Anschlagsserie

Neukölln-Komplex vor Gericht

Am Montag begann vor dem Schöffengericht des Berliner Amtsgerichts der Prozess gegen drei Männer aus der rechten Szene. Es steht auch der Vorwurf eines Tötungsdelikts im Raum.

Dienstag, 30. August 2022
Peter Nowak
Ferat Koçak, Redner der Kundgebung vor wenigen Wochen, wurde kurzfristig als Nebenkläger zugelassen, Foto: Katia Vásquez Pacheco
Ferat Koçak, Redner der Kundgebung vor wenigen Wochen, wurde kurzfristig als Nebenkläger zugelassen, Foto: Katia Vásquez Pacheco

Mehr als 70 Straftaten mit rechten Hintergrund zählten die Ermittlungsbehörden im Berliner Bezirk Neukölln. Darunter sind 23 Brandanschläge vorwiegend auf Autos von Bewohner*innen, die sich gegen Rechte im Bezirk engagierten. Die beiden Hauptangeklagten in dem Verfahren Tilo P. und Sebastian T. haben eine lange rechte Karriere hinter sich.

Tilo P. war 2017 Mitglied im Kreisverband der Neuköllner AfD. Sebastian T. begann seine rechte Laufbahn bei der Neonazi-Gruppierung „Nationaler Widerstand Berlin“, war 2016 Kreisvorsitzender der Neuköllner NPD, aus der er 2018 austrat. Seit 2020 beteiligte er sich an Propagandaaktionen der rechten Kleinstpartei Dritter Weg im Stadtteil.

Weitere Fälle abgetrennt

Seit Jahren werden die jetzt Angeklagten mit der rechten Anschlagsserie in Verbindung gebracht. Allerdings kamen die Ermittlungen lange nicht vom Fleck. Deshalb forderten zivilgesellschaftliche Gruppen auch schon länger, dass sich die Männer vor Gericht verantworten müssen. Beiden Hauptangeklagten wird Brandstiftung, Sachbeschädigung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Sebastian T. muss sich zudem wegen Betrug bei den Corona-Hilfen und wegen Sozialbetrug verantworten, weil er als staatliche Gelder für eine Wohnung bezogen haben soll, in der er nicht mehr lebte.

Mitangeklagt ist auch Samuel B., der sich von dem rechten Szeneanwalt Wolfram Nahrath verteidigen lässt. Mit der Begründung, seinen Mandanten würde nur Sachbeschädigungen vorgeworfen, drängte er auf einen Deal mit Gericht und die Einstellung des Verfahrens. Das Gericht signalisierte Verhandlungsbereitschaft. Ein weiterer Angeklagter war nicht erschienen. Das Verfahren gegen einen fünften Mann wurde vom Gericht abgetrennt.

Streit um die Nebenklage von Anschlagsopfer

Die Angeklagten machten zur Prozesseröffnung Angaben zur Person, äußerten sich aber sonst nicht. Mirko Röder, Anwalt von Tilo P. erklärte, sein Mandant sei unschuldig und habe die ihm vorgeworfenen Taten nicht begangen. Die Verteidigung von Sebastian T., Carsten Schrank, forderte die Aussetzung des Verfahrens, weil die Nebenklage von Ferat Kocak doch noch zugelassen wurde. Zuvor hatte eine Richterin den Antrag abgelehnt.

Im Februar 2018 wurde Kocaks vor seinem Wohnhaus geparktes Auto angezündet. Weil die Gefahr bestand, dass die Flammen auf das Gebäude und eine Gasleitung hätten übergreifen können, hält das Gericht auch die Verurteilung von Tilo P. und Sebastian T.  wegen eines Tötungsdelikts für möglich, was ihre Strafe erhöhen würde.

Belastendes Video aufgetaucht

Kurz vor Prozessbeginn ist ein Video vom März 2019 aufgetaucht, auf dem Sebastian T. beim Sprühen von Drohungen an das Wohnhaus eines Antifaschisten zu sehen soll, berichtete der RBB. Die Aufnahmen entstanden, weil das Haus des Mannes durch die Polizei überwacht worden war. Gegen ihn war ermittelt worden, doch es kam zu keiner Anklage. Zivilgesellschaftliche Gruppen monierten, dass dieses Video bisher nicht bekannt war.

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