Neue und alte Antisemiten
Antisemitismus breitet sich in Deutschland wieder aus. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Rhetorik rechtspopulistischer Politiker wie Björn Höcke oder Alexander Gauland. Eine neue Begriffsdefinition soll nun Abhilfe schaffen.,
Das Publikum war passend gewählt. Als sich am ersten September-Wochenende „Der Flügel“ in der Gaststätte „Burghof Kyffhäuser“ in Thüringen traf, kamen die völkisch-nationalistisch gesinnten Mitglieder der AfD bereits zum dritten Mal zu ihrem „Kyffhäuser-Treffen“ zusammen. Mit dabei: der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Alexander Gauland. Es müsse endlich ein „Schlussstrich“ unter Deutschlands Nazi-Vergangenheit gezogen werden, forderte Gauland unter dem Applaus der AfD-Mitglieder. Zudem hätten die Deutschen „das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.
„Abwehr von Schuld“ typisch für Rechtspopulisten
Für Tom David Uhlig, Mitarbeiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, sind Äußerungen wie die Gaulands ein klarer Fall von „Geschichtsrevisionismus“. Viele in der AfD täten so, „als ließe sich die Geschichte in einen guten und einen schlechten Teil aufteilen“. Das Kalkül dabei ist klar: Der eigenen Anhängerschaft soll signalisiert werden, dass sie mit den Verbrechen der Nationalsozialisten nichts zu tun hat, die Erinnerung an Kriegsverbrechen und Jugendvernichtung nur Teil eines „Schuldkults“ (AfD-Kandidat Jens Maier) ist. Diese „Abwehr von Schuld“ sei typisch für die Rechtspopulisten, so Uhlig.
Dass sie auf diese Weise einem neuen Antisemitismus in Deutschland den Boden bereiten, nehmen sie zumindest billigend in Kauf. Eher aber nutzen sie ihn noch, um gegen Muslime Stimmung zu machen. So stieg die Zahl antisemitischer Straftaten im ersten Halbjahr 2017 nach Angaben des Bundesinnenministeriums um vier Prozent auf 681 Delikte an. Bei der großen Mehrheit (632) konnten Täter aus dem rechten Spektrum ermittelt werden.
In Nordrhein-Westfalen konnten 117 von 122 Straftaten rechten Tätern zugeordnet werden. Die AfD-Fraktion im Landtag hielt das jedoch nicht davon ab, von einem „nach rechts verzerrten Bild über Tatmotivation und Täterkreis“ zu schimpfen und sich über „importierten Antisemitismus“ auszulassen.
Antisemitismus bekämpfen – unabhängig von Herkunft und Religion
„Antisemitismus spielt bei muslimischen Jugendlichen eine Rolle“, räumt zwar Saba-Nur Cheema vom Bildungszentrum Anne Frank ein, aber sie beobachte die zunehmende Tendenz, dass Menschen automatisch unter dem Verdacht stehen, antisemitisch zu sein, „nur weil sie Muslim sind“. Deshalb lautet ihr Appell: „Antisemitismus sollte unabhängig von Herkunft und Religion entgegengewirkt werden.“ Die Formel, Muslime seien die neuen Antisemiten, relativiere zudem den in der deutschen Gesellschaft vorhandenen Antisemitismus und erschwere seine Bekämpfung.
Dass dieser in zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen anzutreffen ist, weiß Marina Chervinsky von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. „Juden in der Bundesrepublik werden zum Glück nicht mehr jeden Tag mit brachialem Antisemitismus konfrontiert, dafür aber mit Andeutungen, Vorurteilen und Fragen.“ Chervinsky spricht von „sekundärem Antisemitismus“. Dieser äußere sich häufig auch in Form von Kritik am Staat Israel. So macht etwa die so genannte BDS-Bewegung seit einigen Jahren von sich reden: Die Aktivisten rufen regelmäßig zum Boykott israelischer Waren und Produkte auf, um das „Apartheitsregime“ in Palästina zu beenden. Auch Linke engagieren sich hier.
Antisemitische Taten schneller erkennen und ahnden
Um Antisemitismus schneller zu erkennen und ihm vor allem über Bildungsarbeit entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung am Mittwoch die von der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) verabschiedete Arbeitsdefinition von Antisemitismus zur Kenntnis genommen. Antisemitismus ist darin als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“ definiert. „Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“
Mit der Definition gebe es „nun eine gemeinsame Grundlage in der Arbeit gegen Antisemitismus“, sagt Bundesfamilienministerin Katarina Barley. Ihr Ministerium fördert mehr als 40 Projekte im Bereich der Antisemitismus-Prävention. Die neue Definition soll auch Polizei und Strafverfolgungsbehörden helfen, antisemitische Taten schneller zu erkennen und zu ahnden. Auch in der Schul- und Erwachsenenbildung soll sie berücksichtigt werden. „Das beste Mittel gegen Hass und Intoleranz“, weiß Barley, „bleiben Bildung und Mitmenschlichkeit“.
Verschiedene Blickwinkel „antisemitismuskritischer Bildung in der Migrationsgesellschaft“ fasst der Sammelband „Fragiler Konsens“ zusammen, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwärts.de