Neonazistische „Meinungsfreiheit“
Die Verteidiger im Stuttgarter „Altermedia“-Prozess fordern in ihren Schlussplädoyers für die unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung Angeklagten Freispruch beziehungsweise Haftstrafen auf Bewährung. Das Urteil wird am Donnerstag erwartet.
„Absurd“ nennt Rechtsanwalt Heinig vor Gericht die Anklage gegen seinen Mandanten Ralph-Thomas K., Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein. Für den Generalbundesanwalt war der Neonazi eine treibende Kraft hinter der rechtsextremen Internetplattform „Altermedia Deutschland“, die zeitweise zur bedeutsamsten und meistgenutzten Internetplattform der Szene im deutschsprachigen Raum avancierte. Mittels aggressiver nationalsozialistischer Propaganda einschließlich einschlägiger Symbole und Grußformeln habe man eine „braun-zensierte Berichterstattung zu tagesaktuellen Themen“ und erklärtermaßen eine Art rechtsextremer Gegenöffentlichkeit zu schaffen versucht. Neben einer Nachrichtenseite richteten die Angeklagten ein rege genutztes Diskussionsforum ein. Inzwischen wurde die Plattform vom Netz genommen. Die im vergangenen September vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart begonnene Beweisaufnahme hätte das „vollumfänglich bestätigt“, so ein Vertreter der Behörde, die K. ohne Bewährung dreieinhalb Jahre hinter Gittern sehen möchte. (bnr.de berichtete)
„Faktisches Gesinnungsgesetz“
Der Szene-Anwalt Heinig forderte am Donnerstag vergangener Woche dagegen, K. freizusprechen oder das Verfahren einzustellen. „Sicherlich“ würden einige der unter Mitverantwortung seines Mandanten bei „Altermedia“ angebotenen Inhalte den Straftatbestand der Volksverhetzung in seinen unterschiedlichen Ausprägungen erfüllen. Er sei aber der Meinung, dass K. dafür „nicht verurteilt werden kann“. Denn wenn es stimme, dass „Ausländer“ eine „deutsche Frau“ fast totgeprügelt hätten, dann sei er der Meinung, man würde „was dazu sagen dürfen“, meint Heinig und fragt: „Oder sollen wir dazu schweigen?“ Dabei dürfe man seiner Ansicht nach „auch mal Worte gebrauchen, die man sonst nicht gebraucht“. Das stelle dann „maximal eine Beleidigung“ dar. Angeklagt sind dagegen gerade Bezeichnungen, die nach Ansicht der Bundesanwaltschaft zum Hass gegen bestimmte Teile der Bevölkerung aufstacheln und sie in ihrer Menschenwürde angreifen.
Zum Vorwurf der Leugnung des Holocausts führt Heinig im Rahmen seines Schlussvortrages vor dem Stuttgarter Staatsschutzsenat aus, ob nicht gerade das Verbot erst den Eindruck erwecke, „da stimmt was nicht“ und doziert: „So unappetitlich es sein mag, sollte es nicht unter Strafe stehen.“ Er bezeichnete es als „Pech der Angeklagten“, ausgerechnet hier angesetzt zu haben. Es sei ja auch sonst keine Leugnung von geschichtlichen Ereignissen verboten. „Nur diese eine Sache“ dürfe man nicht leugnen. Die Singularität der von den Nazis begangenen Verbrechen will oder kann der Szene-Verteidiger offenbar nicht erkennen. Er weist auch zurück, dass sein Mandant eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch gebildet haben soll. Die Strafnorm setze drei Mitglieder und die Begehung von Straftaten als Zweck der Vereinigung voraus. Beides sei nicht der Fall, eine tragende Rolle hätten höchstens zwei der Angeklagten gespielt. In dem Vorwurf selbst sieht der Rechtsanwalt ein „faktisches Gesinnungsgesetz“.
„Verantwortung für die nationalsozialistische Ausrichtung“
Der Verteidiger der als weitere Rädelsführerin angeklagten Jutta V. schließt sich der Forderung der Bundesanwaltschaft nach einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung an und geht hart mit seiner Mandantin ins Gericht: Sie sei „treibende Kraft und Führungsfigur“ hinter der Plattform gewesen, auf der sich Nutzer ohne Rücksicht auf Strafnormen und Sanktionen hätten austoben können. Sie habe zudem „als Mitbegründerin die Verantwortung für die nationalsozialistische Ausrichtung“. Die Bundesanwaltschaft habe das „objektiv und anschaulich eingeordnet“. Mit den zahlreichen von ihr freigeschalteten Nutzerkommentaren wolle der Anwalt sich nicht im Einzelnen beschäftigen. „Das ist mir einfach zuwider“, sagt er. „Schon gar nicht möchte ich in diesem Saal das Wort Meinungsfreiheit in den Mund nehmen.“ Die Angeklagten hatten mehrfach betont, es sei ihnen lediglich um den Aufbau einer Plattform für „Meinungsfreiheit“ gegangen.
Diese Auffassung bemühte auch Rechtsanwalt Miksch in seinem Plädoyer für die Angeklagte Irmgard T.: „Sie war sicher auch der Meinung, dass die Medien aus national-kritischer Sicht einseitig berichten und nationale Themen ausblenden.“ Der ebenfalls als Szene-Verteidiger geltende Miksch zählt typische Themen der extremen Rechten auf, die darunter zu verstehen seien. Der Wunsch zur Schaffung einer solchen „Gegenöffentlichkeit“ von rechts „im Weltnetz“ sei „nachvollziehbar“. Auf Grund ihrer Erziehung vertrete seine Mandantin eine „eher positive Beziehung zum Nationalsozialismus“, sei aber „keine Fanatikerin“. In einigen Fällen sehe aber auch er die Verantwortung seiner Mandantin für die Freischaltung volksverhetzender Beiträge. Teils müssten die allerdings „durchgerutscht“ oder nicht als strafbar erkannt worden sein. Seine Mandantin bedauere das. Rechtsanwalt Miksch beantragte dafür eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle und schloss sich betreffend den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung den Ausführungen seines Kollegen Heinig an.
„Irmingard“ vorher schon bei „Thiazi“
Die Auffassung seines Kollegen Heinig teilt auch der Verteidiger von Talmara Sch. Seine Mandantin habe nur geringe Schuld auf sich geladen und ohne Vorsatz gehandelt. Deshalb sei von einer Verfolgung abzusehen. Sie habe lediglich als „Irmingard“ eine „Heimat für die ihr so wichtigen Gedichte“ gesucht, in einer „Götter- und Sagenwelt“ gelebt und sonst nichts von den verbreiteten Inhalten der Neonazi-Plattform mitbekommen. Unerwähnt ließ der Anwalt, dass sich „Irmingard“ bereits bei dem vor „Altermedia“ wohl bedeutendsten deutschen Internetforum „Thiazi“ beteiligt hatte. Nach dessen Abschaltung stieß sie zu „Altermedia“ und betreute den Forenbereich „Volk und Rasse“.
Am Donnerstag erwartet die Pressestelle des Oberlandesgericht Stuttgart die Verkündigung des Urteils durch den Staatsschutzsenat.
Anmerkung der Red.: K. wurde wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, die übrigen drei Angeklagten erhielten Bewährungsstrafen zwischen acht Monaten und zwei Jahren.