Neurechte „Winterakademie“ in der ostdeutschen Provinz
Bereits im Vorfeld hatte die Veranstaltung des Instituts für Staatspolitik für Aufregung gesorgt, denn ein Politikwissenschaftler aus Dresden und ein ehemaliger Stasibeauftragter des Landes Sachsen waren als Referenten angekündigt worden. Sie erschienen tatsächlich.
Extreme Rechte im sachsen-anhaltinischen Schnellroda mögen es diskret. Die meisten der Fahrzeuge, die am vergangenen Wochenende die Straße um das Tagungslokal „Zum Schäfchen“ säumten, waren mit dem Aufkleber „Sichere Grenzen“ von „Ein Prozent.de“ verdeckt worden. Viele junge Männer und einige wenige Frauen standen in der Mittagspause draußen, darunter Anhänger der „Identitären Bewegung“ aus Schwaben, Schleswig-Holstein oder Zwickau und Dresden. Einige Gäste tarnten sogar ihr Gesicht mit Mützen und Schals.
Der aus Österreich zugewanderte Jörg Dittus, der dort zur aggressiv auftretenden „Identitären Bewegung“ zählte, kümmerte sich draußen mit um die Gäste, die unter anderem aus den Reihen der „Alternative für Deutschland, deren Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) und den „Identitären“ stammten. 2017 noch hatte der ebenfalls anwesende JA-Aktivist Jean-Pascal Hohm in einer TV-Dokumentation des WDR erklärt: „Mit der Identitären Bewegung gibt es keinerlei Kooperationen, es gibt eine klare Grenze zwischen der Jungen Alternative und der AfD und der Identitären Bewegung.“
Kapitalismuskritik auf dem Programm
Es wurde viel gelacht vor dem „Schäfchen“ in Schnellroda im Saalekreis. Immer wieder stellten sich Teilnehmer zu Fotos auf. Eine jüngere Tochter von Gastgeber Götz Kubitschek und seiner Ehefrau Ellen Kositza erhielt von einem Kameraden eine Einweisung ins Fotografieren, der Sohn stand mit den anderen an der Straße, schaute zu den Gegendemonstranten hinüber. Zwei ältere Töchter des Paares sind bereits länger für die „Identitäre Bewegung“ aktiv. Zu Beginn der Pause eilten Kubitschek und seine Frau mit dem Bus zu ihrem Anwesen, wo der Bücherverkauf stattzufinden schien. Dahin pilgerten zwischenzeitlich viele der Gäste.
Das Institut für Staatspolitik (IfS) tagte in diesem Winter zum Thema „Wirtschaft: Hegung und Entgrenzung“. Bereits am Freitag kam es laut dem neurechten Magazin „Arcadi“ zu „angeregten Diskussionen“ , Kapitalismuskritik stand auf dem Programm. Das Thema Wirtschaft , so heißt es bei „Arcadi“, führe unter Rechten „so gut wie immer" zu „Reibereien“ . Vertreter des wirtschaftsliberalen Spektrums schienen in Schnellroda allerdings weniger vertreten, sie sammeln sich vornehmlich um die Zeitschrift „eigentümlich frei“ . Erik Lehnert, langjähriger Leiter des Instituts für Staatspolitik, hatte die Winterakademie am Vortag eröffnet. Der Stiefsohn des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro arbeitet seit kurzem für den nordrhein-westfälischen AfD-Bundestagsabgeordneten Harald Weyel. In der Mittagspause zog er sich gelb-schwarze Sportkleidung an, um mit anderen Rechten zum Geländelauf durch den Saalekreis unweit von Halle zu starten.
Gäste aus der Richtung des Rittergutes
Am Vormittag referierte bereits Felix Menzel, Betreiber des Portals „Blaue Narzisse“ über „Nachbarschaftliches Wirtschaften“. Einer der Höhepunkte der neurechten Winterakademie sollte der Auftritt des bekannten Ökoaktivisten der DDR und späteren sächsischen Stasibeauftragten Michael Beleites aus Dresden darstellen. Der Titel seines Vortrags: „Ist der Wettbewerb ein Naturgesetz? Biologische Alternativen zum Darwinismus.“ Gut gelaunt begleitete Götz Kubitschek seinen Gast Beleites nach der Mittagspause vom ehemaligen Rittergut kommend durch den kleinen Ort Schnellroda. Im gelbgestrichenen Lokal „Zum Schäfchen“ hatte das Nachmittagsprogramm der „18. Winterakademie“ von Kubitscheks Institut für Staatspolitik bereits begonnen. Die beiden schienen es trotzdem nicht eilig zu haben.
Als Kubitschek zwei Damen vom Ordnungsamt des Saalekreises entdeckte, die vor der Bushaltestelle des Ortes in ihrem Auto saßen, ließ er Beleites kurzerhand stehen, um diese zu begrüßen. Nur wenige Minuten, nachdem Kubitschek und Beleites ins Veranstaltungslokal verschwanden, eilten erneut zwei Männer aus der Richtung des Ritterguts heran. Sie redeten nicht viel. Der ältere mit dem grauen Bart und dem Mantel trug eine Reisetasche: Es handelte sich um den Politikwissenschaftler Lothar Fritze vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, einem konservativen Institut an der TU Dresden. Fritze wurde begleitet von einem jungen Rechten mit Türsteherstatur, der immer wieder versuchte, sein Gesicht vor den Kameras zu verbergen. Der Dresdner Wissenschaftler hingegen schaute kurz lächelnd in die Kameras. Sein Auftritt in Schnellroda ging bereits im Vorfeld sehr kritisch durch die Medien. Das Hannah-Arendt Institut ließ in einem Statement verlauten, Fritze sei nicht „im dienstlichen Auftrag“ dort. Bereits 2016 hatte Fritze dem neurechten Blatt „Sezession“, das vom IfS herausgegen wird, ein Interview gegeben.
„Identitäre“ und AfDler im Veranstaltungssaal
Unter den Gästen, die sich dann im dunklen Saal des Schnellrodaer Gasthofs der Veranstaltung widmeten, befanden sich die „Sezession“-Autoren Johannes Poensgen, Lutz Meyer oder Caroline Sommerfeld sowie Jan Moldenhauer, AfD-Fraktionsmitarbeiter im Landtag von Sachsen-Anhalt, ein AfDler aus Nordhausen und Christian von Hoffmeister, der für die AfD in der Berliner Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg sitzt. Zudem waren „Identitäre“ aus Zwickau, Schleswig-Holstein, Schwaben und Sachsen, hier insbesondere aus Dresden angereist. „Kontrakultur Halle“ war durch Mario Müller vertreten. Simon Kaupert, der für die extrem rechte Vernetzungsorganisation „Ein Prozent für unser Land“ an flüchtlingsfeindlichen Aktionen im Mittelmeer („Defend Europe“) teilgenommen hatte, kam verspätet. Er ging sodann erbost zur Polizei, um sich über das Anfertigen von Fotografien zu beschweren. Die vor dem Lokal anwesenden Polizisten agierten besonnen. Wütend und schnellen Schrittes eilte Kaupert dann zur Veranstaltung.
Auf Nachfrage erklärte ein Polizeisprecher, dass das Überkleben der abgeparkten Fahrzeuge eine Ordnungswidrigkeit darstelle. Eine Frau aus den Reihen der Rechten hatte sich mit unkenntlich gemachten Fahrzeugkennzeichen an ihrem schwarzen Bus in den Straßenverkehr begeben. Ein Richter prüfe die Vorkommnisse, hieß es vonseiten der Beamten.