NPD im Sturzflug?

Der NPD ist nach Sachsen jetzt auch die zweite Landtagsfraktion in Schwerin abhandengekommen. An der Basis verliert sie kommunale Mandate und Mitglieder. Für einen Abgesang auf die rechtsextreme Partei ist es aber entschieden zu früh.

Mittwoch, 14. September 2016
Tomas Sager

Frank Franz reagierte rasch. Kaum hatten die Wahllokale in Mecklenburg-Vorpommern geschlossen, notierte er auf seiner Facebook-Seite: Selbstverständlich sei das Ergebnis nicht zufriedenstellend. „Das Leben“, wusste Franz, „hält aber nicht nur Höhen, sondern immer wieder auch Tiefen für uns bereit.“ Angesichts des Wahldesasters ist für den NPD-Chef Durchhalten angesagt: „An diesen Tiefen wachsen wir. Und so werden wir auch jetzt unvermindert weitermachen – auch ohne Landtag. Weil wir Deutschland lieben!“

Als Franz dies schrieb, waren gerade die ersten Hochrechnungen auf dem Markt. Das ganze Ausmaß der Pleite offenbarte sich den NPD-Funktionären erst später am Abend. Nur noch für 3,0 Prozent hatte es gereicht, halb so viel wie 2011. Knapp 25 000 Wähler/innen entschieden sich für die NPD. 2011 waren es mehr als 40 000 Stimmen gewesen, 2006 gar fast 60 000.

Fraktion ade im Schweriner Schloss. Sie sorgte zehn Jahre lang für einen steten Geldfluss, zuletzt 1,3 Millionen Euro im Jahr. Zunächst sechs, in der zweiten Wahlperiode dann fünf Abgeordnete hatten zudem von den Diäten des verhassten Staates gut gelebt. Nachwuchskräften diente die Fraktion als Ausbildungsstätte; auch erfahrenere Funktionäre fanden dort eine Beschäftigung. „Bürgerbüros“ suggerierten so etwas wie Basisnähe. Das Fragerecht der Parlamentarier lieferte der Partei Munition für die eine oder andere Propagandakampagne. Nicht zuletzt schaffte die NPD dank der Fraktion ab und an den Sprung in die Schlagzeilen – und sei es, weil sich ihr Vormann Udo Pastörs im Plenarsaal wieder einmal einen Ordnungsruf eingefangen hatte. Auf all die Vorzüge des Parlamentsdaseins muss die Partei an der Küste nun verzichten.

Auflösungserscheinungen bis hinunter zur kommunalen Ebene

Der Wahltag im Nordosten war die dritte bittere Pleite in den letzten zwei Jahren. In Sachsen, wo die NPD erstmals 2004 der Einzug in den Landtag gelang, wurde sie Ende August 2014 bereits wieder abgewählt – wenn auch mit 4,95 Prozent denkbar knapp. Dort implodierte in der Folge der Landesverband. Der politisch ohnehin angeschlagene Landesvorsitzende Holger Szymanski musste wegen eines privaten Skandals gehen. Manche aus der jüngeren Riege, die sich bei den Jungen Nationaldemokraten gesammelt hatten und für die Fraktion arbeiteten, verschwanden nach dem Landtags-Aus und ohne weitere Aussicht auf vom Steuerzahler alimentierte Parteiarbeit von der politischen Bildfläche. Auflösungserscheinungen zeigten sich bis hinunter zur kommunalen Ebene. Etwa im Landkreis Bautzen, wie unlängst die „Sächsische Zeitung“ feststellte: Dort konnte die Partei im Mai 2014 noch elf Mandate in den Stadt- und Gemeinderäten sowie im Kreistag erringen. Zwei Jahre später sind ihr sieben Sitze schon wieder abhandengekommen.

Die Chronik des NPD-Schreckens fand in diesem Frühjahr in Sachsen-Anhalt ihre Fortsetzung. 4,6 Prozent hatte man dort 2011 geholt. Im März wollte man noch einmal zulegen und in den Magdeburger Landtag einziehen. Doch als die Stimmen ausgezählt waren, standen nur noch 1,9 Prozent zu Buche – und die Erkenntnis, dass im Schatten der AfD-Triumphe der NPD kaum Luft zum Atmen bleibt.

„Natürlich ungewollt“ komme der AfD „eine Eisbrecher- und Türöffner-Funktion für die viel weitergehende EU-Kritik der NPD zu“, hatte Franz erklärt, als sich die „Alternative für Deutschland“ im Frühjahr 2013 gründete. Die AfD werde „für uns Nationaldemokraten die Rolle des nützlichen Wegbereiters“ spielen. Es war eine grandiose Selbsttäuschung. Tatsächlich hat seine Partei nie ein Rezept gegen die AfD gefunden, die es ermöglicht, rechts zu wählen, ohne gleich mit dem braunen Schmuddelimage der NPD in Verbindung gebracht zu werden.

Im „Kampf um die Parlamente“ um Jahre zurückgeworfen

Keinesfalls dürsten die AfD-Wähler nach einer radikaleren Alternative zur angeblichen „Alternative für Deutschland“. Zumal im Osten freilich goutieren sie die Radikalisierung in der AfD – etwa wenn sich deren Sprecherin Frauke Petry um eine Rehabilitierung des Begriffs „völkisch“ müht, ihr Vorstandskollege André Poggenburg die „Volksgemeinschaft“ besingt oder der Thüringer Landeschef Björn Höcke Reden im Wochenschau-Sound hält.

Höcke kopiere ihn, klagte Udo Pastörs kürzlich in einem Interview mit dem NDR-Magazin Panorama. Er, Pastörs, werde für seine Äußerungen verurteilt – „und der fischt mit seinen Reden irgendwo am rechten Rand ab.“ Pastörs Klage war wohl teils der Versuch einer Polemik, sie war aber auch ein Zeichen der Ratlosigkeit, die in der NPD Platz greift.

Was den von ihr propagierten „Kampf um die Parlamente“ angeht, ist die NPD um Jahre zurückgeworfen. Zwar bleiben noch die – vom Verfassungsschutz geschätzt – rund 360 Kommunalvertreter und überregional allein der Ex-Parteivorsitzende Udo Voigt im Europaparlament. Ein Ersatz für Landtagsabgeordnete kann das freilich nicht sein. Zum einen, weil – nicht nur in Bautzen – die kommunale Basis bröckelt und längst nicht jeder Stadtrat oder Kreistagsabgeordnete für Gremienarbeit taugt. Zum anderen, weil es so wirkt, als würden Voigt und sein Mitarbeiterstab allzu oft eine Agenda verfolgen, die nicht die der Parteispitze ist.

Wo sind personelle Alternativen?

Anfang der 2000er Jahre gewann die NPD neue Stärke, weil es ihr gelang, Neonazis aus dem Kameradschaftsmilieu für sich zu gewinnen. Heute steht diese Option nicht mehr offen. Im Gegenteil. Gerade eben warf Thomas Wulff, bekanntester Neuzugang in jenen Jahren und zum Landesvorsitzenden in Hamburg aufgestiegen, die Brocken hin. „Diese Partei ist von innen heraus verfault! Diese Partei hat jede Glaubwürdigkeit verloren!“, schrieb er zum Abschied. Wenn heutzutage „parteifreie“ Neonazis überhaupt noch den Anschluss an eine Partei suchen, stehen die aktionistischer und radikaler agierenden Alternativen von „Die Rechte“ und dem „III. Weg“ bereit. Zur NPD zieht es kaum einen.

Zwischen der AfD auf der einen Seite und den beiden Neonazi-Kleinparteien auf der anderen Seite droht die NPD mit ihrer desillusionierten Mitgliederbasis zerrieben zu werden. Überraschen würde es nicht, wenn recht bald der blasse und erfolglose Vorsitzende Franz massiv in die Kritik geriete. Doch wo sind personelle Alternativen? Zurück nach gestern? Ex-Parteichef Voigt lässt aus dem Hintergrund schon einmal wissen, er werde die NPD nicht untergehen lassen.

Und als zweiter NPD-„Prominenter“ meldete sich Peter Marx zu Wort, Ex-Generalsekretär, Landeschef an der Saar und Franz' Gegenkandidat bei der Wahl des NPD-Chefs vor zwei Jahren. Dessen Namen nennt er zwar nicht, doch die Kritik zielt auf Frank Franz, wenn Marx schreibt: „Auch und insbesondere die Parteiführung“ müsse sich angesichts der Schweriner Pleite „selbstkritisch hinterfragen“. Marx unterstellt Franz, nicht so sehr an der Bundestagswahl 2017 interessiert zu sein, sondern erst an der Wahl vier Jahre später. Marx: „Bis dahin wird sich aber die NPD erledigt haben, wenn so weiter gewurstelt wird wie derzeit.“ Überraschen würde es nicht, wenn er bei der Neuwahl des Vorsitzenden im kommenden Frühjahr erneut gegen Franz in den Ring steigen würde.

Chancen für die NPD beim Verbotsverfahren durch die Wahlschlappe eher gestiegen

Für einen Abgesang auf die NPD ist es – unabhängig von allen Scharmützeln um die Parteispitze – tatsächlich aber entschieden zu früh. Auch nachdem die NPD Anfang der 70er Jahre aus sieben westdeutschen Landtagen geflogen war, erlebte sie eine lange Dürreperiode. Zwischen 1972 und 2002 stand sie bei knapp der Hälfte der Landtagswahlen nicht einmal auf den Stimmzetteln. Bei Bundestagswahlen kam sie in dieser Zeit nie über 0,6 Prozent hinaus. Sogar das komplette Aus drohte. Doch die Partei überlebte.

Gut möglich, dass der NPD nun ähnlich öde Jahre erneut bevorstehen. Schon wird diskutiert, ob es überhaupt Sinn macht, bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr mitmischen zu wollen. Markus Walter, Landeschef in Rheinland-Pfalz meint, dass für die NPD derzeit gegen die AfD „kaum ein Blumentopf zu gewinnen sein wird“. Walter: „Die möglichen Erfolge, die zur Verfügung stehenden Mittel und auch die Folgen eines möglichen 0,1 %-Ergebnisses, aber auch die möglichen Folgen eines etwaigen Nichtantrittes sollten analysiert und abgewogen werden, bevor die Entscheidung getroffen wird.“ Er selbst bevorzugt einen Verzicht auf die Kandidatur. Er glaube, „dass es sinnvoller ist, Kräfte zu sammeln und Strukturen zu stärken, um dann, wenn unsere Zeit gekommen ist, umso vereinter und stärker kämpfen zu können“.

Ob es die Partei freilich dann, wenn Walter ihre Zeit für gekommen hält, überhaupt noch geben wird, ist angesichts des laufenden Verbotsverfahrens nach wie vor offen. Dabei sind die Chancen der NPD paradoxerweise durch die Wahlschlappe im Nordosten eher gestiegen. Ein Kriterium, das über Verbot oder Nichtverbot entscheidet, wird sein, wie groß die Gefahr ist, die die NPD für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt. Und die schrumpft mit jeder Wahlpleite. Ein Erfolg der NPD vor Gericht: Er wäre nicht ein Zeichen ihrer Stärke, sondern ihrer Schwäche.

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