NRW-AfD: Notizen aus der 2,2-Prozent-Provinz

Ein Dossier über das Sündenregister eines Kreissprechers, juristische Scharmützel, Abwahlanträge gegen den Bezirksvorstand, ein Ausschlussverfahren gegen dessen Chef: Der Streit zwischen denen, die der AfD möglichst rasch das Image der „Regierungsfähigkeit“ verpassen wollen, und dem parteiinternen Lager, das klar auf Opposition setzt, wird im Münsterland mit besonders harten Bandagen ausgetragen.

Mittwoch, 28. Oktober 2020
Rainer Roeser

Es waren keine schönen Schlagzeilen, die Münsters AfDler Ende letzter Woche in ihrer Lokalzeitung zu lesen bekamen. „Schmutzige Spiele in rechten Parteikreisen“ verhieß der erste Text, in dem es um ein 16-seitiges Dossier ging, das dem AfD-Bezirksvorstand im Münsterland vorliege und in dem detailliert Verfehlungen des Münsteraner Kreisvorsitzenden Martin Schiller aufgelistet seien. Ein paar Seiten weiter hinten in den „Westfälischen Nachrichten“ ging es um die „Grabenkämpfe beim Ausverkauf“: um die AfD-internen Streitereien in Münster nach der schlimmen Schlappe bei der Kommunalwahl und um die Auseinandersetzungen bei der Auflösung der AfD-Ratsgruppe.

Mit Ablauf der Wahlperiode am 31. Oktober endet die Geschichte dieser Ratsgruppe. Kreischef Schiller und Richard Mol, der die Partei vor Jahren verlassen hatte, im Rat jedoch mit Schiller zusammenarbeitete, hatten ihr angehört. Mit mindestens drei, möglichst aber vier Mitgliedern hatte die AfD in den neuen Stadtrat zurückkehren wollen. Doch es sollte am Wahltag Mitte September ganz anders kommen. Statt zuzulegen, verschlechterte Münsters AfD ihr ohnehin schon miserables Wahlergebnis aus dem Jahre 2014 noch einmal. Vor sechs Jahren hatte sie 2,6 Prozent geholt – diesmal waren es nur noch 2,2 Prozent. Von rund 3750 Stimmen blieben ihr nur noch knapp 3400. Verloren war damit auch das zweite Ratsmandat. Der neuen Stadtvertretung wird nur noch Schiller auf dem AfD-Ticket angehören. Vorbei sind damit auch die Zeiten, da das AfD-Ratsduo mit einem jährlichen Zuschuss von bis zu 78 000 Euro rechnen konnte.

Kreis-AfD contra Bezirks-AfD

Martin Schiller ist nicht irgendwer in der Partei. In der NRW-AfD fungiert er seit vorigem Herbst als stellvertretender Landessprecher im gänzlich „Flügel“-losen Vorstand. Schon zuvor hatte er sich mit seinem Engagement für die „Alternative Mitte“ beileibe nicht nur Freunde gemacht. In der AfD der 315.000 Einwohnerstadt Münster hat er zwar als Vorsitzender das Sagen. Im Bezirksverband für das gesamte Münsterland mit seinen 2,6 Millionen Einwohnern aber regiert der offiziell aufgelöste „Flügel“. Und der versucht seit Monaten, Schiller zur Strecke zu bringen.

Nachdem eine Verurteilung gegen ihn wegen Körperverletzung rechtskräftig geworden, hatte kurz vor Weihnachten 2019 ein Bezirksparteitag Schiller mit satter Dreiviertelmehrheit, aber ohne Erfolg aufgefordert, „umgehend von seinen Ämtern als stellvertretender Sprecher des Landesverbandes NRW sowie als Kreissprecher des Kreisverbandes Münster zurückzutreten und sein Mandat im Rat der Stadt Münster niederzulegen, um die Partei vor weiteren Schäden in der Öffentlichkeit zu bewahren“. (bnr.de berichtete)

„Stasi-Methoden“

In diesem Sommer folgte ein weiterer Vorstoß von Bezirkschef Steffen Christ, der den Kreischef beschädigen sollte. Christ versuchte, die von seinem Kontrahenten angeführte Kandidatenliste für die Stadtratswahl wieder zurückzuziehen. Die Begründung wirkte wie eine Posse: Ausgerechnet ein sehr „Flügel“-naher AfD-Bezirk warf einem sich „gemäßigt“ gebenden AfD-Kreis vor, dass er einen Kandidaten auf der Liste habe, der Kontakte ins rechtsextreme Milieu unterhalte. Christ scheiterte mit seinem Cancel-Wunsch – und handelte sich stattdessen selbst ein Ausschlussverfahren ein. (bnr.de berichtete)

Dass nun die Existenz jenes Dossiers über Schiller bekannt wird, lässt die Lage weiter eskalieren. „Gewisse Protagonisten unserer Partei“ würden „jetzt schon auf Stasi-Methoden zurückgreifen“, wettert Schiller und benennt auch Verantwortliche: „Die Fäden dieser Kampagne laufen im Bezirksverband Münster zusammen, soviel dürfte klar sein.“ Dessen stellvertretender Sprecher Helmut Birke sagt, er könne die Aufregung nicht verstehen, schließlich handele es sich bei der Zusammenstellung Medienberichten zufolge doch nur „um dokumentierte öffentliche (!) Entgleisungen. Also nichts Geheimes“. Ansonsten versucht sich Birke in Ironie: „Na, das muss man erst einmal schaffen, den Autoren eines solchen Papiers so viel Futter zu liefern.“ Bis 2017 war Birke selbst Kreisvorsitzender in Münster. An der Arbeit seines Nachfolgers lässt er kein gutes Haar: Es sei „eine Tragödie, was in den letzten drei Jahren aus dem Kreisverband geworden ist. Überall der Rückwärtsgang“.

„Von jeglicher Moral und Ethik freies Handeln“

Die bisher unbekannten Verfasser des Dossiers sind noch weniger zimperlich. Mangelnde intellektuelle Fähigkeiten, ein fehlendes strategisches Urteilsvermögen, persönliche Profilierungssucht sowie ein „rücksichtloses, skrupelloses, von jeglicher Moral und Ethik freies Handeln“ werfen sie Schiller vor. Der Kreischef und seine Anhänger hatten ihre Hoffnungen auf einen Bezirksparteitag Ende Oktober gesetzt, bei dem sie Christ, Birke & Co. abwählen lassen wollten. Doch der Termin ist – vermutlich Corona-bedingt – erst einmal abgesagt worden. Der Streit geht weiter.

Dabei hat Schiller trotz seines Wahldebakels den sich „gemäßigt“ gebenden Landesvorstand auf seiner Seite. Auch mit 2,2 Prozent lässt es sich zumindest mittelfristig überleben, wenn man auf der richtigen Seite steht. Doch wie auf Bundesebene, wo Teile der vorgeblich „Moderateren“ sich vor einer Spaltung der AfD als Folge von Jörg Meuthens Politik der innerparteilichen Konfrontation sorgen, so tun sich auch in Münster neue Brüche auf. Dort macht Richard Mol mittlerweile gegen Schiller und seine Anhänger mobil.

„Klare Kante statt Anbiederung“

„Das desaströse Abschneiden der AfD in Münster hat eine Hauptursache: Das fehlende Profil in Münster. Die ,Verbürgerlichung‘ der AfD“, sagt Mol. „Bis zur Unkenntlichkeit“ habe sie das eigene Profil preisgegeben. Die AfD habe ihre Wähler auch deshalb nicht mobilisieren können, weil sie nicht mehr als politische Kraft erkennbar sei. Dass diejenigen, deren Handschrift diese Niederlage trage, diesen Kurs immer noch fortsetzen würden, sei sehr bedenklich, „aber eben auch nicht anders zu erwarten gewesen“, meint Mol. Er forderte „klare Kante statt Anbiederung“. Die Mitglieder hätten „keine Lust sich für eine verwässerte AfD zu engagieren oder gar Wahlkampf zu machen“. Und die Wähler hätten dem „,bürgerlichen Kurs‘ in Münster eine klare Absage erteilt“.

Mol ist zwar derzeit nicht Mitglied der Partei, doch seine Einschätzung teilen viele AfDler im Münsterland. Er will zurück in die AfD, doch nun hat Schillers Kreisvorstand erwartungsgemäß etwas dagegen. Schiller kolportiere, so berichten die „Westfälischen Nachrichten“, Mol habe sich über seinen Listenplatz drei tief enttäuscht geäußert, den zunächst mitgetragenen Wahlkampf kritisiert und sich Anhängern des inzwischen angeblich aufgelösten völkisch-nationalen „Flügels“ zugewandt. Mol verwahrte sich gegen die „ausufernde Verleumdungskampagne“.

Rechter Rosenkrieg

Im Lokalblatt ist mittlerweile von einem „rechten Rosenkrieg“ die Rede. Und wie bei jedem richtigen Rosenkrieg sind auch Juristen involviert. Erst ließ Mol seine Rechtsanwältin eine Unterlassungserklärung an den Noch-Ratskollegen schicken: Schiller solle nicht mehr behaupten, Mol habe sich illegal eine Mitgliederliste beschafft. Dann legte er mit einer Strafanzeige wegen Verleumdung und wegen des Ausspähens von Daten nach: Schiller, der die Vorwürfe bestreitet, habe sein Mail-Konto „geknackt“ und auch seine privaten E-Mails „ausspioniert“.

Die, die im Osten zehnmal höhere Wahlergebnisse für die AfD einfahren, spotten über Münsteraner Verhältnisse. Die im Westen, die ihr Kommunalwahlergebnis wenn auch auf niedrigstem Niveau, so aber doch immerhin verdoppelt haben, blicken mehrheitlich recht ratlos auf die Turbulenzen im Norden von Nordrhein-Westfalen. Nicht zu übersehen ist freilich, dass dort der Grundkonflikt der Partei ausgetragen wird: der zwischen den von einer „Regierungsfähigkeit“ Träumenden wie Jörg Meuthen oder Martin Schiller auf der einen Seite und den „Systemoppositionellen“ wie Björn Höcke oder Steffen Christ auf der anderen Seite – und mittendrin die Gruppe derer, die letztlich entscheiden werden, wohin die Reise der AfD geht.

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