NSU im Netz
Das mutmaßliche Zwickauer Quartett war nicht isoliert. Auch nach dem Abtauchen und seit der Mordserie gab es immer Kontakte ins braune Milieu.
Zahlreiche Hinweise bestätigen inzwischen, dass die Neonazi-Zelle aus Zwickau, auf deren Konto mindestens zehn Tote und zwei rassistische Anschläge gehen sollen, auch nach dem Abtauchen 1998 in den Untergrund, scheinbar innerhalb militanter rechten Strukturen sozialisiert wurde. Zum harten Kern der drei Jenaer Bombenbastler kann wohl mittlerweile auch der Zwickauer Neonazi André E. als vierter Kopf hinzu gezählt werden. Ihm und Beate Zschäpe droht, Pressemeldungen zufolge, ein von den übrigen elf Verdächtigen abgetrenntes Ermittlungsverfahren vonseiten der Generalbundesanwaltschaft. Auch wenn die tatsächlichen Pläne des terroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) nur wenigen Komplizen bekannt gewesen sein sollten, isoliert von kameradschaftlichen Strukturen waren Zschäpe und ihre verstorbenen Mitstreiter Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos nie.
Über die „Kameradschaft Jena“, die Akademikersohn Mundlos gemeinsam mit den bekannten thüringischen Neonazis Ralf Wohlleben und Andre Kapke gegründet hatte, waren die drei in den 90er Jahren zum Sammelbecken „Thüringischer Heimatschutz“ (THS) gekommen. Der frühzeitig kriminell gewordene Böhnhardt brachte es zum stellvertretenden Leiter der Sektion Jena. Seine Freundin Beate war einfaches Mitglied des THS. Nach Hausdurchsuchungen und Sprengstoffvorwürfen tauchten sie gemeinsam mit Mundlos ab. Doch die thüringischen Kameraden blieben ihnen treu. Gemeinsam mit zwei weiteren Personen soll der Internetunternehmer Ralf Wohlleben sogar einen Kredit zur finanziellen Unterstützung aufgenommen haben. Bei einem Skinhead-Konzert in Heilsberg im darauffolgenden Frühjahr wurden Spendenkästen für die nationalen Märtyrer aufgestellt. Aussteiger berichten, dass so auch im NPD-Kreisverband Jena noch Jahre später für „Kameraden im Untergrund“ gesammelt worden sei.
Konkurrenzkampf zwischen „Blood&Honour“ und „Hammerskins“
Die Fluchtroute der drei führte über die Landesgrenze nach Sachsen. Tatsächlich gab es seit Jahren enge Verbindungen zwischen Anhängern des „Thüringer Heimatschutzes“ und der sächsischen Sektion von „Blood&Honour“. Insbesondere der umtriebige Jenaer Neonazi Andre Kapke verfügte demnach über einen heißen Draht zum Chemnitzer Kameraden Thomas S. Beate Zschäpe soll Aussagen zufolge zeitweilig mit dem Chemnitzer liiert gewesen sein. Aber auch der spätere NSU-Terrorist Uwe Mundlos hatte Szeneinformationen zufolge seit 1996 Kontakte zur rechten Skinhead-Szene im ehemaligen Karl-Marx-Stadt. Weitere Unterstützer wussten vom Unterkommen der Jenaer in nationalen Wohnungen.
Im Herbst 1998 wurden auch die Verfassungsschutzbehörden informiert, dass sich das untergetauchte Trio im Raum Chemnitz aufhielt. Dort agierte bis zum Verbot von „Blood&Honour“ im Jahr 2000 eine sehr agile Truppe, zu deren Akteuren eben S. als auch Jan W. (genannt „Dackel“) und der eher unauffällige Max Florian B. zählten. Der brachte die Flüchtigen gemeinsam mit seiner damaligen Freundin Mandy S. zunächst bei sich unter. S. heißt es, sei damals vorrangig für die Organisation von Rechtsrock-Konzerten mitverantwortlich gewesen, er habe die Bands besorgt. Die braunen Events brachten Geld in die Kasse. Beizeiten entbrannte ein Konkurrenzkampf zwischen den rivalisierenden Gruppen „Blood&Honour“ und den Anhängern der elitären „Hammerskin“-Bruderschaft. Immer wieder war der Vorwurf zu hören, „Blood&Honour“-Mitglieder würden „die Kohle einstecken“ und sich „eine goldene Nase“ verdienen.
„Steuernde Rolle“ bei der Flucht
Trotz der Betreuung durch die Sachsen hielten auch Wohlleben und Co. zunächst noch den Kontakt zu den untergetauchten Jenaer Bombenbastlern. Keine große Entfernung lag zwischen ihnen. Auch soll mindestens einer der drei polizeilich Gesuchten an Neonazi-Partys nahe Saalfeld teilgenommen haben, wie ein Augenzeuge der Polizei berichtete. Über ein Jahr nach dem Schritt in die Illegalität setzte sich der als Drahtzieher bekannte Wohlleben dann für Beate Zschäpe ein, die anscheinend nicht mit ihren Kameraden ins Ausland flüchten wollte. Gemeinsam mit dem jetzt der NSU-Mittäterschaft verdächtigten Carsten S. aus Jena reiste „Wolle“ Anfang Februar 1999 nach Mecklenburg, um den damaligen NPD-Landeschef Hans-Günter Eisenecker zu treffen. Demzufolge war wahrscheinlich geplant, dem bekannten Szene-Rechtsanwalt die Vertretung der Verteidigung der jungen Frau anzutragen. Warum daraus nichts wurde ist bis heute unklar. Eisenecker verstarb 2003.
Bei einer gemeinsamen Schulungsveranstaltung von sächsischen und thüringischen Neonazis in Eisenberg im Januar 2000 erfuhren die ehemaligen Kameraden aus Jena, dass es dem Trio gut gehe. Der Draht war nach und nach lockerer geworden. Aber noch hielt Carsten S. den direkten Kontakt in den Untergrund. Seit 1999 organisierte der Neonazi NPD-Infostände in Jena und Sonneberg mit und sammelte Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Auch besuchte er eine Schulung des Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerks sowie im Jahr 2000 den Kongress der „Gesellschaft für freie Publizistik“ in Bayern. S. avancierte zum stellvertretenden Landeschef der Jungen Nationaldemokraten.
Im Herbst 2000 erhielten die Verfassungsschützer Hinweise, der Neonazi wolle sich überraschend zurückziehen, seit April 2001 wurde er wohl nicht mehr als „THS-Mitglied“ geführt. S. distanzierte sich und zog nach Nordrhein-Westfalen – damit riss auch der direkte Kontakt zum Terror-Trio langsam ab. Auch wenn Ralf Wohlleben jetzt beschuldigt wird, in dieser Zeit um die ersten Morde noch eine Waffe für die abgetauchten Kameraden besorgt zu haben. Die Ermittler sprechen ihm heute eine bis 2001 „steuernde Rolle“ bei der Fluchtunterstützung zu.
Fäden reichten bis ins völkische Lager
Die Gesuchten hatten sich inzwischen eigene Strukturen innerhalb der bestehenden sächsischen Neonazi-Netzwerke aufgebaut. Über Neonazis wie Thomas S. und Mandy S. bekamen sie beste Kontakte zur militanten Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ als auch zur „Kameradschaft CC 88“ in Chemnitz.
Bis ins völkische Lager reichten die Fäden. So besuchte der Steinmetz B., zeitweilig ein Bekannter der drei, nach eigenen Angaben Ende 2001 oder 2002 eine Silvesterfeier der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ im bayerischen Geiselwind nahe Würzburg. Den Kontakt hatte ihm demnach ein Kollege gemacht, der heute übrigens seinen Betrieb in eine neuheidnische, als neonazistisch geltende, Ansiedlung im mecklenburgischen Landkreis Güstrow verlegt hat. Die Netze funktionierten. 2003 bezogen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe dann ihre eigene Wohnung in der Polenzstraße in Zwickau. Inzwischen halfen ihnen verstärkt Kameraden aus dem sächsischen Erzgebirge.
Frauen spielten im Bekanntenkreis anscheinend eine marginale Rolle. Die eine, Antje P., betrieb damals mit ihrem Ehemann einen Szeneladen in Aue-Schwarzenberg. Nebenher zählte sie zur „Blood&Honour“-Sektion Sachsen. Aus derselben Region stammen Mandy S. und Susann E. Beide freundeten sich zeitweilig mit der lebenslustigen Beate Zschäpe an. Insbesondere die jungen Frauen gaben der verbrecherischen braunen Zelle aus Zwickau einen harmlosen Anstrich. Sie liehen nicht nur Pässe und Papiere aus, sondern halfen hauptsächlich im Hinblick auf die Logistik.
Engagierte Kampfgefährtin für die HNG
Die Friseurin Mandy S. dagegen kam zwar aus dem Erzgebirge, verfügte aber über weitreichende Verbindungen. Sie soll im Laufe der Jahre mit mehreren einflussreichen Neonazis aus Thüringen, Sachsen und Bayern liiert gewesen sein und kam darüber in Kontakt mit wichtigen politischen Drahtziehern. Während das Trio 1998 abtauchte, versuchte sich die Sächsin bereits als junge Frau in der subkulturellen Männerbastion zu behaupten. Über einen bayerischen Freund lernte sie die sehr aktive und später verbotene „Fränkische Aktionsfront“ und deren Anführer Matthias Fischer kennen. S., die sich heute von der Szene distanziert, nahm damals als eine der wenigen Mädchen an einer Schulung zum Thema „Grundbausteine nationaler Politik“ in Nürnberg teil, wie es aus Expertenkreisen heißt. Sie ging auf Demonstrationen und half beim Plakate kleben. Clever wurden übrig gebliebene Werbeträger der „Fränkischen Aktionsfront“ für eine so genannte „Sächsische Aktionsfront“ in Chemnitz umgestaltet und benutzt.
Die Neonazistin S., die in einem radikalen politischen Umfeld mit vielen Straftätern heranwuchs, engagierte sich bald auch für die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ (HNG). Wie es von ihr als engagierte Kampfgefährtin erwartet wurde, schrieb sie dem in Straubing einsitzenden Kameraden Richard Lorenz bis 2004 Briefe ins Gefängnis, um den nationalen Straftäter ideologisch an die Szene zu binden.
Mandy S. kannte die Zwillingsbrüder André und Maik E. von Kindesbeinen an. Auch Matthias D. war ihr von früher wohl bekannt. Alle stammten aus dem abgelegenen Erzgebirgsstädtchen Johanngeorgenstadt. Alle – bis auf den brandenburgischen Neonazi Maik E. – stehen bisher in Verdacht, zum inneren Unterstützerkreis der NSU zu zählen. Andre E. und Matthias D. befinden sich seit November in Untersuchungshaft. Bei Mandy S. fand eine Hausdurchsuchung statt, sie wurde von der Bundesanwaltschaft vernommen.
Enge Kontakte zur „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“
Die Mittdreißigerin könnte es gewesen sein, über die das abgetauchte Trio schließlich seine engen Kontakte zur „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ um André E. bekam. E. galt bis zum Tod von Mundlos und Böhnhardt als deren engster Gefährte, Beate Zschäpe wählte seine Telefonnummer, kurz nachdem sie die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand gesetzt und sich auf eine tagelange Odyssee durch Deutschland gemacht hatte.
Bereits 2000 nahmen die Brüder E. und Freund Matthias D. an Treffen der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ teil. Die rassistische Kameradschaft war zuvor im Nachbarort Lauter gegründet worden und bestand nur wenige Jahre. Zwei Rundbriefe unter dem Titel „The Aryan Law & Order“ wurden veröffentlicht, in erster Linie ging es um Parolen wie „White Pride“ und „14 Words“.
Als André E. dann nach Chemnitz zog, intensivierten sich die Kontakte aus der Region in die Stadt. E. blieb der rassistischen Ideologie treu, teilte sie scheinbar eng mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Der Fernfahrer und Kamerad Matthias D. dagegen blieb als einer der wenigen in Johanngeorgenstadt nahe der tschechischen Grenze. Daheim in seiner kleinen Wohnung pflegte er sein Faible für Wehrmachts- und SS-Utensilien. Noch 2011 wurde das Fluchtfahrzeug für den letzten Banküberfall 2011 in Eisenach auf seinen Namen angemietet.
Gemeinsam beim Rechtsrock-Konzert in Salchow
Die E.s waren bereits vor Jahren nach Zwickau gezogen. Bis zuletzt besuchten sie mit ihren beiden kleinen Jungen regelmäßig donnerstags das Terror-Trio in der Frühlingsstraße. Die Frauen waren befreundet. Auf einem Foto postet Beate Zschäpe mit Susann E. im AC/DC-Shirt. Dem aktiven Zwickauer Neonazi André E. galt einer der letzten Anrufe von ihrem Handy, bevor sich Zschäpe wenige Tage später der Polizei in Jena stellte. Dass E. zudem intensive Szenekontakte pflegte, beweist nicht zuletzt sein enger Draht zum Zwillingsbruder Maik, der in Brandenburg als ehemaliges HDJ-Mitglied gilt, dessen Ehefrau der Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF) angehören soll und der immer wieder auch von polizeilichen Ermittlungen betroffen war.
Im Mai vergangenen Jahres besuchten beide Männer gemeinsam ein Rechtsrock-Konzert aus dem Umfeld der „Hammerskins“ im vorpommerschen Salchow, wie es intern heißt. Dann schließlich wurde André E. im November 2011 im Haus des Bruders in Grabow festgenommen. Während das Einsatzkommando der Polizei das Brüderpaar isolierte und André E. mitnahm, hockten die insgesamt sechs Kleinkinder beider Familien nebenan im Kinderzimmer.