Filmkritik
„One Life“ – von der Rettung Hunderter jüdischer Kinder
Der Film „One Life“ erzählt die Geschichte des britischen Bankers Nicholas Winton, der 1939 weit über 600 jüdische Kinder vor den Nationalsozialisten rettete. Mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle zeigt der Spielfilm Wintons couragiertes Handeln und die Problematik der Kindertransporte.
Als vor 85 Jahren, im März 1939, die deutsche Wehrmacht die Tschechoslowakei einnahm, zerschlug sie nicht nur die einzige in Mitteleuropa verbliebene Demokratie. Die Soldaten beseitigten auch die letzte zentraleuropäische Zufluchtsstätte, in der Menschen Schutz gefunden hatten, die aus Deutschland, Österreich und dem Sudetengebiet vor dem nationalsozialistischen Terror geflohen waren. Neben politischen Flüchtlingen waren dies vor allem zehntausende Juden, die in Prag unter erbärmlichen Verhältnissen leben mussten.
Bereits Anfang 1939 war der Engländer Nicholas Winton bei einem Besuch in Prag auf die verzweifelte Situation insbesondere der Kinder unter den jüdischen Flüchtlingen aufmerksam geworden und entschloss sich, in Ergänzung zu den Ende 1938 beginnenden Kindertransporten aus Deutschland und Österreich auch jüdischen Kindern aus Prag zur Flucht nach Großbritannien zu verhelfen.
In Vergessenheit geraten
Die Notwendigkeit dieser Rettungsmaßnahme verschärfte sich mit der Okkupation der Tschechoslowakei durch Deutschland. Insgesamt konnten Winton und sein kleines Team bis Ende August 1939 669 Kinder aus Prag nach Großbritannien bringen; mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 endete auch dieser Kindertransport. Nach 1945 blieben die Kindertransporte, auch die aus Prag, jahrzehntelang vergessen.
In enger Anlehnung an die historischen Fakten erzählt James Hawes in seinem Spielfilm One Life die Geschichte dieser Rettungsaktion und setzt insbesondere Nicholas Winton, anfänglich gespielt von Johnny Flynn, später von Anthony Hopkins, ein Denkmal. Geschickt verbindet Hawes zwei Zeitebenen: das Jahr 1939 und die 1980er Jahre. Waren die Monate der Kindertransporte geprägt von Hektik, Auseinandersetzungen mit deutschen und britischen Behörden und der ständigen Sorge, nicht genügend Kinder retten zu können, verliefen die späteren Jahre äußerlich ruhig.
Erst ab 1988 breitere Wahrnehmung
Winton lebte als Privatier, das Schuldgefühl, nicht mehr Kinder vor dem Tod in den Konzentrationslagern gerettet zu haben, hinderte ihn jahrelang, auch nur im familiären Kreis über seine Rettungsaktion zu sprechen. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden die Prager Kindertransporte erst 1988, als die Zeitungen der britischen Mirror-Group und die BBC über Winton berichteten.
Dass One Life trotz seiner Thematik nicht in Rührseligkeit versinkt, hängt einerseits mit der gelungenen Verknüpfung der beiden Zeitebenen zusammen. Vor allem aber ist es der grandiosen schauspielerischen Leistung von Anthony Hopkins geschuldet, der den Winton der 1980er Jahre als liebenswerten, etwas schrulligen, ironischen, sozial und politisch weiterhin aktiven älteren Herren zeigt.
Wer mehr über die historische Person Nicholas Winton erfahren möchte, findet auf You Tube diverse Dokumentationen und auch die BBC-Sendung That’s Life von 1988, die Winton bekannt machte.