Rezension

Offen für Willkür: Das Buch „Remigation“ von Martin Sellner

Das Buch „Remigration“ von Martin Sellner fand weite Verbreitung. Dass von einschlägigen Maßnahmen millionenfach Menschen betroffen wären, wird recht offen eingeräumt. Viele Ausführungen bleiben aber diffus, sind demnach offen für Willkür.

Donnerstag, 25. April 2024
Armin Pfahl-Traughber
Wie in Sellners letztem Buch bleiben seine Ausführungen oft diffus, sind demnach aber offen für Willkür.
Wie in Sellners letztem Buch bleiben seine Ausführungen oft diffus, sind demnach aber offen für Willkür.

Durch die „Correctiv“-Recherche kam Martin Sellner auch in die „Tagesschau“, berichtete doch das Fernsehen über die von ihm in einem Hotel vorgetragenen Migrationspläne. Doch was hatte der österreichische Rechtsextremist dort überhaupt gesagt? „Correctiv“ sprach von einer millionenfachen Vertreibung. Die Anwesenden wie Sellner selbst widersprachen später. Genauere Belege für die Positionierungen liegen nicht vor, von Tonaufzeichnungen gibt es keine Veröffentlichungen.

Dafür liegt jetzt das Buch „Remigration. Ein Vorschlag“ von Martin Sellner vor, erschienen in dem der Neuen Rechten zurechenbaren „Verlag Antaios“. Aufgrund der medialen Aufmerksamkeit gab es dazu bereits vor Erscheinen zahlreiche Vorbestellungen. Inwieweit der Autor aufgrund dieses Interesses darin inhaltliche Veränderungen vorgenommen hat, lässt sich verständlicherweise nicht sagen. Gleichwohl heißt es dort: „Millionenfache Remigration ist keine Kleinigkeit …“, womit die medial erwähnten Dimensionen sehr wohl eingeräumt werden.

Geschichtsrevisionismus soll „Remigration“ legitimieren

Welche anderen Aussagen finden sich noch darin? Zunächst einmal bedient sich der Autor begrifflich bei der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung, ist doch „Remigration“ dort ein üblicher Terminus. Er definiert die Bezeichnung aber gleich anders, nämlich „als Überbegriff für alle Maßnahmen einer rechten Identitäts- und Bevölkerungspolitik“, womit die übliche Begriffsaneignungstaktik der Neuen Rechten praktiziert wird. Gleich zu Beginn ist von der „Ersetzungsmigration“ die Rede, ein Austausch der einheimischen durch eine migrantische Bevölkerung legt dies nahe.

Zwar fällt „Großer Austausch“ als Begriff nicht, genau die damit gemeinte Botschaft eines gezielten Plans wird indessen suggeriert. Plötzlich springt Sellner aber zu einem anderen Thema: „Die Überwindung des historischen Schuldkultblocks ist … zwingend notwendig. Alle folgenden Maßnahmen können nur Hand in Hand mit … einer ‚erinnerungspolitischen Wende‘ (Björn Höcke) erfolgen“. Geschichtsrevisionismus soll „Remigration“ legitimieren.

„Alleinstellung der deutschen Kultur in Deutschland“

Spätestens bei diesen Ausführungen wird die ideologische Orientierung überdeutlich. Es heißt auch: „Ethnokulturelle Identität und ‚substantielle Gleichheit‘ bilden das nötige stabile Fundament für abstrakte, ideologische, ökonomische und religiöse Vielfalt“. Blickt man in die dafür angegebene Fußnote, so wird dort auf Carl Schmitt verwiesen. In dessen genanntem Buch wurde Demokratie über Homogenität definiert, das Heterogene sollte nötigenfalls einer Vernichtung ausgesetzt werden. Sellner erwähnt nur die Stelle, zitiert sie aber als doch so wichtige Quelle für sein Selbstverständnis nicht.

Dazu passt die Beschwörung einer „Leitkultur“, wobei der Begriff entgegen der eigentlichen menschenrechtlichen Prägung durch Bassam Tibi als ausschließend verstanden wird: „Fremde Sprachen, Religionen und kulturelle Praktiken haben dann im öffentlichen Raum nichts verloren. … Jeder fremde Neuankömmling muß die Sonder- und Alleinstellung (!) der deutschen Kultur in Deutschland akzeptieren“.

Diffuse Kriterien, offen für Willkür

Die folgenden Ausführungen beziehen sich dann auf die zu „remigrierenden“ Menschen, wobei Sellner keine genaueren Zahlen nennen will. Aber es kursieren immer Angaben in Millionenhöhe, die bezogen sein sollen auf „Asylanten“, „Ausländer“ und „nichtassimilierte Staatsbürger“. Anschließend finden sich dazu Ausführungen zu den juristischen, logistischen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen, wobei die erstgenannten Aspekte von besonderem Interesse sind.

Diese Ausführungen leitet Sellner ein mit einem Zitat: „Das ‚Recht muß der Politik folgen‘, formulierte Herbert Kickl im Jahr 2019 bereits treffend“. Entsprechend wären geltende Gesetze, auch etwa gegen Menschenrechte, durch Politik veränderbar. Derartiges Agieren könnte auch „nichtassimilierte Staatsbürger“ treffen. Es heißt mit zynischer Botschaft: „Antideutsch eingestellte Deutsche … können … eines der Remigrationsprogramme in Anspruch nehmen …“. Genaue Kriterien werden nicht genannt, durchgehend typisch für Sellner, daher bleibt vieles offen für Willkür.

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