NSU-Connections im Ländle

Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall legt heute den 221 Seiten (inklusive Anhang) umfassenden Bericht „Bezüge der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach Baden-Württemberg“ (Stand 31. Januar) vor.  Der Bericht basiert auf der Arbeit der „Ermittlungsgruppe Umfeld“, die das Landeskriminalamt im Januar 2013 eingerichtet hat.

Mittwoch, 12. Februar 2014
Anton Maegerle

Als relevant im NSU-Komplex werden in dem Bericht 52 Personen erachtet, bei denen ein „direkter Draht“ zu den mutmaßlichen Rechtsterroristen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe beziehungsweise zu Kontaktpersonen des „Trios“ nachgewiesen ist und bei denen ein Bezug zu Baden-Württemberg besteht. Zum „Trio“ selbst liegen dem baden-württembergischen Inneministerium  „keine eigenen Erkenntnisse vor.“

Kontakte unterhielt das „Trio“ demnach zu (ehemals) rechtsextremen Personen im Raum Ludwigsburg. Der Aufenthalt der Dreiergruppe lässt sich jedoch nur in einem Fall, einem Besuch an Ostern 1996, konkret belegen. Die darüber hinausgehenden „privaten Besuche“ sollen Mundlos und Zschäpe gemeinsam beziehungsweise als Einzelpersonen gemacht haben. Den Kontakt der Ludwigsburger Szene zu Gleichgesinnten in Chemnitz hatte ein von dort 1991 nach Baden-Württemberg zugezogener Neonazi („Skinheads Chemnitz ‘88er‘)“ hergestellt.

„Vertreter des vom NSU gehassten Staates angegriffen“

Den Weg von Chemnitz nach Baden-Württemberg fand 2001 auch Andreas Graupner. Das zeitweilige B&H-Mitglied hatte am 29. Januar 2000 am Rande einer NPD-Schulungsveranstaltung in Thüringen gegenüber einem „Kameraden“ geäußert, dass es „den Dreien“ gut gehe. Im Ländle schloss sich Graupner als Gitarrist der 1987 gegründeten Neonazi-Band „Noie Werte“ an. Die seit Januar 2011 inaktive Band  war ein „Schwerpunkt“ der nachrichtendienstlichen Beobachtung des Landesverfassungsschutzes (LfV), gibt der Bericht preis. Gegen Graupner sollen dem LfV Erkenntnisse schwerpunktmäßig aus dem Bereich der „rechtsextremistischen Skinheadszene“ vorliegen.

Baden-Württemberg war von den Taten des NSU durch den Mord an der Polizeibeamtin Michele Kiesewetter und dem Mordversuch an ihrem Streifenpartner Martin Arnold am 25. April 2007  auf der Heilbronner Theresienwiese betroffen. Der Mord an der 22-jährigen Kiesewetter aus dem thüringischen Oberweißbach (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt) gilt als mutmaßlich letzter Mord des NSU. Dem NSU sei es bei der Tat „darauf angekommen, die eigene Macht zu demonstrieren und zugleich die Ohmacht des Staates darzustellen“. Die beiden Polizeibeamten seien als „Vertreter des vom NSU gehassten Staates angegriffen wurden“, Kiesewetter sei ein „Zufallsopfer“, konstatiert der Bericht. Der Fall Kiesewetter gilt als rätselhaftester Mord des NSU. Noch ist aber nicht geklärt, ob Kiesewetter tatsächlich zufällig zum Opfer wurde – hat sie doch auch unter anderem nachweislich an mindestens zwölf Polizeieinsätzen teilgenommen, die im Zusammenhang mit Veranstaltungen im rechtsextremen Milieu standen.

Keinen Zusammenhang vermag das Innenministerium zwischen zwei Böblinger Polizeibeamten, dem Rapportführer Timo H. und einem Polizisten bei der gleichen Dienststelle, allerdings zu einem früheren Zeitpunkt, und den Taten des NSU erkennen. Beide Polizeibeamte gehörten der am 1. Oktober 2000 von Achim Schmid, einem V-Mann des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, ins Leben gerufenen antisemitischen Rassistentruppe „European White Knights of the Ku Klux Klan – Realm of Germany“ (EWK KKK) an. Das LfV will Schmid abgeschaltet haben, nachdem es von der Existenz des EWK KKK erfahren hatte.

Sänger von „Celtic Moon“ und „Höllenhunde“

Die Kapuzentruppe, ein Abklatsch des rassistischen Geheimbundes aus den US-amerikanischen Südstaaten, mit Sitz in Schwäbisch Hall existierte bis spätestens Ende 2003 und verfügte über rund 20 Mitglieder in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Zu den EWK KKK zählte neben dem späteren JN-Bundesvorsitzenden Michael Schäfer auch der Neonazi Thomas R. (Jg. 1974), der unter dem Namen „Corelli“ V-Mann des Bundeamtes für Verfassungsschutz war. R.s Kontaktdaten finden sich auf einer Adressenliste von Mundlos, die die Ermittler im Januar 1998 nach dem Abtauchen der drei Jenaer Neonazis sichergestellt hatten. Noch während Schmids V-Mann-Zeit nahmen ihn sächsische Verfassungsschützer ins Visier. Sie schrieben den Klanführer im März 2000 auf eine Liste mit den Namen von 22 Skinheads. Diese, so glaubten die Sachsen, unterhielten Kontakte zu NSU-Unterstützern und zu den Untergetauchten.

Schmid, einer der Ordner bei einer Neonazi-Demonstration am 1. Mai 1998 in Leipzig, war Ende der 90er Jahre einer der bekanntesten Neonazi-Musiker. Das zeitweilige JN-Mitglied war Sänger der braunen Bands beziehungsweise Musikprojekte  „Celtic Moon“ „Wolfsrudel“ und „Höllenhunde“.

Tino Brandt, Anführer des Kameradschaftsnetzwerkes „Thüringer Heimatschutz“ (THS) und Kontaktperson zu dem „Trio“ erwarb im November 2004 durch Zwangsversteigerung ein Haus in Hardthausen-Kochersteinsfeld (Landkreis Heilbronn). Brandt, so der Bericht, diente jedoch „lediglich als Strohmann für den Geldgeber, damit dieser in seinem Haus wohnen bleiben konnte“. Nach bisherigen Ermittlungen war er in dem Haus weder wohnhaft noch gemeldet.

Letzter Live-Auftritt von Ian Stuart Donaldson

Erwähnung findet in dem Bericht auch Ralf Wohlleben. Er war technischer Ansprechpartner für die Homepage des seit 2003 im Dreiländereck Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen überregional tätigen „Aktionsbüros Rhein-Neckar“ (AB Rhein-Neckar).

Im Kapitel „Erkenntnisse des LfV BW zu Personen des NSU-Komplexes“ stößt man auf Alexander Neidlein, der seit Jahren zu den „maßgeblichen Funktionären“ der NPD in Baden-Württemberg zählt. Über Neidlein wird berichtet, dass er im März 1993 als Söldner nach Kroatien ging und Ende 1993 zurückkehrte. Dann überfiel er am 30. Dezember 1993 eine Poststelle in Lübeck-Siems und setzte sich im Anschluss nach Südafrika ab. Aktuell ist Neidlein bei der Ländle-NPD baden-württembergischer Landesgeschäftsführer, stellvertretende Landesvorsitzender und Chef des NPD-Kreisverbands Schwäbisch Hall/Main-Tauber.

Als Neuigkeit ist dem Bericht„Bezüge der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach Baden-Württemberg“ noch zu entnehmen, dass die „Ikone der B&H-Bewegung“, Ian Stuart Donaldson, seinen letzten Live-Auftritt im Juli 1993 auf einem Grillplatz in Waiblingen-Hegnach hatte. Veranstalter war die Skin-Vereinigung „Kreuzritter für Deutschland“. Wenige Wochen später starb der Neonazi bei einem Verkehrsunfall.  Einer der „Kreuzritter“-Aktivisten war damals Alexander Heinig. Die späteren Rechtsanwälte Heinig, Steffen Hammer (ehemals „Noie Werte“) und Nicole Schneiders, Verteidigerin von Ralf Wohlleben im NSU-Prozess, arbeiteten bis vor wenigen Jahren gemeinsam für eine Kanzlei.

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