton“. Dann jedoch drehte er sich eilig um, ging zurück zum Thinghaus und telefonierte aufgeregt. Kurze Zeit später fuhr eine dunkle Limousine vor.
„Leitfaden“ warnt vor zu viel Radikalität
In Wahlkampfzeiten vermeiden sogar radikalste NPD-Kandidaten die Erwähnung von Führer und Reich. Beschränken sich öffentlichkeitswirksam auf Parteien-Widerstand und Kritik an der Globalisierung („Den Bonzen auf die Finger hauen“), Demokratie-Ablehnung, fremdenfeindliche Hetze („Grenzen dicht! Polnische Diebesbanden stoppen!“) und ihren Traum von der deutschen „Volksherrschaft“. Bereits 2006 hatte die NPD die Richtlinie herausgegeben: „Auf den Themenkomplex Holocaust, Kriegsschuldfrage 1939 und Nationalsozialismus sollte sich mit dem Hinweis auf die Gegenwartsaufgaben der NPD niemand festnageln lassen“. Ein interner NPD-„Leitfaden“, erstellt vom „Leiter des Referats Kommunalpolitik“ und jetzigem Landeschef in Niedersachsen, Christian Berisha, warnt ausdrücklich davor, dass zu viel Radikalität in der Wählerwahrnehmung nicht gut ankommt, davor habe der Wähler derzeit noch „Angst“. Die Stammwählerschaft alleine reicht für einen Einzug in den Landtag nicht, daher „benötigt“ die NPD auch „den Protest – und den bürgerlichen Wähler“.
Doch Wahlkampf hin und her – so ganz gelingt die Anpassung bei Nationalsozialisten eben nicht. Hinter Kürzeln wie „88“ und „AH“ lässt es sich nicht mehr verstecken. Daher müssen neue unbekanntere Signaturen als Provokation und Bekenntnis her. „Ob strafbar oder nicht, das wird gerade von einer zuständigen Staatsanwaltschaft geprüft“, berichtet Experte Günther Hoffmann, dem das neue Faible der NPD-ler auch in Vorpommern auffiel.
„Trennung von Deutschen und Ausländern im Unterricht“
Auch das Wahlprogramm der NPD mit seinen 25 Punkten erinnert an das 25-Punkte-Programm der NSDAP. Auf Nachfrage der „taz Nord“ erklärte NPD-Landeschef Stefan Köster: „Aber 23 oder 26 Punkte, da hätte der Wähler doch gedacht, das wäre alles willkürlich“. In ihrem Programm vertreten die Neonazis ihre üblichen Forderungen wie „Trennung von Deutschen und Ausländern im Unterricht“, „Volksentscheide auf allen Ebenen“ oder wirksamerer „Opfer- statt Täterschutz“. Das Grundgesetz mit seinem Gleichheitsgrundsatz wird dabei schlichtweg missachtet. Sämtliche Themen werden mit übersteigertem Nationalismus aufgeladen, auch mit den Zahlen und Daten nimmt es die NPD oft nicht so genau. „Sie sind die modernen Neonazis und sie bleiben echte Faschisten“, heißt es im Kommentar der Hamburger „taz“.
Bieder und smart gibt sich die NPD beim Wahlkampf auch am Rande des Wochenmarktes in Wismar. Freundschaftlich klopft Udo Pastörs einer Thor Steinar-tragenden Glatze auf die Schulter, nickt und sagt: „Dran denken, nächsten Sonntag zur Wahl gehen!“ Einer Frau ruft er zu: „Glauben Sie nicht, was in der Zeitung steht“. Selbst vor einem Jungen mit Rad macht der ambitionierte NPD-Mann mit Mission nicht halt. „Haste schon mal was gehört von nationalen Parteien?“ fragt er. Der Junge ist verwirrt. Pastörs legt nach: „Dich will man zu einem Menschen machen, der alles kauft und glaubt.“ Er lächelt und sagt: „Alles Gute“. Erleichtert fährt das Kind davon.
200.000 Euro in den Wahlkampf investiert
Viel los ist am Wahlkampfstand nicht. Aber die Menschen sind im Vorübergehen auch nicht abgeneigt. Es gibt keine wütende Ablehnung oder menschliche Empörung. Zu unauffällig sehen Pastörs sowie Peter Marx in leuchtend orangefarbener Regenjacke und ihre drei anderen Mitstreiter aus. Eine Frau mittleren Alters tritt offen für die NPD auf. Eine andere dagegen versteckt ihr braun gebranntes Gesicht hinter einer Parteizeitung. Obwohl sie auffällig „Wählt Pastörs“ in großen Lettern auf ihrer Jacke trägt, möchte sie dann doch nicht erkannt werden. Typisch für die NPD – Widersprüche inklusive.
200.000 Euro sollen die NPD und ihre Unterstützer in den Wahlkampf investiert haben. Ein Teil der Spenden wird dem „millionenschweren Kaufmann“ („Superillu“) Udo Pastörs und dessen Ehefrau zugeordnet. Nicht nur wegen eines Darlehens von 25.000 Euro, sondern auch für einen der Wahlkampf-Trucks mit großer Werbefläche fungierte Pastörs bereits im letzten Wahlkampfeinsatz in Sachsen-Anhalt als Ansprechpartner.
„Bandidos“-Anhänger als Unterstützer dabei
In Rostock zieht die NPD vier Infostände an einem Tag durch. Viele weitere sind in dieser Woche noch geplant. Nicht nur im Grevesmühlener „Thinghaus“ und im Salchower „nationalen Wohnprojekt“ nahe Anklam ist viel los. Aus dem gesamten Bundesgebiet angereiste NPD-Wahlhelfer müssen versorgt werden. Plakate werden sortiert und verteilt, Lautsprecherfahrten koordiniert. Am agilsten unterstützt der sächsische Fraktionschef Holger Apfel den Wahlkampf seines internen Parteikontrahenten Pastörs. Er ist seit Wochen an der Ostsee unterwegs, bringt immer wieder Anhänger aus dem eigenen Landesverband mit.
Apfel redet und redet. Seine Beiträge werden per Video aufgezeichnet und ins Internet gestellt. Dafür sind routinierte Neonazis aus der Parteizentrale wie Jörg Hähnel und andere zuständig. Keine Partei hat die Alleen zwischen den zahlreichen Dörfern des Bundeslandes, Hochhaussiedlungen und kleine Marktplätze so zuplakatiert wie die NPD. Immer finden sich für die NPD-Reisekader mit ihren Wahlkampffahrzeugen auch einige Unterstützer aus der Region. In Pasewalk zum Beispiel ist ein Anhänger des gefährlichen Motorrad-Clubs „Bandidos“ dabei, der auch schon als Ordner bei Aufmärschen auftrat.
Empörte Bürger vor der Kamera
Die NPD punktet in der Provinz. Die inhaltsschwache Partei konnte bisher in Mecklenburg-Vorpommern wenig Themen besetzen, Anti-Atomkraftbewegung oder demographischer Wandel sind in der Hand der anderen. Ihr bleibt vor allem rassistische Panikmache und das weite Feld potenzieller Grenzkriminalität. Mit einer großen „Materialschlacht“, eigenen kleinen Zeitungen und vielen Infotischen ringt sie um Aufmerksamkeit. Ein Vorteil der Neonazis: Hier in Mecklenburg-Vorpommern werden sie nicht sofort abgelehnt – soweit haben sie es schon geschafft. Das mutmaßliche Stammwählerpotenzial wird auf bis zu vier Prozent geschätzt. Diese Klientel sollen den Neonazis weitere Türen öffnen.
Da sind zum Beispiel die zwei Anwohner aus Kaminke in der Grenzregion zu Polen, die im Werbevideo der NPD von der „Randale“ gegen die einheimische Bevölkerung reden, davon, dass „Friedhöfe unter Wasser gesetzt“ würden und sie polnische Banden im Verdacht hätten. Sie berichten davon, dass sich viele Menschen längst „nicht mehr aus dem Haus trauen“ würden. Fazit der beiden freiwilligen Werbeträger: Die NPD sei „die einzige Partei“, die etwas dagegen machen könnte. Tatsächlich gelingt es den Neonazi-Strategen überall im Land empörte Bürger vor die Kamera zu bekommen. In Löcknitz präsentiert sich Bauunternehmer Dirk Bahlmann mit seinen Handwerkern auf einer Baustelle. Schwer atmend klettert Volkstribun Pastörs auf das Gerüst, reicht Bahlmann die Hand und fragt den Firmeninhaber nach Handlanger-Löhnen. Im Werbe-Video wird verschwiegen, dass Bahlmann längst für die NPD im Löcknitzer Kommunalparlament sitzt. Seine Mitarbeiter hat er bereits im Kommunalwahlkampf zur Parteiwerbung für die NPD herangezogen.
Regionaler Protest regt sich
In Torgelow im Landkreis Uecker-Randow konnte sich die NPD inszenieren, weil die anderen Parteien scheinbar ihren Einsatz verschliefen. So stand Udo Pastörs werbewirksam als erster Politiker vor den Werkstoren der Eisengießerei, die jüngst den Abbau von Arbeitsplätzen und die Auslagerung eines Teils der Produktion nach Polen angekündigt hatte. Ein gefundenes Fressen für die radikalen Populisten. Eilig organisierte die Kameradschaft „Freies Pommern“ um Tino Müller mit Pastörs an der Spitze einen Aufmarsch. Es schlossen sich rund 50 Menschen aus Torgelow den Neonazis an, berichten Augenzeugen. Routinierte Politiker von Die Linke und CDU dagegen seien zu spät gekommen. Die besten Plätze direkt vor der Eisengießerei waren an die Neonazis vergeben.
Auch nach den politisch motivierten Mordanschlägen in Norwegen oder dem Jahrestag des fürchterlichen Pogroms von Rostock-Lichtenhagen scheint die Empörung der breiten Bevölkerungsschicht in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber der NPD eher verhalten. Kaum dringt nach außen, dass Unbekannte letzte Woche auf der KZ-Gedenkstätte Wöbbelin, einem Außenlager von Neuengamme, im Landkreis Ludwigslust, randalierten. In dem Auffanglager waren kurz vor Kriegsende über 1000 Häftlinge ums Leben gekommen.
Doch regionaler Protest regt sich. So wurden im Raum Gägelow NPD-Plakate mit dem Konterfei des Direktkandidaten Tino Streif mit einem einfachen Wort in dicken schwarzen Lettern überklebt: „Oslo“.
Auch berichtet der „Nordkurier“ von Neonazi-Schmierereien an der Pogge-Schule in Lalendorf im Landkreis Güstrow. „Ohne Kampf kein Sieg“ und ähnliche Parolen hatten Unbekannte an die Außenwände geschmiert. Die Behörden vermuten laut Lokalzeitung „offenkundige Sympathisanten der NPD“ dahinter. Bereits vor einem Jahr gab es Hakenkreuz-Schmierereien. Diesmal blieben sie bis zum Schulbeginn dran – es soll darüber diskutiert und nicht weggeguckt werden.