NPD-dominierte MVgida

In Schwerin und in Stralsund haben mehrere hundert Personen an den gruseligen Aufmärschen teilgenommen – darunter zahlreiche bekannte Köpfe der braunen Szene.

Dienstag, 13. Januar 2015
Andrea Röpke

„Je suis Charlie“ stand nicht auf ihren Schildern. Die etwa 400 MVgida-Teilnehmer, die sich am Montagabend an der Schweriner Siegessäule versammelten, solidarisierten sich keinesfalls mit den Pariser Terroropfern und dem damit verbundenen Angriff auf die Pressefreiheit: „Lügenpresse – auf die Fresse“ skandierten sie stattdessen lauthals. Mit Strahlern blendeten sie Kameras, Journalisten wurde sich in den Weg gestellt, auch schon mal  kräftig geschubst. Die Redner bei den Zwischenkundgebungen wurden abgeschirmt, so dass sie kaum fotografiert werden konnten. Die Stimmung war aggressiv. Der Platz vor dem Schweriner Schloss lag gegen 18.30 Uhr völlig im Dunkeln. In einem oberen Stockwerk der Residenz war jedoch ein Flur hell erleuchtet. Anscheinend hatte die NPD-Landtagsfraktion aufmüpfig das Licht angelassen.

Ganz offensichtlich wurde die Veranstaltung von NPD und freien Kräften dominiert. Zur Strategie schien es aber zu gehören, NPD-Logos zu vermeiden sowie später im Internet nicht unter dem Namen NPD oder mit bekannten Namen über den Aufzug zu berichten. Bisher kein Wort zur MVgida-Teilnahme auf dem ansonsten so mitteilsamen neonazistischen „Mupinfo“-Portal. Es gab sicherlich einige Absprachen, wie der „Spaziergang“ im Norden trotz Manipulation durch die braunen Profis unauffällig am Erfolg der Pegida-Märsche andocken könnte.

Hamburger NPD-Chef Wulff stellt Auftritt ins Netz

NPD-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grewe führte die Demonstration durch die Schweriner Altstadtgassen zeitweilig sogar an, sein Kollege Torgej Klingebiel folgte. NPD-Landeschef Stefan Köster gab Interviews und der Schweriner Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs im teuren Wintermantel führte seine Ehefrau durch die dunkle Menge. Er wirkte sehr angeschlagen, lächelte wirr. Außenseiter Thomas Wulff inszenierte sein Erscheinen, gern ließ er sich fotografieren und stellte als einer der wenigen später seinen Auftritt ins Internet. Auf dem Facebook-Account von „Steiner Wulff“ heißt es zudem: „Ich bin doch nicht Charlie“, und: „In Frankreich wurden Typen getötet, die mit schnoddrig-anarchischer Respektlosigkeit, Oberflächlichkeit und ehrlosen Provokationen eine Haltung gegenüber allem und jedem an den Tag legten, die nur einer krankhaften abgehobenen Journaillensekte eigen ist.“

Einträchtig marschierte der Hamburger NPD-Chef Wulff neben dem ehemaligen „Blood&Honour“-Anführer Torben Klebe aus der Hansestadt. Der NPD-Abgeordnete Tino Müller erschien mit Delegation in Schwerin, ansonsten bevorzugt diese Szene eher Events in Vorpommern. Sie hielten das Transparent der Neonazi-Tarninitiative „Schöner und sicherer Wohnen“ mit der Parole: „Wir lassen uns nicht länger belügen! Heimat und Identität bewahren – Asylbetrug stoppen“.

Einige ältere Herren und ein paar Familien gesellten sich zu den MVgida-Anhängern, standen aber am Rand herum. Ein Mann mit Glatze und Vollbart zeigte seinen nackten Hintern in Richtung Medienvertreter. Jugendliche reckten die Fäuste.  Fackeln wurden entzündet. Hooligans grölten herum und tranken Alkohol aus Schnapsgläsern, die sie später in den Blumenkübeln der Altstadt entsorgten. Keine 50 Meter entfernt hatte sich die Gegendemonstration mit über 800 Teilnehmern positioniert. Antifaschistische Transparente  säumten die Straße. Auf der Bühne sprachen diverse Redner.

Bekenntnis zu „Blood&Honour“ als Tattoo

Die extremen Rechten fühlten sich provoziert. Immer wieder preschten einige nach vorne. Unter ihnen ein „Hansa Rostock“-Fan, der sich eine Deutschland-Fahne um den Körper geschlungen hatte. Sven Krüger aus Jamel schwenkte nicht die NPD-, sondern die Landesflagge. Die Polizei schien wie bei der „Hooligans gegen Salafisten“-Demonstration in Köln zunächst auf Deeskalation zu setzen und ließ sie gewähren. Betrunkene Hools und Kameradschaftsaktivisten aus Güstrow drohten den Gegendemonstranten mit Parolen, in denen das Wort „Arbeitslager“ vorkam. Böller knallten.

Mit dabei war ebenso der Rostocker „Blood&Honour“-Fan Benjamin Köpcke. Der „Brigade 8“-Mann trägt sein Bekenntnis zur verbotenen Organisation als Tattoo am Arm. Auch Enrico Pallaschek, ein bekannter rechter Hooligan des „SG Dynamo Schwerin“, 2002 wegen der Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen verurteilt, gesellte sich zu den mutmaßlichen „Rettern des Abendlandes“. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) war allerdings nicht sichtbar vertreten, obwohl sie in Mecklenburg-Vorpommern nicht allerorts Probleme mit der NPD hat und den „Schweriner Weg“ hinsichtlich deren Ablehnung nicht mitträgt. AfD-Landessprecher Leif-Erik Holm hatte zuvor gegenüber der „Schweriner Volkszeitung“ erklärt: „Wenn die Politiker der NPD mitmarschieren, gehen wir auf Distanz.“

„Islamist – Not welcome“ stand auf Transparenten, mit denen der Aufzug schließlich durch die Stadt zog. Die Anführer wichen den Gegendemonstranten aus, die sich auf dem Weg zum Schweriner Pfaffenteich in den Weg gestellt hatten. Die bürgerlich aussehenden MVgida-Anhänger in der ersten Reihe bekamen zuvor durch den Lautsprecher den militärisch anmutenden Befehl: „Das Fronttransparent geht voran!“

Große Lücken in der Sicherheitskette

Dann riefen alle gemeinsam: „Wir wollen keine Salafistenschweine!“ Nur wenige Polizisten, teilweise waren es gerade mal etwas über ein Dutzend, schützten die Medienvertreter, deren Arbeit unter diesen Bedingungen schwierig wurden. Außer dem NDR und Vertreter der wichtigen Lokalzeitungen folgten nur Fachjournalisten und wenige Beobachter dem gruseligen Aufzug. Vor allem blieben aber auch kleine Grüppchen von Gegendemonstranten relativ ungeschützt, die sich in der Fußgängerzone am Rande formiert hatten und mit kleinen Pappzetteln oder Trillerpfeifen ihren Unmut kundtaten. Die überwiegend sehr jungen Beamten rannten hin und her, so groß waren die Lücken in der Sicherheitskette, riefen sich Befehle zu und beruhigten einander. Später räumte jemand aus der Einsatzleitung gegenüber einem Journalisten ein, dass es tatsächlich  zeitweilig zu wenig Beamte gewesen seien. Die „Landesweite Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt“ (Lobbi e.V.) spricht in ihrer Pressemitteilung von einer „offensichtlich falschen Einschätzung hinsichtlich des Aggressionspotenzials“ der Rechten.

Auf zwei kurzen und abgeschirmten Zwischenkundgebungen von MVgida wurde betont, dass niemand etwas „gegen Kriegsflüchtlinge habe, die vorübergehend hier unterkommen“, es habe auch niemand etwas „gegen qualifizierte Fachkräfte“. Dann wurde prophezeit, dass es nicht mehr lange dauere, bis auch in „unserem Land“ „durchgeknallte Extremisten mit Sturmgewehren Jagd auf die Meinungsfreiheit machen“ – diese Ansage klang sehr doppeldeutig. Später war dann die angeblich „scheinheilige Multikulti-Propaganda“ Thema für die erneute Stimmungsmache.  Immer wieder hielten auch rechte Ordner die eigenen Leute zurück. Hätten mehr gewaltbereite Hooligans teilgenommen, wäre eine Eskalation auch gegen Beamte wohl unvermeidbar gewesen.

Kameradschaftsaktivisten und ehemalige HDJler

Nach der Rückkehr vor das Schloss löste sich der Aufzug augenblicklich auf, Neonazis strömten in alle Richtungen. Die Situation schien nicht ungefährlich für alle Beteiligten, die sich auf den Heimweg machten. Nur wenig später echauffierte sich ein User bei Facebook, der vorgab, in Schwerin beteiligt gewesen zu sein: „Wenn wir nächstes Mal dieses unpassende  Banner mit der Aufschrift: ‘Bürger dieser Stadt haben Asylanten satt‘ wieder zeigen oder Hitlergrüße wieder gezeigt werden, dann repräsentiert dies nicht das Pegida- Positionspapier und auch nicht meine Meinung. So kann ich bei MVgida nicht mehr mit demonstrieren.“ Da waren wohl doch einige Mitläufer der Neonazi-Demonstration überrascht?

Immerhin waren bekannte Köpfe der braunen Szene als „Ordner“ aufgetreten. Anhänger des „MC Schwarze Schar“ ließen sich blicken. Kleine Grüppchen von Rockern, Türstehern und einige Hooligans von Dynamo und Hansa. Ehemalige Mitglieder der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) wie Ragnar Dam und Alf Börm waren dabei ebenso wie  Aktivisten der Jungen Nationaldemokraten, Angehörige der Kameradschaften „Germanisches Bollwerk“, „Weisse Wölfe Terrorcrew“ und anderer Gruppen. Ronny Schröter aus Teterow war unschwer an seinem Gesichtstattoo zu erkennen.  Ähnlich auffällig der ehemalige Chemnitzer Ingolf Wecke, der seit Jahren in Anklam lebt und mit den Brüdern Eminger aus dem Erzgebirge befreundet sein soll. André Eminger muss sich im Münchner NSU-Prozess vor Gericht verantworten.

HoGeSa-Parole: „Gemeinsam sind wir stark“

Ein Großteil der Neonazi-Szene aus Ostvorpommern war dagegen zu MVgida nach Stralsund gereist. Dort taten sich Augenzeugenberichten zufolge besonders die Kameradschaftsbund-Anhänger Alexander Wendt und Enrico Hamisch aus Anklam hervor. Ihnen folgten „besorgte“ Bürger und sympathisierende Jugendliche. Michael Andrejewski, NPD-Abgeordneter und unheilvoller Stimmungsmacher vor dem Pogrom Anfang der 1990er Jahre in Rostock-Lichtenhagen war ebenso vor Ort wie Marko Müller, ein Aktivist aus Ueckermünde.

Den etwa 300 rechten Marschierern stellten sich in der kleinen Hansestadt rund 400 Gegendemonstranten entgegen. Nach einer Kundgebung auf dem Neuen Markt hatten sie eine Menschenkette gebildet. Auch hier sollen dem Vernehmen nach zu wenig Polizeibeamte im Einsatz gewesen sein, um ausreichend Schutz zu gewährleisten. Aufgrund der Unterbesetzung kam es zu leichten Tumulten. Es sei „ein Wunder“, dass nicht mehr passiert ist, berichten Beobachter. Es gab Blockaden, die Neonazis konnten sehr nah heranrücken. Im Bereich des Kreisverkehrs Werftkreuzung wurde mindestens ein Gegendemonstrant geschlagen und leicht verletzt.

Auch in Stralsund herrscht bei der MVgida eine äußerst aggressive Stimmung. Dort wird die Parole der HoGeSa-Bewegung „Gemeinsam sind wir stark“ mit benutzt. Was diese Parole bedeuten kann, haben die Ausschreitungen in Köln Ende Oktober ja ausreichend bewiesen.

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