„N.S. heute“: Programmatisch auf dem Weg zum alten „Volkskörper“

In der Broschüre „Neonazismus zwischen Bürgerkrieg & Bürgernähe – Themen, Positionen und Strategien in der Zeitschrift N.S. Heute“ untersucht das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung ausführlich die Zeitschrift des Neonazi-Kaders Sascha Krolzig.

Donnerstag, 14. März 2024
Michael Klarmann
Das Cover der Neuveröffentlichung über die Neonazi-Zeitschrift
Das Cover der Neuveröffentlichung über die Neonazi-Zeitschrift

Inzwischen sind 40 Ausgaben der Zeitschrift „N.S. Heute“ erschienen – ihr voller Titel ist programmatisch: „Nationaler Sozialismus Heute“. In seinem Sonderheft widmet sich das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) nun sehr ausführlich den Inhalten des Strategieorgans. Das DISS arbeitet dabei wissenschaftlich – im Vergleich zu manch anderen Publikationen aus dem Privatinstitut heißt das: äußerst ausführlich, aber in weiten Teilen durchaus gut lesbar.

Ungewöhnlich mag dabei zunächst erscheinen, dass die Studie mit einem ausführlichen Beitrag zur Geschichte der Neonazi-Szene in Deutschland (und der DDR) seit 1945 eingeleitet wird. Da jedoch einige der maßgeblichen Akteure seit etwa den 1980er Jahren in ebendieser Szene politisch sozialisiert wurden und seitdem aktiv sind, ist diese Quasi-Einleitung notwendig. Exemplarisch ist diesbezüglich, dass der Neonazi-Altkader Christian Malcoci vor Jahren „Schriftleiter“ der Zeitung war und dabei Krolzig während der Verbüßung einer Haftstraße vertrat.

Kontinuität der Neonazi-Generationen

Zunächst zeigt dass DISS also die Kontinuität aufeinander folgender Generationen von Neonazis auf. Ohne die Kenntnis dieser Vorgeschichte, der alten und neuen Strategien der Szene und ihres stetigen Kampfes gegen die Demokratie wäre der Blick auf das derzeit wohl wichtigste neonazistische Organ unvollständig. Der mehrfach mit der Justiz in Konflikt geratene „Schriftleiter“ und Verleger Sascha Krolzig aus Dortmund ist sozusagen ein Ergebnis dieser Kontinuität.

Das Inhaltsverzeichnis der Publikation
Das Inhaltsverzeichnis der Publikation

Er war in Kameradschaften, bei Die Rechte und der NPD respektive nun „Die Heimat“ zum Teil führend aktiv. Krolzig wurde auch von der inzwischen nicht selten im Rentenalter angekommenen oder schon verstorbenen neonazistischen Erlebnisgeneration aus dem ehemaligen Kühnen-, Wiking Jugend- und FAP-Umfeld sozialisiert und politisiert. Noch aktive Altvorderen kommen auch als Autoren oder Interview-Partner zu Wort. Vielen Autoren und Mitwirkenden ist gemeinsam, dass sie einerseits in verschiedenen Kameradschaften, Gruppen sowie Parteien aktiv waren oder sind, etwa der schon genannte Malcoci, Christian Worch, Dieter Riefling und der Malcoci-Zögling Sven Skoda.

Nationalsozialismus nach dem historischen Vorbild

Gleichzeitig erinnern manche Autoren und Mitwirkende oft aber auch an überzeugte Hitleristen. Solche Kader sind nicht bloß Rechtsextremisten, sondern überzeugte Neonationalsozialisten. Sie wollten und wollen in den allermeisten Fällen nicht irgendeine rechtsextreme Diktatur erkämpfen, sondern – auch mit Gewalt – einen neuen Nationalsozialismus nach Vorbild des historischen Originals und Hitlers „Mein Kampf“. In „N.S. Heute“ ist die offen rassistisch definierte „Volksgemeinschaft“ aus den 1930er und 1940er Jahren also ein Leitmotiv.

Aus strafrechtlich relevanten Gründen kommt der NS-typische Antisemitismus jedoch in der Zeitung oft nur mittels Chiffre und Codewörtern vor. Bezeichnend ist es hierbei ebenso, dass das Landgericht Dortmund Krolzig Anfang 2023 zu zwölf Monaten Haft verurteilte. In seiner Zeitung hatten er respektive ein Autor Volksverhetzung begangen und Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen verbreitet.

Altvorderen des historischen Neonazismus

Krolzig verbindet mit der Zeitung seinen politischen Aktivismus mit seiner Tätigkeit als Verleger und Versandhändler – er wird so zum Bewegungsunternehmer. „N.S. Heute“ kombiniert dabei strategische und propagandistische Inhalte. Historische Berichte über die Zeit des Nationalsozialismus und über die Neonazi-Szene seit etwa den 1980er Jahren sind ebenso zu finden wie solche zur aktuellen Erlebniswelt mit Demonstrationen und rechtsextremer Musik.

 In der Veröffentlichung wird die "N.S. Heute" als "Stichwortgeber der bundesdeutschen Neonazi-Szene" bezeichnet.
In der Veröffentlichung wird die "N.S. Heute" als "Stichwortgeber der bundesdeutschen Neonazi-Szene" bezeichnet.

Die Altvorderen des unterdessen historischen Neonazismus geben sich dabei zuweilen selbst als Helden oder werden von anderen als solche stilisiert. Exemplarisch genannt werden können dabei der 2021 verstorbene Siegfried „SS Siggi“ Borchardt und der Musiker Michael Regener alias „Lunikoff“. Solche Altvorderen geben gleichzeitig ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter, zugleich aber finden jüngere Neonazis ansprechende Berichte über das aktionsorientierte Hier und Jetzt. Zwar will man bei alldem einen neuen Nationalsozialismus errichten, zugleich würde dieser aber strategisch und zeitgemäß den aktuellen Begebenheiten leicht angepasst.

Alleinstellungsmerkmal NS-Publikation

Im rechten bis rechtsextremen Spektrum gibt es heute eine Vielzahl von Zeitschriften, Medienformaten und „Nachrichtensendungen“ oder „Nachrichtenkanälen“. „N.S. Heute“ dürfte dabei die einzige regelmäßig erscheinende deutschsprachige Publikation sein, die explizit und relativ offen einen neuen Nationalsozialismus herbei schreiben will.

Die DISS-Studie umfasst 116 Seiten. Sie hat die ersten 35 Ausgaben der seit 2017 erscheinenden Zeitung „N.S. Heute“ akribisch ausgewertet und so eine Forschungslücke geschlossen. Die elektronische Ausgabe kann über die Stichwortsuche auch der gezielten Recherche dienen und selektiv gelesen werden; die gedruckte Ausgabe kostet 4 Euro.

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