Neonazis mit hoher Aktionsbereitschaft
Das rechtsextreme Personenpotenzial ist in Nordrhein-Westfalen angestiegen, dabei werden auch rund 1000 Anhänger des „Flügels“ mitgezählt. Rückläufig in dem Bundesland sind die rechts motivierten Straf- und Gewalttaten.
Insgesamt hat sich damit die Zahl der dem Rechtsextremismus zugerechneten Personen in Nordrhein-Westfalen von 3255 auf 4075 erhöht. Unverändert 2000 werden als gewaltorientiert angesehen.
Ein besonderes Augenmerk legt der NRW-Verfassungsschutz auf die Neonazi-Partei „Die Rechte“ (DR). Aus dem aktuellen Landesbericht geht hervor, dass die 290 Mitglieder der Partei eine hohe Aktionsbereitschaft und eine vielfältige Aktionspalette aufweisen und dabei auf eine weit verbreitete Vernetzung zurückgreifen. Die braune Splitterpartei, die sich am Nationalsozialismus orientiert, verbündet sich demnach international mit Gesinnungsgenossen, schlägt eine Brücke zur NPD, ist verwurzelt in der Neonazi- und Kameradschaftsszene, ist bei Aktivitäten von diversen Misch-Szenen aus dem Spektrum Hooligans, Rocker und „Wutbürger“ anzutreffen. Man wirkt in der Rechtsrock-Szene sowie im aufstrebenden Kampfsport-Lifestyle mit, ist offenkundig verantwortlich für die Magazine „N.S. Heute“ aus dem Sturmzeichen-Verlag sowie „Reconquista“ und tritt ebenso als Taktgeber für eigene Demonstrationen und Kundgebungen in Erscheinung. Dazu gesellt sich eine rege Präsenz via Internet. Die Neonazi-Partei mit zehn Kreisverbänden, darunter die Neugründung des Zusammenschlusses im Raum Oberhausen, hat im Berichtsjahr 2019 ihre Mitgliederzahl von 280 auf 290 erhöht.
Gemeinsames Wahlbündnis von DR und NPD
Den DR-Bundesvorsitz haben Sascha Krolzig und Sven Skoda inne, Krolzig, der just erst wieder zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, (bnr.de berichtete) ist zudem DR-Landesvorsitzender in NRW. Bei den Europawahlen des Vorjahres kandidierte die Partei und schickte die in Bielefeld inhaftierte notorische Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel als Spitzenkandidatin ins Rennen um die Stimmen. Insgesamt reichte es dann aber nur für 0,1 Prozent. Mit befreundeten Initiativen aus dem europäischen Ausland hat man den Pakt „Festung Europa“ gegründet. Die Neonazi-Partei besitzt insgesamt sechs Kommunalmandate in den Hochburgen Dortmund und Hamm.
In Dortmund bildet „Die Rechte“ mit der NPD eine gemeinsame Ratsgruppe. Diese Interessenbündelung statt einer Konkurrenzsituation hat beide Parteien auch dazu bewogen, für die im September anstehenden Kommunalwahlen und für das erstmalige Votum zum Ruhrparlament ein gemeinsames Wahlbündnis einzugehen, das den Namen „Nationales Bündnis Ruhr“ trägt. Für „Die Rechte“ ist dazu der Bundesgeschäftsführer und stellvertretende Landesvorsitzende Michael Brück als Kopf ausgeguckt worden. Der Verfassungsschutz sieht in der „Rechten“ ein Hilfskonstrukt für im Jahr 2012 verbotene neonazistische Kameradschaften, um ihre Arbeit unter dem Parteienprivileg fortzusetzen.
NPD hat Mitglieder verloren
Ihre Mitgliederzahl von 30 auf 35 leicht gesteigert hat die braune Kleinstpartei „Der III. Weg“ um den Leiter des „Gebietsverbandes West“ Julian Bender. Zuletzt wurde ein neuer Stützpunkt im Raum Düsseldorf/Köln gegründet. Umtriebige Aktivitäten der Partei waren in Siegen zu beobachten.
Die NPD unter ihrem seit 2008 amtierenden Landesvorsitzenden Claus Cremer verlor 50 Mitglieder auf nunmehr 450 Parteibuchinhaber. Die stellvertretende Landesvorsitzende Ariane Meise gehört auch dem NPD-Bundesvorstand an. Etliche Kreisverbände sind kaum noch handlungsfähig, was sich auch an fehlenden organisatorischen Möglichkeiten festmacht. Man verzeichnet landesweit noch 17 Kommunalmandate. Bei den Europawahlen im Vorjahr kamen 0,1 Prozent der Stimmen zusammen.
Anschlussfähig bis in die Mitte der Gesellschaft
„Pro NRW“ unter Markus Beisicht hat sich indes als Partei aufgelöst, will aber seine Vereinstätigkeit fortsetzen. Beisicht hat unterdessen auch im Hinblick auf die Kommunalwahlen die Wählergruppierung „Aufbruch Leverkusen“ gegründet. Es bleibt unterdessen abzuwarten, welchen Weg es bei der personellen Zusammensetzung der AfD zu beobachten gibt, deren völkisch-nationalistisch ausgerichteter internen Gliederung „Der Flügel“, die sich mittlerweile für aufgelöst erklärt hat, in NRW immerhin bis zu 1000 Anhänger zugesprochen werden.
Sorge bereitet den Verfassungsschützern, dass es Misch-Szenen aus Rockern, Hooligans, Neonazis, rechtsextremen Parteivertretern und „Wutbürgern“ immer mehr gelingt, demokratiefeindliche Inhalte in die Mitte der Gesellschaft zu platzieren und dort anschlussfähig zu werden. Eine gemeinsame Vernetzung sorgt auch für eine relativ hohe Mobilisierbarkeit. Teilweise werden bis zu mittlere dreistellige Teilnehmerzahlen erzielt – ob nun als Demonstration oder Kundgebung. Gängige Praxis sind auch so genannte regelmäßige „Spaziergänge“ und selbst ernannte Aktionen, die einer Bürgerwehr gleichen. Damit unterwegs sind Gruppen wie „First Class Crew – Steeler Jungs“ aus Essen, „Bruderschaft Düsseldorf“ (mittlerweile als Teilorganisation auch „Schwesterschaft Düsseldorf“), der Verein „Mönchengladbach steht auf“ mit Dominik Roeseler als treibende Kraft, „Begleitschutz Köln“ (auch „Internationale Kölsche Mitte“) oder „Besorgte Bürger Herne“ (auch „Bruderschaft Herne“ und „Bruderschaft Ruhrpott“).
„Arcadi“ als mediales Bindeglied
Zu strukturierten, aber parteiungebundenen Kräften, die es landesweit auf 650 Angehörige bringen, werden auch die Aktivisten der „Identitären Bewegung“ gezählt, deren Zuspruch sich von 70 auf 50 Mitstreiter reduziert hat. Der Kern davon umfasst 20 Personen. Teile davon sind auch als „Defend Ruhrpott“ oder als Filmgruppe „Ruhrpott Roulette“ anzutreffen. Als mediales Bindeglied ist das Online- und Print-Magazin „Arcadi“ aus dem Publicatio e.V. anzusehen, das neuerdings auch namensgleich als Musiklabel agiert.
Auffällige Neonazi-Gruppierungen sind die „Volksgemeinschaft Niederrhein“ aus Kamp-Lintfort sowie der „Freundeskreis Rhein-Sieg“, hervorgegangen aus der „Identitären Aktion“, mit Frank Kraemer als Bandmitglied von „Stahlgewitter“ als einem der Hauptaktivisten.
Zu den Hauptbetätigungsfeldern der unstrukturierten, subkulturellen rechten Szene zählen Musik-Aktivitäten. Dieser Personenkreis ist immerhin von 1350 auf 1600 angewachsen. Gezählt wurden drei Rechtsrock-Konzerte, 22 Liedermacherabende und 15 „sonstige“ Musikveranstaltungen, also etwa Parteiversammlungen mit musikalischen Programmpunkten. Kamen 2019 in der Summe 40 Musik-Events zusammen, waren es im vorhergehenden Berichtsjahr nur 26.
„Unabhängige Nachrichten“ seit 1969
Zu den in Umlauf gebrachten Publikationen zählen neben „N.S. Heute“ und „Reconquista“ noch die bereits seit 1969 erscheinenden „Unabhängigen Nachrichten“ aus Oberhausen sowie „Die Russlanddeutschen Konservativen“, die zuletzt noch mit jährlichen Lesetreffen und rund 50 Teilnehmern aufgefallen sind.
Die Straftaten laut Kriterium der politisch motivierten Kriminalität „rechts“ sind von 3767 auf 3661 zurückgegangen. Rückläufig waren mit 158 (Vorjahr: 217) auch die entsprechend verübten Gewalttaten darunter. In 138 Fällen handelte es sich um Körperverletzung. Insgesamt wurden 2917 Propagandadelikte registriert. Ein Blick auf die Tatverdächtigen zeigt: 89 Prozent von ihnen waren männlich. Als alarmierend ist anzusehen, dass die am höchsten frequentierte Altersstufe der Tatverdächtigen sich bei den 14- bis 17-Jährigen befand.
Unverändert bei 3200 liegt die Zahl der „Reichsbürger.“ Aufgelistet werden Gruppierungen wie „staatenlos.info“, „Verfassungsgebende Versammlung“ (online auch als „Deutsche Depeschen Bild- und Tonagentur ddb“ anzutreffen und unter dem Namen auch mit einem Internetradio), „Justiz-Opfer-Hilfe“ (auch „Volksgruppe Germaniten“ beziehungsweise „Staat Germanitien“), „Germaniten Partei“ und „Indigenes Volk Germaniten“.