NSU-Terror: ihre „Uwes“ waren's

Im Münchner NSU-Verfahren hat die Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe sich erstmals eingelassen. Eine Einlassung, die „unglaubwürdig“ und eine „Frechheit“ sei, so Nebenklagevertreter und Prozessbeobachter

Donnerstag, 10. Dezember 2015
Andreas Speit

Ralf Wohlleben und André E. wirkten im Gerichtssaal A 101 gelassen. Eine Anspannung der Mitangeklagten im NSU-Verfahren wegen der angekündigten Einlassung der Hauptbeschuldigten war äußerlich nicht erkennbar. Kein nervöses Umherschauen oder verunsichertes Hin-und-Her-Bewegen auf der Anklagebank. Wussten sie, dass Beate Zschäpe sie vor dem Oberlandesgericht München nicht belasten würde? Vertrauten sie ihrer langjährigen Mitstreiterin einfach, weiterhin nichts zu verraten, was nicht schon öffentlich verhandelt wurde? Am gestrigen Mittwoch war die Botschaft ihrer lang angekündigten Einlassung schnell erkennbar: Alleine „ihre Uwes“ planten und verübten alle 10 Morde, Bombenschläge und 15 Banküberfälle. Den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) habe es nicht gegeben, ließ sie ihren Rechtsbeistand Mathias Grasel vortragen und über ein Netzwerk von Unterstützern ließ sie nichts verlauten.

Kurz vor 10.00 Uhr begann am 9. Dezember Grasel, Zschäpes Einlassung zu verlesen. In rund 90 Minuten versuchte der Anwalt, der mit seinem Kollegen Hermann Borchert Zschäpe neu mitvertritt, die gesamte Anklage der Bundesanwaltschaft zu widerlegen. Keine Annahme würde stimmen. In der 53-seitigen Einlassung kehrte eine Formulierung immer wieder auf: An den Taten „war (sie) weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung“ beteiligt. Sie fühle sich aber „moralisch schuldig“, nicht in der Lage gewesen zu sein „auf Uwe Mundlos und auf Uwe Böhnhardt entsprechend einzuwirken, unschuldige Menschen nicht zu verletzen und nicht zu töten“. „Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer“, trug Grasel für Zschäpe vor.

„Erklärung so erbärmlich, einfach nur lächerlich“

Eine Entschuldigung und eine Einlassung, die die anwesenden Angehörigen der Opfer im Gerichtssaal zutiefst enttäuschte. Vor dem Gerichtsgebäude sagte nach dem Verhandlungstag, Ismail Yozgat, der Vater des ermordeten Halit Yozgat: „Sie lügt, sie tut so alle wäre sich nicht beteiligt gewesen und nichts gewusst hätte. Wir glauben ihr nicht. Nach dem ersten Mord, wo sie angeblich so erschüttert gewesen sei, hätte sie zur Polizei gehen müssen, sie hätte weitere neun Morde verhindern können.“ Gamze Kubasik, deren Vater dem NSU zu Opfer gefallen ist, meinte: „Mit ihrer Erklärung versucht Frau Zschäpe, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Dieser Aussage glaube ich kein Wort.“ Die Entschuldigung Zschäpes nehme sie nicht an. Der Sohn des NSU-Mordopfers Enver Simsek kritisierte die Aussage ebenso scharf: „Diese Erklärung war so erbärmlich, einfach nur lächerlich“, so Abdulkerim Simsek. Auch er lehnte die Entschuldigung ab.

Bereits im Saal waren Unglauben und Unmut spürbar, je öfter Grasel Zschäpes Worte wiederholte, weder bei der Planung der Morde, Bombenanschläge und Überfälle involviert, noch bei den Taten gar beteiligt gewesen zu sein. Nach 249. Verhandlungstagen, während derer oft die Rolle von Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied einer rechtsextremen terroristischen Vereinigung herausgearbeitet wurde, die das Abtarnen des Lebens im Untergrund wesentlich betrieb und das Geld verwaltete, versuchte sie sich jetzt, als gänzlich unbedeutend, völlig unpolitisch darzustellen. Nur von den Banküberfällen hätte sie gewusst, allerdings nicht im Detail. Dass sie davon im 13-jährigen Untergrundleben profitierte, räumte die 40-Jährige ein. Je länger Grasel redete, je mehr verschwand Zschäpes politische Überzeugung und Verstrickung.

Bei der „Kameradschaft Jena“ irgendwie mit dabei

Nachdem sie über ihre schwierige Kindheit, das angespannte Verhältnis zu ihre Mutter und ihre eigene berufliche Perspektivlosigkeit sprechen ließ, führte Grasel für sie aus, 1989/1990 Uwe Mundlos in Jena kennen gelernt zu haben. „Noch im Jahr 1991, kurz nach meinem Hauptschulabschluss, zog Uwe Mundlos in unsere Wohnung in die Ernst-Zielinski-Straße 42 in Jena ein. Er stammte aus gutem Elternhaus und hatte eine Lehre als Informatiker beziehungsweise Datenverarbeitungskaufmann abgeschlossen.“ Ihre Freizeit verbrachte sei dort regelmäßig an der Schnecke. „Wir hörten gemeinsam Lieder mit nationalistischem Inhalt und sangen – manchmal könnte es auch als Grölen bezeichnet werden.“ Doch selbst bewegte sie sich nicht alleine nach rechts, sondern ihr Cousin Stefan Apel trieb sie voran. In der Phase lernte sie Böhnhardt kennen. Sie war 19 Jahre alt – und fasziniert. Mit Beginn dieser Freundschaft änderte sich ihr Freundeskreis. „Ich hatte nicht mehr so viel Kontakt zur Gruppe, die ich regelmäßig mit Uwe Mundlos an der Schnecke getroffen hatte, sondern wandte mich immer mehr Uwe Böhnhardts Freunden zu“, sagte Grasel für Zschäpe und „Böhnhardts Freunde hatten eine intensivere nationalistische Einstellung als der Freundeskreis um Uwe Mundlos und traten auch entsprechend auf. Die Aktivitäten der Gruppe in politischer Hinsicht waren ausgeprägter.“ Und sie? Ja sie war einfach bei der Clique um Böhnhardt, die sich „Kameradschaft Jena“ nannte irgendwie mit dabei,  ohne dabei zu sein: „Ich war kein Mitglied dieser Kameradschaft und hatte auch keinen Beitrag bezahlt. Ich hatte mich auch nicht zugehörig gefühlt.“

Der V-Mann als Macher und Antreiber

Erst durch Tino Brandt, dem ehemaligen Leiter des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann des Landesamts für Verfassungsschutz wären ihre Aktivitäten koordinierter und organisierter verlaufen. „Brandt war diejenige Person, die Geld zur Verfügung stellte und somit unsere Aktivitäten erst ermöglichte.“ Mit dem Geld – vom Staat – wären Plakate geklebt, Aufkleber gefertigt, rechtes Propagandamaterial verteilt und die angesprochenen Reisen bezahlt worden. „Man kann sagen, ohne Tino Brandt wären diese ganzen Unternehmungen nicht möglich gewesen“, so Grasel für Zschäpe. Keine Überraschung zu dem Zeitpunkt der Einlassung mehr, dass sie Brandt als Macher und Antreiber anging. Hatte  er Zschäpe doch in der Verhandlung als „ideologisch gefestigt“ bezeichnet, „keine dumme Hausfrau“ – und somit die Anklage untermauert. Eine Rolle, die nun in der neuen Verhandlungsstrategie mit der Einlassung widerlegt werden soll.

Vor ihrem 13-Jährigen Abtauchen, räumte Zschäpe ein, hätte sie zwischen April 1996 und Dezember 1997 mehrere Aktionen mitgemacht. Alle jedoch initiiert von „ihren Uwes“. Nach einer Aktion 1996 trennte sich Böhnhardt von ihr, worunter sie sehr litt. Um wieder einen engeren Kontakt zu bekommen, habe sie „am 10. August 1996 die Garage Nummer fünf an der Kläranlage in Jena angemietet. In der Vergangenheit hätte Mundlos, Böhnhardt und sie darüber gesprochen, dass man eine abgelegene Garage anmieten sollte, um Propagandamaterial zu deponieren. Dass in der Garage auch TNT gelagert wurde, will sie bis zu ihrem Untertauchen am 26. Januar 1998 nicht gewusst haben. Die Flucht, der Wechsel von Wohnungen war schnell erzählt im Saal A 101. Nannte sie doch außer Thomas S., der auch das TNT besorgt hatte, nur noch schon zwei bereits weiter bekannte Helfer kurz. Doch wer wo wann ihnen Wohnung, Geld und Papiere besorgte, blieb unerwähnt. Selbst die Hilfe des Mitangeklagten Holger G. bei der Beschaffung von Papieren und Krankenkassenkarte griff sie nicht auf – trotz dessen eigener Einlassung der langjährige Hilfe für das Trio. Auch den Mitbeschuldigten Carsten S., der durch die Schilderung einer Waffenübergabe Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und Wohlleben belastet, ging sie nicht an. Ließ Aussage gegen Aussage stehen. Verhielt sich nicht zu S., der von einem bis zum Verfahren unbekannten Bombenanschlag des NSU-Kerntrios 1999 in Nürnberg erzählt hatte.

Angst, „ihre Uwes“ zu verlieren

Im Saal A 101 legte Grasel für Zschäpe weiter dar, nach dem ersten Mord an Enver Simsek am 9. September 2000 völlig geschockt gewesen sein, sie will sich gar mit ihren beiden „Uwes“, die ihre Familie waren, heftig gestritten haben. Mit keinem Wort hätten die beiden gesagt, dass Simsek sterben musste „weil er Ausländer war“. „Erst Mitte Dezember 2000, während der Adventszeit, erfuhr ich von den Geschehnissen am 9. September 2000. Ich weiß nicht, ob es an der Stimmung zur Weihnachtszeit lag, jedenfalls merkte ich an den Blicken des Uwe Mundlos, dass etwas nicht stimmte. Ich sprach ihn darauf an, was mit ihm los sei und er berichtete mir, was rund drei Monate zuvor passiert war. Ich war geschockt. Ich konnte nicht fassen was die beiden getan hatten. Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt“, sagte Grasel für Zschäpe und führte weiter aus: „Auf meine massiven Vorwürfe, wie man so etwas tun könne, reagierte Uwe Mundlos lediglich dahingehend, dass eh alles verkackt sei und dass er es zum knallenden Abschluss bringen wolle.“ Erst später hätten die beiden rassistische Motive für die Mordtaten und Bombenanschläge ihr gegenüber angeführt. Die Polizisten Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen Martin A. seien von Mundlos und Böhnhardt am 25. April 2007 nur angegriffen worden, um funktionsfähige Waffen zu erbeuten.

Schon nach dem ersten Mord will sie ihren „Uwes“ gesagt haben, sich der Polizei stellen zu wollen, doch die beiden eröffneten ihr, dass sie sich geschworen hätten, sich im Falle einer drohenden Festnahme selbst zu erschießen – „sich die Kugel zu geben“. Diese Last, für ihren Tod möglicherweise verantwortlich zu werden, die Angst, selbst eine hohe Haftstrafe zu erhalten, weil man ihr eine Tatbeteiligung oder Nichtwisserschaft nicht abnehmen würde und die Angst ihre „Uwes“ zu verlieren, so las Grasel vor, habe sie daran gehindert sich zu stellen. Nachdem sie von dem Bombenanschlag im Januar 2001 in einem Kölner Lebensmittelladen erfahren habe, kam ihr der Gedanke, „wie gefühllos beide waren und es kamen mir erstmals Zweifel, wie ich beiden gefühlsmäßig gegenüberstand. Die Kraft, mich zu trennen – insbesondere von Uwe Böhnhardt – und mich der Justiz zu stellen, hatte ich jedoch nicht“. Vom Bau dieser Bomben in der gemeinsamen Wohnung will sie nichts mitbekommen haben. Die beiden hätten sie nicht gebraucht, sie selbst hätte aber nicht ohne sie leben können. Beide Männer überlegten auch nach Südafrika auszuwandern, was jedoch sie sich nicht vorstellen konnte.

Den letzten Willen „ihrer Uwes“ umgesetzt

Die Taten ihrer „Uwes“ hätten das Zusammenleben in den 13 Jahren Untergrund belastet. Die beiden brüsteten sich später vielmehr damit, „dass sie vier weitere Ausländer umgelegt hätten. Meine Reaktionen sind nur schwer zu beschreiben: Fassungslosigkeit, Entsetzen, das Gefühl der Machtlosigkeit. Ich war unglaublich enttäuscht darüber, dass sie erneut gemordet hatten. Auch hatten sie mich erneut hintergangen, obwohl sie mir zuvor versprochen hatten, keinen Menschen mehr zu töten“, ließ Zschäpe Grasel darlegen. Sie schwieg sie an, trank drei bis vier Flaschen Sekt täglich. Die Männer hätten sie immer mehr außen vor gelassen – sie trauten ihr irgendwann nicht mehr 100-prozentig. Erneut eine Rollenzuschreibung, die sich nicht mit den Aussagen im Verfahren decken. Urlaubsbekanntschaften sprachen von einem harmonischen Verhältnis der drei zueinander und erzählten auch, dass Zschäpe das Geld verwaltete. Nach dem Mord an Kiesewetter sagte Grasel weiter für Zschäpe, hätte sie sich eingestehen müssen, das sie „mit zwei Menschen zusammengelebt habe, die einerseits im täglichen Leben zuvorkommend, tierlieb, hilfsbereit und liebevoll waren und andererseits mit unvorstellbarer Gefühlskälte Menschen getötet hatten“.

Zschäpe bestreitet auch, am 4. November 2011 durch die Brandlegung in der letzten gemeinsamen Wohnung in Zwickau den Tod einer älteren Nachbarin und von Handwerkern in Kauf genommen zu haben. Sie will mehrmals versucht haben, die Nachbarin aus dem Haus zu holen. Doch viel dachte sie nicht nach- Sie wusste, nachdem sie im Radio von einem brennenden Wohnmobil und zwei Toten hörte, das es ihre „Uwes“ waren. Deren letzten Willen setze sie dann sofort um: Mit dem Brand alle Spuren ihres Lebens versuchen zu vernichten, und die Bekenner-DVD zu verschicken. Diese DVD soll Mundlos alleine hergestellt haben. Sie habe den Film auch erst in der Verhandlung gesehen. Das Kürzel NSU hätte sich Mundlos überlegt, als der dem Szenemagazin „Weisser Wolf“ 1000 D-Mark spendete. In den vielen Jahren des Zusammenlebens hatten sie auch niemals untereinander darüber gesprochen, dass sie „drei Mitglieder einer nationalsozialistischen Untergrundbewegung seien, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit, bei im Vornhinein gefasstem, übergeordnetem Gruppenwillen und bei gemeinsamer politisch-ideologischer Grundhaltung gemeinsame Ziele verfolgen, wie es der Generalbundesanwalt in seiner Anklageschrift unterstellt“, führte Zschäpe durch Grasel aus. Sie hätte sich nie als „Mitglied einer solchen Bewegung gesehen“. Wenn man den NSU als terroristische Vereinigung betrachte, habe er nur aus zwei Personen bestehen können: Mundlos und Böhnhardt.

„Sich quasi als elftes Opfer des Terrors dargestellt“

„Die Aussage ist eine Frechheit“, sagt Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann. Nach 248 Verhandlungstagen behauptet Beate Zschäpe – trotz mannigfaltiger Beweise ihre Verstrickungen durch das Verfahren – nichts gewusst und nicht beteiligt gewesen zu sein. „Ihre Aussage hat keine neuen Erkenntnisse über Unterstützer gebracht. Sie tut so, als wenn keine Helfershelfer geben hätte, die Wohnungen, Geld, Waffen und Papiere besorgt hätten“, kritisiert Hoffmann. Bewusst ging sie auch nicht auf das Netzwerk von „Blood&Honour“ ein, aus welchem die ersten Unterstützer für das Abtauchen kamen. Keine neuen Namen nannte Zschäpe und belastetete auch keinen Angeklagten weiter. „Da schweigt sie, wie so viele rechtsextreme Zeugen“, so Hoffmann. „Nach vier Jahren sind Zschäpes Aussagen ein schlechter Witz“, erklärt die Abgeordnete Irene Mihalic, Obfrau der Grünen im neuen Bundestagsuntersuchungsausschuss, und betont: „Dass Zschäpe an den Taten angeblich weder beteiligt war noch Kenntnisse im Vorfeld hatte, ist für mich völlig unglaubwürdig.“ Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Familien der NSU-Opfer, Barbara John, sieht große Widersprüche, mehr noch: „Zschäpe hat nicht nur alles abgestritten, sondern sich quasi als elftes Opfer des Terrors dargestellt. Sie hat von sich das Bild einer Frau gezeichnet, die psychisch an ihre Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gekettet war.“

Am Dienstag nächster Woche wird die Verhandlung fortgesetzt. An dem Tag wird vermutlich vereinbart, wie das Gericht die Hauptbeschuldigte befragen soll – Zschäpe würde gerne schriftlich antworten. Den Angehörigen der Opfer will sie sich nicht stellen.

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