NPD vor dem Sonnenblumenhaus
Ausgerechnet NPD-Kandidat Andrejewski verzerrt in einem Wahlkampfvideo die Geschichte des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. Galt er doch mit als einer der Einheizer der brandgefährlichen Stimmung von 1992.
Das Video der NPD ist eine unsägliche Provokation. Auch ein erneuter Versuch der Geschichtsklitterung. Ausgerechnet vor dem bevorstehenden Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen vom August 1992 – „als der Mob die Herrschaft übernahm“ („Der Spiegel“) – postieren sich die Spitzen der Neonazi-Partei vor dem elfstöckigen Plattenbau in der Mecklenburger Allee 18. Direkt vor dem so genannten Sonnenblumenhaus stehen sie und verkünden mit einer abgestimmten Wahlkampfinszenierung apologetisch neue „bürgerkriegsähnliche Zustände“. Die Todesangst vieler Menschen damals wird ignoriert. Opfer werden zu Schuldigen. Es wirkt, als wolle die NPD versuchen, die brandgefährliche Stimmung neu zu entfachen. Dabei hätten die Ausschreitungen 1992 fast zur Katastrophe geführt. Darüber wird natürlich geschwiegen, im neuen Propagandaclip für das Internet.
Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt ist aus Berlin angereist. Ins Mikrophon sagt er, er stehe an einem „historisch bedeutenden Ort“ an dem sich „der Protest einmal gezeigt“ habe. Doch auch heute sei „das Boot voll“, so Voigt, es würde reichen. Denn „Mecklenburg und Pommern“ sollen „deutsch bleiben“. In reißerischer Manier schließt sich der NPD-Fraktionsvorsitzende Pastörs an, wettert gegen die „korrupte Clique der etablierten Parteien“ und lobt den eigenen „lautstarken aber sachlich fundierten“ Kampf.
Einer der geistigen Brandstifter
Dann wird ein Redner angekündigt, der die wahren „Schuldigen von damals“ enttarnen soll: Es ist ausgerechnet Michael Andrejewski. Wohlweislich präsentiert die NPD ihn nur als „Zeitzeugen“. Als sei er gar nicht dabei gewesen. 1992 in Rostock-Lichtenhagen, als alles begann. Im Nachhinein betrachtet, sehen viele in dem heutigen NPD-Landtagsabgeordneten Andrejewski einen der geistigen Brandstifter für die Mobbildung. Im Vorfeld der Krawalle waren fast 100.000 Flugblätter mit der Überschrift „Widerstand gegen die Ausländerflut“ von einer Aktion „Rostock bleibt deutsch“ verteilt worden. Die Schreiben heizten ein. Die Aggressivität wuchs. Verantwortlich dafür zeichnete Michael Andrejewski.
An diesem 3. August haben sich einige jüngere Neonazis in einheitlichen Shirts mit der Aufschrift „Unsere Heimat unser Auftrag“ am Wahlkampfstand aufgebaut. Schnell stellt der Berliner Rechtsextremist Jörg Hähnel ein Foto mit dem Kommentar „An historisch bedeutsamem Ort...“ bei Facebook ein.
Tatsächlich inszeniert sich die Neonazi-Partei ungeniert direkt vor dem Ort, wo viele Menschen nur knapp mit dem Leben davon kamen. Im August 1992 befand sich im Sonnenblumenhaus die Zentrale Anlaufstelle des Landes für Asylbewerber. Das Gebäude war hoffnungslos überbelegt, viele Flüchtlinge krochen unter die Balkone im Erdgeschoss, hausten dort unter menschenunwürdigen Zuständen. In der Nachbarschaft regte sich kaum Mitleid. Im Gegenteil, es schwelte die Aggression.
Die Zeit des offenen Hasses
Die Katastrophe begann mit kleinen Schlägereien, dann flogen die ersten Steine. Brandsätze und Molotows folgten. Menschen schleppten „kanisterweise Benzin herbei“, wurde berichtet. Behörden und Polizeiführung zeigten sich hoffnungslos überfordert. Eine Panne jagte die nächste. Viele Neonazis auch aus anderen Bundesländern schlossen sich eilig dem Mob an. Es war die Zeit des offenen Hasses, vor den tödlichen Brandstiftungen von Mölln und Solingen.
Zeitweilig sollen 800 Polizisten mehr als 1200 Rechten und Sympathisanten gegenüber gestanden haben. Die Menschen im Sonnenblumenhaus lebten tagelang in Todesangst. Erst am dritten Tag wurden rund 200 Flüchtlinge in Sicherheit gebracht. Die Polizei rückte ab – zurück blieben 3000 aufgebrachte, aggressive Menschen. Sie feierten den Abzug, dann griffen einige das Nachbarhaus Nr. 19 an. Darin befanden sich zu dem Zeitpunkt etwa 150 Vietnamesen, überwiegend ehemalige DDR-Vertragsarbeiter, und 30 Deutsche. Erneut flogen Brandsätze. Radikale stürmten das Gebäude, Balkone und Wohnungen standen in Flammen. Die eingeschlossenen Menschen flüchteten völlig verängstigt auf das Dach des Hochhauses. Randalierer und Neonazis hinderten die Feuerwehr mit Steinwürfen an den Löscharbeiten. Es galt als ein Wunder, dass niemand getötet wurde. Den Horror von 1992 haben viele der Opfer und betroffenen Helfer bis heute nicht verwunden – das Datum jährt sich 2011 zum 19. Mal.
Demnächst „bürgerkriegsähnliche Zustände“
Jetzt liefert der studierte Jurist Andrejewski einen Videoauftritt, der sprachlos macht. „Die Menschen waren damals nicht gewohnt, von Ausländern insbesondere von kriminellen Ausländern überschwemmt zu werden“, beginnt der Anklamer NPD-Politiker in die Kamera zu sprechen und zeigt auf das Haus. Dann lobt der Rechtsextremist die „vernünftige Ausländerpolitik“ bis zur Wende. Denn „in der DDR“ hätten sich „Gastarbeiter an die Gesetze zu halten“, wenn nicht, „flogen sie achtkantig raus“. Er prangert das damalige „totale Staatsversagen“ an und verkündet, nicht „irgendwelche bösen Rechtsextremisten“ seien schuld gewesen. Dann zündelt er wieder: „Was in Lichtenhagen 1992 passiert ist“, das sei nur „ein schwacher Vorbote von dem, was noch folgen“ werde. Denn es würden zur Zeit „fremde Volksstämme importiert, darunter kriminelle Großclans ... alle schwer bewaffnet“ und die Verantwortlichen hätten demnächst mit „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ zu rechnen.
Während seiner aufstachelnden Reden lässt der 51-jährige aus Baden-Baden stammende Rechtsextremist alle Zurückhaltung und Schüchternheit fallen. Für die fürchterlichen Folgen von Rostock-Lichtenhagen will Michael Andrejewski aber nicht verantwortlich sein. Im „Deutschland Radio“ erklärte er 2007 zu seinem damaligen Flugblatt ausweichend: „Da wird kein Bezug genommen auf dieses Asylbewerberheim, es wird nur generell von Ausländern gesprochen, es wird zur Gründung einer Bürgerinitiative aufgerufen, es wird überhaupt nicht zur Gewalt aufgerufen.“
Ähnlich agiert die NPD heute, wenn sie einen verurteilten Angreifer von damals sogar im Landtag empfängt. Der musste sich als einer der Wenigen wegen Mordversuchs und Brandstiftung vor Gericht verantworten. Die NPD lud den heutigen Fanbeauftragten des SV Dynamo Schwerin ein – als „hilfesuchenden Bürger“.