NRW-AfD: Die Lust an der gegenseitigen Beschädigung
Es schien, als seien in der nordrhein-westfälischen AfD friedlichere Zeiten angebrochen, nachdem sie vor einem Vierteljahr einen neuen Vorstand gewählt hatte. Doch das bleibt erst einmal eine Illusion. Mitte Januar findet der nächste Landesparteitag statt.
Viel hatten die Vorleute des „Flügels“ nicht zu lachen, seit sie Anfang Oktober ihrer Vorstandsämter verlustig gegangen waren. (bnr.de berichtete) Für AfD-Verhältnisse erstaunlich geräuschlos nahm die neue Landesspitze ganz ohne Höcke-Anhänger die Arbeit auf. Drei Monate ohne Streit, der an die Öffentlichkeit dringt, sind für die Partei im einwohnerstärksten Bundesland eine lange Zeit. Doch unter der Oberfläche und hinter verschlossenen Türen erlebt der alte Zoff zwischen völkischen Nationalisten und denen, die in einer im Ganzen radikalisierten Partei als „gemäßigt“ gehandelt werden wollen, seine Fortsetzung.
Rechtes Comeback in der Provinz
Der 22. Dezember in Bottrop: Die Anhänger des „Flügels“ können doch noch eigene Erfolge feiern. Beim Parteitag des Bezirksverbandes Münster setzen sie sich auf ganzer Linie durch. Vorsitzender bleibt Steffen Christ, über den der frühere Landeschef Helmut Seifen, ein „Gemäßigter“, einmal sagte: „Dieser Mensch hat als Funktionär hier in unserer Partei nichts zu suchen, aber er hat eigentlich in unserer Partei überhaupt nichts zu suchen.“ (bnr.de berichtete) Als neuen stellvertretenden Bezirksvorsitzenden wählen die Delegierten den Warendorfer Landtagsabgeordneten und ehemaligen Landesvize Christian Blex. Er ist der wichtigste Mann des „Flügels“ in Nordrhein-Westfalen.
Während Blex im Münsterland an seinem Comeback auf parteipolitischer Ebene arbeitet, versucht Ex-Landeschef Thomas Röckemann – auch er ein Höcke-Anhänger – sein Glück im benachbarten Bezirksverband. Der 3. November in Schloß Holte-Stukenbrock: Die ostwestfälische AfD hält ihren Bezirksparteitag ab. Der Mindener Rechtsanwalt Röckemann wird dabei ebenfalls zum Vize gewählt.
Zwei Bezirke in „Flügel“-Hand
Ihren Fraktionschef im Landtag, Markus Wagner, lassen die Mitglieder hingegen durchfallen. Er gilt als Röckemann-Gegner. Besonders empört die vorgeblich „Gemäßigten“ die Abfuhr für Landesvize Martin Schiller. Der habe kein Rederecht „für evtl versöhnende Worte“ erhalten, moniert einer von ihnen. In einem nichtöffentlichen Chat schließt er die Drohung an: „Diese Kampfansage unseres kleinsten, aber lautestem Bezirk sollte bei der Vergabe von Listenplätzen für Bund und Land besonders beachtet werden, Flügel versteht nur eine Sprache!“
Münsterland und Ostwestfalen sind nicht unbedingt das, was man Machtbastionen nennen könnte. Die beiden Regionen stellen die kleinsten der insgesamt fünf Bezirke, die zusammen den Landesverband Nordrhein-Westfalen bilden. Die drei großen AfD-Bezirke in Köln, Düsseldorf und Arnsberg sind und bleiben erst einmal fest in der Hand von „Gemäßigten“. Münsterland und Ostwestfalen sind aber geeignet, alten Streit wieder aufleben zu lassen und neuen Zoff in die Landespartei zu tragen.
Landesvize soll zurücktreten
Martin Schiller, der einst die Nähe zu Marcus Pretzell suchte, später als einer der Sprecher der „Alternativen Mitte“ in NRW aktiv wurde und mittlerweile zum stellvertretenden Landesvorsitzenden aufgestiegen ist, spielte dabei unfreiwillig und ungewollt auch in Bottrop eine besondere Rolle. Mit einer Dreiviertelmehrheit forderten ihn die Delegierten auf, „umgehend von seinen Ämtern als stellvertretender Sprecher des Landesverbandes NRW sowie als Kreissprecher des Kreisverbandes Münster zurückzutreten und sein Mandat im Rat der Stadt Münster niederzulegen, um die Partei vor weiteren Schäden in der Öffentlichkeit zu bewahren“.
Schiller hatte einen Strafbefehl wegen Körperverletzung erhalten, dagegen zunächst Einspruch eingelegt, diesen jedoch nach einer fast vierstündigen Gerichtsverhandlung Ende November wieder zurückgezogen. Man könnte die Rückzugsaufforderung als Hinweis verstehen, dass der Bezirksverband sich besonders um Lauter- und Sauberkeit der Partei sorgt. Aber etwas anderes dürfte die dort dominierenden „Flügel“-Leute geleitet haben. Tatsächlich deutet ein Passus in dem Antrag, den der Blex-Vertraute Dennis Dinter dem Parteitag vorlegte, darauf hin, dass es weniger um strafrechtliche Verfehlungen ging, sondern schlicht um den Machtkampf in der Partei: „Martin Schiller gehört zu den Unterzeichnern des ,Appells der 100' für eine bürgerliche AfD, in dem öffentlich Björn Höcke attackiert wurde. Dieser ,Appell' wurde vor den wichtigen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen lanciert und zum Schaden unserer Partei von der Presse genussvoll ausgeschlachtet.“
Parteitag in Marl
Die Lust an der gegenseitigen Beschädigung ist der NRW-AfD geblieben. Hinzugekommen ist beim „Flügel“ das Verlangen nach Revanche für die Schmach des letzten Landesparteitags. Das nächste Mal kommen die Delegierten aus den 54 Kreisverbänden am 18. Januar zusammen. Anders als bei sämtlichen Parteitagen seit Ende 2017 will sich die AfD diesmal nicht in der Peripherie, sondern wieder im Herzen des Landes versammeln: in Marl, im Norden des Ruhrgebiets.
Erneut geht es vor allem um Personalien. Zu wählen sind unter anderem die nordrhein-westfälischen Vertreter im Bundeskonvent. Er ist das höchste Gremium der AfD zwischen ihren Parteitagen. Weil die Mitgliederentwicklung hinter anderen Bundesländern zurückblieb, stellt NRW derzeit nur noch acht der 51 Mitglieder aus den Landesverbänden. Das besondere Problem der neuen Landesspitze: Zu den Konventstreffen werden (noch) auch „Flügel“-Anhänger aus NRW geschickt. Es gibt nicht wenige, die dem ein Ende machen wollen.
Zusätzliche Aufgaben für Schiedsgericht
Neu zusammengesetzt werden muss auch das Landesschiedsgericht. Auf die Parteirichter könnte zusätzliche Arbeit zukommen. Mit seiner „gemäßigten“ Mehrheit hatte der frühere Landesvorstand eine Reihe von Parteiordnungsverfahren in Gang gebracht, von denen der „Flügel“-dominierte Restvorstand jedoch viele wieder gestoppt haben soll. In diesen Fällen sind es die „Gemäßigten“, die auf Revanche drängen. Bekannt ist, dass sie einige der Drahtzieher des „Flügels“ am liebsten schnellstmöglich loswerden würde. Neue Ordnungsverfahren sind zu erwarten.
Betreffen dürften sie freilich nur „Flügel“-Exponenten aus der zweiten und dritten Reihe. Auf Bundesebene sind Leute wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz tabu, auf Landesebene Blex und Röckemann. Große Lücken würden in die Reihen der NRW-AfD gerissen, würde sie ernsthaft gegen die Vertreter der Partei-Rechtsaußen vorgehen. Der NRW-Verfassungsschutz schätzt die Zahl der „Flügel“-Anhänger in Nordrhein-Westfalen Medienberichten zufolge auf rund 800. Das ist jedoch eine sehr konservative Schätzung – immerhin stehen bei Landesparteitagen rund 40 Prozent der Delegierten hinter den Repräsentanten des völkisch-nationalistischen Lagers.
Waschen, ohne nass zu werden
Auch die AfD-Landtagsfraktion, die ohnehin in dieser Wahlperiode schon drei ihrer anfangs 16 Mitglieder verloren hat, würde ihren finanziell und personell höchst lukrativen Status in Gefahr bringen, wenn sich bei einem Rauswurf von Blex und Röckemann weitere Abgeordnete mit dem des „Flügel“-Duos solidarisieren würden.
Weniger problematisch erscheint es in dieser Situation, sich mit den Randfiguren des Rechtsaußen-Lagers zu beschäftigen. Wie es die Satzung verlangt, muss der Landesparteitag zum Beispiel die vom Landesvorstand ausgesprochene Amtsenthebung des AfD-Kreisvorstands in Herne bestätigen. (bnr.de berichtete) Eine Mehrheit dafür dürfte sich finden lassen. Die Kunst, sich zu waschen, ohne nass zu werden, ist in der AfD weit verbreitet.