Neuer Ort für Thüringer Neonazis
Vor dem Landgericht Erfurt wird seit einem Jahr gegen 15 Personen wegen eines brutalen Übergriffs auf die Feier einer Kirmesgesellschaft in Ballstädt verhandelt. Ausgangspunkt der Gewaltattacke war ein von Neonazis erworbenes Haus – nun haben Personen aus dieser Szene eine weitere Immobilie gekauft.
Als im September 2013 rund 300 Personen in Ballstädt (Landkreis Gotha) gegen Rechtsextremismus demonstrierten, ahnte wohl niemand von ihnen, wie berechtigt diese Angst vor Neonazis in dem Ort mit 700 Einwohnern sein würde. Kurz vor dem Protestmarsch war bekannt geworden, dass Aktivisten aus dem Umfeld der Thüringer Rechtsrock-Band „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD) die alte Bäckerei in der Dorfmitte gekauft hatten, die wegen der Farbe ihrer Fassade das „Gelbe Haus“ genannt wird. Der Band eilt der Ruf ihrer nationalsozialistischen Ausrichtung und Gewaltbereitschaft voraus.
SKD machte nicht nur wegen ihrer Benennung nach der von dem Kriegsverbrecher Oskar Dirlewanger geführten SS-Einheit von sich reden, die im Zweiten Weltkrieg an Massenerschießungen, Folter, Plünderungen und Vergewaltigungen beteiligt war. Schon im Oktober Anfang 2013 war bekannt, dass die aktiven und ehemaligen Bandmitglieder auf insgesamt 34 Verurteilungen unter anderem wegen Brandstiftung und Verstößen gegen das Waffengesetz kamen, 68 Strafverfahren wurden eingestellt. Im thüringischen Ballstädt hatten sich militante Neonazis angesiedelt, die aus ihrer Einstellung keinen Hehl machen.
Bewohner des „Gelben Hauses“ bereits vor dem Überfall im Visier
Nur knapp fünf Monate nach dem zivilgesellschaftlichen Protest in Ballstädt kam es im Februar 2014 zu einem brutalen Überfall auf die Feier der örtlichen Kirmesgesellschaft, bei dem zehn Personen teils schwer verletzt wurden. 15 Neonazis müssen sich deswegen derzeit unter anderem wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung vor dem Landgericht Erfurt verantworten. Sie alle stammen aus dem Umfeld des „Gelben Hauses“ oder wohnen dort. Doch schon vor dem Überfall hatte die Polizei das Haus und seine rechten Bewohner im Visier: Ende August 2013 durchsuchten Beamte des Landeskriminalamts die alte Bäckerei und beschlagnahmten unter anderem Waffen. Einer der Käufer, Steffen Mäder, wurde verhaftet, nach Österreich überstellt und dort wegen Beteiligung an einem Brandanschlag, Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und Einbruchs zu drei Jahren Haft verurteilt.
Der Neonazi hatte mit einem weiteren Aktivisten bereits 2011 ein Gebäude im nur 30 Kilometer entfernten Crawinkel gekauft: Dort entstand die „Hausgemeinschaft Jonastal“, die auch als Kameradschaft auftritt und mit ihren Initialien HJ an die „Hitlerjugend“ anknüpft. Sie sorgte dafür, dass Haus und Grundstück in Crawinkel zu einem Treffpunkt und Veranstaltungsort mit überregionaler Anziehungskraft wurden. Doch nach dem hartnäckigen Protest des dortigen Bürgerbündnisses gaben die unbeliebten Neonazis auf – die Gemeinde Crawinkel setzte ihr Vorkaufsrecht durch und übernahm die Immobilie selbst. Die militante und gewaltbereite Neonazi-Szene aber wich in das „Gelbe Haus“ in Ballstädt aus.
Harter Kern der militanten Szene in Thüringen
Zwei der drei Käufer müssen sich im „Ballstädt-Prozess“ momentan vor Gericht verantworten. Neben Treffen und Konzerten dient das „Gelbe Haus“ auch als Adresse für den Rechtsrock-Versand Frontschwein. Dessen Geschäftsführer ist Thomas Wagner, der ehemalige SKD-Bandleader und Hauptangeklagte im „Ballstädt-Prozess“, der hier auch ein Tonstudio betreibt. Darin entstand beispielsweise erst kürzlich die CD „Nie wie ihr“ der Rechtsrock-Combo „Unbeliebte Jungs“. Auch zu ihren Mitgliedern gehören angeklagte Neonazis im „Ballstädt-Prozess“, einer davon wird verdächtigt, der Gruppe „Blood&Honour Südthüringen“ anzugehören. Eine Gesamtschau zeigt: Aus der Band SKD, der „Kameradschaft Jonastal“ und dem dazugehörigen Umfeld rekrutiert sich ein Teil des harten Kerns der militanten Neonazi-Szene in Thüringen.
Dazu gehört auch Mäder, der sich nach seiner Haft in Österrreich wieder auf freiem Fuß befindet und seitdem an der Organisation von Rechtsrock-Konzerten beteiligt ist. Damit sollen offenbar Gelder für die Unterstützung der angeklagten Neonazis im „Ballstädt-Prozess“ und für das „Gelbe Haus“ gesammelt werden. Doch nicht nur die Immobilie in Ballstädt liegt Mäder am Herzen: Gemeinsam mit dem seit mehr als 20 Jahren aktiven Marco Zint und dem Rechtsrock-Musiker Rocco B., der auch zu den Angeklagten im „Ballstädt-Prozess“ gehört, kaufte er unlängst eine neue Immobilie in Henningsleben. Der Vorort von Bad Langensalza mit seinen etwa 250 Einwohnern befindet sich nur rund zehn Kilometer von Ballstädt entfernt.
Weitläufige Immobilie für braune Aktivitäten
Hier haben die Neonazis im Spätsommer dieses Jahres für rund 30 000 Euro ein Fachwerkhaus mit Wohn- und Nebengebäude sowie einer Scheune direkt neben der Kirche erworben. Links geht ein Weg am Friedhof vorbei, auf der anderen Seite grenzt der Dreiseitenhof mit seiner fliederfarbenen Fassade direkt an das Nachbarhaus. Ein hohes Tor verhindert den Blick von der Straße auf den Hof. Ursprünglich sollen die Kaufabsichten auch ein zusätzliches Objekt auf der gegenüberliegenden Straßenseite betroffen haben.
Die bisherigen Aktivitäten der Neonazis aus dem Umfeld von SKD und der „Kameradschaft Jonastal“ lassen vermuten, dass die geplante Nutzung des ziemlich weitläufigen Gebäudes weit über rein private Zwecke hinausgehen wird. Damit droht Thüringen ein neuer Ort der braunen Szene für Treffen, Veranstaltungen und Konzerte – und für Gewalttaten.