Rezension
Nicht nur in der AfD-Außenpolitik: „Großraum“ und „Interventionsverbot“
Gelegentlich plädiert auch Björn Höcke für ein „Interventionsverbot raumfremder Mächte“. Der „Großraum“-Gedanke stammt von Carl Schmitt, dem politischen „Klassiker“ der Neuen Rechten. Auch in China und Russland findet er Verehrer.

Als der bedeutendste politische Klassiker der Neuen Rechten gilt Carl Schmitt. Mit seiner Auffassung von identitärer Demokratie wollte er die pluralistische Demokratie delegitimieren, woraus sich als politische Alternative eine zumindest autoritäre Diktatur mit pseudodemokratischer Legitimation ergab. Aufgrund seines staatsrechtlichen Engagements zwischen 1933 und 1936 spricht man auch vom „Kronjuristen des Nationalsozialismus“, hatte er doch die Entwicklung von der Republik hin zum Totalitarismus entsprechend maßgeblich unterstützt. In der Folge von internen Konflikten gingen aber all seine Parteiämter für Schmitt verloren, er blieb gleichwohl Juraprofessor und Staatsrat.
Fortan konzentrierte Schmitt sich aber auf das Völkerrecht, wobei insbesondere seine „Großraumtheorie“ mit dem „Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ von 1941 wirkmächtig wurde. Heute beziehen sich AfD-Politiker und die Neue Rechte auf sie, aber auch China und Russland. Denn damit lässt sich einseitige politische Dominanz in Machträumen legitimieren und universalistische Kritik der Menschenrechte verwerfen.
„Großraum“-Theorie von Carl Schmitt
Die inhaltliche Argumentation von Schmitt orientierte sich an folgenden Vorstellungen: die Epoche der Staatlichkeit ende, es entstünden Großräume mit dominanten Staaten, Interventionsverbote setzten ihre Koexistenz voraus. Dabei wurde auf die Monore-Doktrin in den USA verwiesen, wonach sich etwa in Lateinamerika keine andere Macht mehr einmischen sollte. Eine derartige Auffassung bestand bereits in den 1920er Jahren bei Schmitt, er übertrug sie dann Anfang der 1940er Jahre auf die damalige europäische Situation. Demnach dominierte das nationalsozialistische Deutschland den europäischen Kontinent, raumfremde Mächte wie etwa die USA hätten sich ebendort nicht einzumischen.
Der für die NS-Herrschaft daraus erwachsende Nutzen versteht sich nahezu von selbst, deckte er sich doch mit frühen Auffassungen von Hitler ebenfalls aus den 1920er Jahren. Darauf macht ein schmaler Band „Die Rückkehr des Großraums?“ von Brendan Simms aufmerksam. Der bekannte Cambridger Historiker lehrt als Professor und veröffentlichte insbesondere zur europäischen Geschichte auch viele Monographien in deutscher Sprache.
„Großraum“-Konzepte in heutigen autoritären Systemen
Kenntnisreich geht er der ideengeschichtlichen Entwicklung des „Großraum“-Konzepts nach, welches schon früh eine antiuniversalistische Prägung bei Schmitt gehabt habe. Der Autor betont auch antisemitische Hintergründe, lassen sich doch entsprechende Ressentiments in den wichtigen Veröffentlichungen feststellen. Überhaupt passte der in der Forschung immer wieder als Opportunist geltende Schmitt häufig seine Vorstellungen an. Viele Gemeinsamkeiten mit Hitler werden dabei von Simms betont. Berechtigt macht er aber auch auf die jeweiligen Eigenständigkeiten aufmerksam, gehe es doch nicht um ein kausales, sondern paralleles Verhältnis.
Nach dem Beginn des Kalten Krieges ab 1947 nahm Schmitt erneut Veränderungen vor, damit seine Auffassungen zum neuen Zeitgeist passten. Die Geschichte des „Großraum“-Denkens endete dann aber noch nicht, wie bezogen auf China und Russland von Simms dargelegt wird. Die politische Elite in beiden Ländern griffen derartige Vorstellungen auf, passen sie doch ideal zu deren außenpolitischen Interessen und insbesondere zur Kritikimmunisierung ihrer Positionen.
„Interventionsverbot“ und alleinige Souveränität
Der schmale Band von knapp 60 Seiten geht auf einen Vortrag zurück. Gehalten hatte ihn der Autor bei der Carl Schmitt-Gesellschaft, die nicht unbedingt für eine kritische Einstellung gegenüber dem genannten Staatsrechtler bekannt ist. Dort sei man womöglich froh, dass die moralische Einschätzung seines Engagements im Nationalsozialismus kein Thema wäre, heißt es im Vorwort. Ob der Autor sich auch ansonsten mit kritischen Anmerkungen dazu zurückgehalten hat, lässt sich mangels eines konkreten Wissens dazu nicht sagen. Er konzentrierte sich auf eine beschreibende Darstellung, verschweigt dabei aber nicht die mit dem „Großraum“-Gedanken einhergehende Kompatibilität mit der NS-Herrschaft.
Deutlich betont wird auch der Gesichtspunkt des „Interventionsverbots“, das die alleinige Souveränität dem jeweils mächtigen Staat zugesteht. Allein die ideelle Forderung nach Menschenrechten würde so als Universalismus negiert. Auch diese Einsicht erklärt, warum autoritäre Regime von so etwas begeistert sind. Damit werden die mit dem „Großraum“-Denken einhergehenden politischen Implikationen deutlich, auch bei innenpolitischen Verehrern.
Brendan Simms, Die Rückkehr des Großraums? (Carl Schmitt-Vorlesungen, Band 6), Berlin 2023 (Dunckler & Humblot), 65 Seiten